Society | Interview

Braucht die Pflege einen Umbruch?

Soziallandesrätin Rosmarie Pamer über die aktuellen Herausforderungen der Seniorenpflege in Südtirol und warum sie nicht an den Sanitätsbetrieb übergehen soll.
Rosmarie Pamer
Foto: Seehauserfoto
  • SALTO: Frau Pamer, Seniorenpflege ist in Südtirol nach wie vor ein heikles Thema, wo gibt es Probleme?

    Rosmarie Pamer: Eines der großen Themen ist auf jeden Fall der demografische Wandel. Wenn man sich die Daten ansieht, erkennt man, dass es in 10 Jahren etwa 30 Prozent mehr Pflegebedürftige geben wird. Des Weiteren hat sich die Familienstruktur in Südtirol von Groß- zu eher Kleinfamilien entwickelt, die Angehörigen der Pflegebedürftigen leben geografisch gesehen oft weit entfernt und nicht zuletzt müssen Frauen heute im Alter länger arbeiten. Unterschätzt werden darf auch der Fachkräftemangel nicht. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir in alle Bereiche der Pflege, wie stationäre oder private, investieren. Die Politik muss sicherlich weiterhin ins Pflegegeld investieren und auch mehr davon in die Hand nehmen, damit wir die einzelnen Bereiche breit aufstellen können.

     

    „Dies hat nicht zuletzt mit der geringen Wertschätzung und Anerkennung zu tun.“

     

    Ist das Modell des Pflegegeldes, wie es heute ausbezahlt wird, überholt, zum Beispiel, dass es auch wohlhabende Bürger, die es nicht unbedingt benötigen, erhalten?

    Jeder hat im Laufe seines Lebens durch die Steuern das Pflegegeld mitfinanziert. Wer Pflege braucht, dem sollte sie auch gewährleistet werden, egal wie sein finanzieller Stand ist. Außerdem ist der Aufwand, das System einkommensabhängig zu gestalten, viel größer. In der Pflegeeinstufung sind die Ansuchen in jüngster Vergangenheit stark angestiegen, wenn man dann auch noch das Einkommen prüfen müsste, wären die Warteschlangen noch länger.

  • Rosmarie Pamer: „Wer Pflege braucht, dem sollte sie auch gewährleistet werden, egal wie sein finanzieller Stand ist.“ Foto: Seehauserfoto

    Während Krankenpfleger mit Kollektivverträgen, Arbeitsrechten und vertraglich gesicherten Gehältern ausgestattet sind, erleben Pflegeberufe und Sozialbetreuer oft Schwarzarbeit und Unterbezahlung. Warum denkt man nicht daran, die Pflege ins Gesundheitswesen zu integrieren?

    Was die Bezahlung von Betreuungsberufen angeht, stimmt es, dass diese sogenannten „Sozialberufe“ oftmals geringer bezahlt werden. Dies hat nicht zuletzt mit der geringen Wertschätzung und Anerkennung zu tun. Was Schwarzarbeit betrifft, liegen zumindest meines Wissens, keine Daten für Südtirol vor. In Bezug auf die Fragen nach der Integration von Sozialbetreuungsberufen in das Gesundheitswesen, wäre dies die falsche Lösung. Die Altersheime sollen keine Sanitätsbetriebe werden. Die Heime sind soziale Treffpunkte und keine Kliniken und das sollen sie auch bleiben. Die Heime sollen den sozialen Auftrag der Gesellschaft erfüllen. Über dies hat das Land Südtirol im Sozialen primäre Gesetzgebungsbefugnis und ermöglicht damit großen, autonomen Gestaltungsspielraum. Schon allein deshalb wäre es unverantwortlich, Seniorenbetreuung in das Gesundheitswesen zu integrieren. Unsere Seniorenwohnheime sind sehr peripher verteilt, was den Vorteil hat, dass sie so nah wie möglich an den Bürgern und der gewohnten Umgebung der Bewohner sind. Natürlich braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Soziales und Sanität, auch in Hinblick auf die Pflege. Letztere funktioniert im Bereich des Sozialen aber gut und sollte deshalb auch dortbleiben. Der Bereich Pflege ist sehr groß und umfangreich. Ich glaube, dass es kontraproduktiv wäre, ihn jetzt zur Sanität hinzuzufügen, vor allem weil das Gesundheitssystem ohnehin schon häufig in der Kritik steht. Die Betreuung, die in den Wohnheimen gepflegt wird, ist wahre Sozialbetreuung. Es werden Freizeitaktivitäten wie Kartenspielen oder Ähnliches angeboten. Es würde mich schockieren, wenn diese Bereiche wegfallen würden und die Heime wie Krankenhäuser geführt würden. Seniorenwohnheime sind Wohn- und Lebensstätten, die ein qualitätsvolles Leben bieten. 

     

    „Wichtig ist hier also, dass wir gut zusammenarbeiten und ein gemeinsames Netzwerk aufbauen.“

     

    Könnten Pflegekräfte, auch im privaten Bereich, öffentlich vermittelt und verwaltet werden?

    Es gab bereits Anfragen von Seiten der Oppositionsparteien, ob es nicht sinnvoll wäre, ein eigenes Register zu erstellen, diese Idee werden wir auch prüfen. Es gibt auch Organisationen und Agenturen, die dies bereits machen. Wichtig ist hier also, dass wir gut zusammenarbeiten und ein gemeinsames Netzwerk aufbauen. Gerade im Bereich Soziales ist auch der Welfare Mix von großer Bedeutung, also dass wir alle Partner, Organisationen, Vereine und Genossenschaften des Territoriums mit dem öffentlichen Dienst verbinden und Synergien schaffen.

  • Seniorenpflege: In Zukunft wird die Zahl der Pflegebedürftigen weiter steigen Foto: Freepik/rawpixel.com
  • Oft übernehmen die Angehörigen der Betroffenen die Pflege und vernachlässigen dadurch auch ihre eigene Arbeit. Sollten diese Menschen nicht auch über einen Arbeitsvertrag verfügen und sozial abgesichert sein?

    Solche Ideen gab es bereits in der vergangenen Legislaturperiode, damals wurde das sogenannte Burgenländer-Modell geprüft. Wenn man so ein Konzept verfolgt, muss man zunächst entscheiden, wie man vorgeht, macht man es über eine Agentur, macht man es über die Seniorenwohnheime und so weiter. Ich bin aber der Meinung, dass die Seniorenwohnheime, die so zentral in den Gemeinden