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Vergraulte Gäste

Auswärtige Tätowierer haben es in Südtirol alles andere als leicht. Offene Kritik aus der Meraner Szene: “Die aktuelle Gesetzeslage schreckt internationale Künstler ab.”
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Foto: salto

Wahrscheinlich meinte es Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder gut als er im Juni vor neun Jahren das Dekret Nr. 37 unterzeichnete. Darin sind die Vorschriften für die “sichere Durchführung von Tätowierungen” enthalten. Dass gesundheitliche und hygienische Vorgaben unabdingbar sind und sowohl Kunden als auch Tätowierern Schutz bieten, steht außer Frage. Fragwürdig ist vielmehr der Regulierungswahn, der im Dekret Nr. 37 vom 13. Juni 2007 zutage tritt. Und der nicht nur in der hiesigen Tattoo-Szene für Kopfschütteln und nun auch für eine erste Protestaktion sorgt.


Der Kreativität sind Grenzen gesetzt

Es ist inzwischen etwa vier Wochen her seit in Bozen zur 4. Ausgabe der “Passion Art Tattoo Convention” geladen wurde. Zahlreiche Künstler aus dem In- und Ausland gastierten in der Bozner Messe. Besucher hatten die Gelegenheit, die neuesten Tattoo-Kreationen zu begutachten – und sich selbst tätowieren zu lassen. Gerne hätte Philipp Klotzner und sein Team eine ähnliche Veranstaltung auch im 30 Kilometer entfernten Meran organisiert. Doch seit Jahren beißen sie beim dortigen Hygieneamt auf Granit.

Um den 34-jährigen Klotzner, der eigentlich Biobauer ist und seit 2010 eine eigene Eventmanagementfirma betreibt, schart sich ein neunköpfiges Team von fünf Eventmanagern und vier Tätowierern. Einer davon ist Fabian Langes. Der über Südtirol hinaus bekannte Tatto-Künstler stammt, wie die restlichen Mitglieder der Gruppe, aus dem Meraner Raum. In Naturns eröffnete er 2004 sein erstes Studio, heute arbeitet er in einem Privatstudio – dem ersten des Landes – in Meran. Geschäftszeiten gibt es dort keine, einen Termin erhält man nur über persönliche Kontaktaufnahme und muss dafür auch schon mal ein Jahr lang warten.

“Bereits vor sieben Jahren wurde die Idee geboren, eine Tattoo-Convention der gehobenen Klasse in Meran abzuhalten”, berichtet Klotzner. Dafür sollten auch Tätowierer aus dem Ausland in die Kurstadt kommen – aus einem guten Grund, wie Langes erklärt. Er selbst ist seit Jahren immer wieder im Ausland unterwegs und wurde für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet: “Wer sich ein bisschen auskennt, weiß, dass diese Szene, die sich rasant entwickelt, von Gasttätowierern lebt.” Wenn Langes seinen Freunden und Bekannten aus der internationalen Szene von den gesetzlichen Auflagen erzählt, die sie erfüllen müssten, um auch nur zeitweilig – etwa bei einer mehrtätigen Convention – in Südtirol ihre Tätigkeit ausüben zu dürfen, erntet er Kopfschütteln.

Die aktuelle Gesetzeslage schreckt die auswärtigen Tätowierer ab, nach Südtirol zu kommen.
(Fabian Langes)


Theoretisch möglich, praktisch unrealistisch

Für die Veranstaltung selbst bedarf es einer Ermächtigung vonseiten des gebietszuständigen Dienstes für Hygiene und öffentliche Gesundheit. Dieser ist dafür zuständig, die Sicherheitsbedingungen, die in Art. 8, Absatz 3 des Dekrets Nr. 37/2007 festgelegt sind, zu überprüfen. Tätowierer, die ihre Ausbildung außerhalb von Südtirol absolviert haben und auf Gelegenheitsveranstaltungen tätowieren wollen, müssen nachweisen können, “einen ähnlichen Kurs wie jener, der in Südtirol zur Ausübung der Tätigkeit notwendig ist, gemacht zu haben”, heißt es aus dem Amt für Ausbildung des Gesundheitspersonals. Dort ist Elena Kostner für den Ausbildungskurs für die Befähigung zum Tätowieren zuständig. 14 Fächer müssen in mindestens 30 Kursstunden abgeklopft werden. Am Ende steht eine Prüfung vor einer dreiköpfigen Kommission.

Elena Kostners Aufgabe ist es auch, die Kurse, die ausländische Tätowierer vorweisen, zu überprüfen und gleichzustellen. Dazu müssen die Künstler ein Gesuch einreichen. Doch damit ist es nicht getan. Um die Gleichstellung und damit die Erlaubnis zum (zeitweiligen) Tätowieren auf Südtiroler Boden zu erhalten, muss dieselbe Prüfung abgelegt werden, die auch Südtiroler meistern müssen. Erst dann erhalten die auswärtigen Tätowierer die Genehmigung, die wiederum an das jeweilige Hygieneamt weitergeleitet wird. Und erst dann darf dieses – so zumindest steht es im Dekret Nr. 37/2007 – die Lizenz für die Veranstaltung ausstellen.

Fabian Langes 2014 bei der Scottish Tattoo Convention in Edinburgh, wo er für sein Werk mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde: Im Gegensatz zu Südtirol ist das Tragen eines Mundschutzes beim Arbeiten dort nicht vorgeschrieben. Foto: Philipp Klotzner

Klotzner rekapituliert: “Ein Tätowierer, der zum Beispiel aus Deutschland kommt und bei einer Tattoo Convention in Südtirol tätowieren will, muss ein Gesuch stellen und eine Prüfung ablegen – im schlimmsten Fall sogar einen Kurs machen, falls ihm seine Ausbildung nicht gleichgestellt wird. Mir sind kaum vergleichbar strenge Regulierungen bekannt.” Langes war selbst bereits auf zahlreichen Tattoo-Conventions im Ausland zu Gast, vergangenes Jahr etwa in Neuseeland. Dort trifft er viele Bekannte aus der ausländischen Tattoo-Szene. Dass ihm diese den Vogel zeigen, wenn er ihnen von der Situation in Südtirol berichtet, ist für den 34-Jährigen verständlich: “Die sagen mir gleich, dass es für sie nicht infrage käme, für eine Convention nach Südtirol zu kommen – berechtigterweise. Denn warum soll sich jemand, der seit 30 Jahren in seiner Heimat berechtigt ist zu tätowieren, diesen Aufwand antun? Natürlich reist niemand für zwei oder drei Tage an, ohne sicher zu sein, dass er überhaupt arbeiten darf. Vor allem wenn er mit einem Gewerbeschein oder ähnlichem Dokument fast überall in Europa – außer in Südtirol – arbeiten kann.”


Ansichtssache?

Der Frust von Klotzner und Langes ist hörbar. Und wächst wenn die Burggräfler nach Bozen blicken. “Im Hygieneamt Meran wurde uns immer gesagt, dass die gesetzlichen Auflagen Eins-zu-Eins eingehalten werden müssen. Ansonsten können wir die Tattoo Convention nicht abhalten”, berichten die beiden. In Bozen hingegen scheint man das Dekret Nr. 37/2007 anders und zwar weniger streng auszulegen. “Dort wurde es so geregelt, dass ein Südtiroler Künstler, der die Lizenz zum Tätowieren hier besitzt, die Verantwortung für alle anderen Tätowierer übernimmt”, wissen die Burggräfler. Eine recht eigenwillige Interpretation des Gesetzestextes, an der sich bisher aber niemand weiters gestört zu haben scheint. Was der Bozner Tattoo-Convention eine – unfreiwillige – Monopolstellung beschert.

Das kommt einem indirekten Verbot gleich.
(Philipp Klotzner)

“Die Hygieneämter der verschiedenen Gesundheitsbezirke sind sich nicht einig was die Interpretation des Dekrets angeht. Das muss aufhören. Warum kann das Tätowieren für ausländische Künstler in Südtirol, vor allem wenn es nur zeitweilig erfolgt, nicht einfacher sein?”, fragt sich Langes, dessen Berufskollegin Dani Green bereits im Sommer im salto.bz-Interview geklagt hatte, dass es aufgrund der geltenden Bestimmungen für ausländische Tätowierer in Südtirol “fast unmöglich” sei, hier zu arbeiten.


Es dürfte auch anders gehen

Vor kurzem haben sich die neun Burggräfler mit einem Schreiben an Gesundheitslandesrätin Martha Stocker gewandt. Darin fordern sie, gemeinsam nach einer dringenden Lösung für das offensichtliche Problem zu suchen. Langes und Klotzner geben sich verhalten zuversichtlich, dass auch für ihr Anliegen bald eine vernünftige Alternative zum geltenden Gesetz gefunden wird. Immerhin würden nicht nur sie und ihre Geschäftskollegen davon profitieren: “Wir haben viele Kontakte zur internationalen Szene und alle, die uns bisher in Südtirol besuchen waren, sind begeistert vom Ambiente und dem Land.”

Doch bisher ist Südtirol ein weißer Fleck auf der Landkarte des eigentlich so bunten Gewerbes. “Man kann sich gar nicht vorstellen, welches Potential, sowohl was die künstlerische Vielfalt betrifft, aber auch aus touristischer Sicht, dem Land hier entgeht. Und auch die hiesige Kulturszene könnte nur positive Impulse bekommen”, meint Klotzner etwas resigniert. Er hofft nun auf die Gesundheitslandesrätin. Und darauf, dass Meran, aber auch andere Orte im Land bald eine Tattoo-Convention beherbergen können. Es wäre das Ende einer langen Odyssee.

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Hartmuth Staffler Lun, 10/10/2016 - 14:16

Ganz ihrer Meinung. Wer das Risiko eingehen will, sich von jemanden tätowieren zu lassen, der keine Ahnung von Hygienevorschriften hat, der soll das ruhig tun dürfen. Das Leben wäre zwar vielleicht manchmal etwas kürzer, dafür aber sicher viel einfacher.

Lun, 10/10/2016 - 14:16 Collegamento permanente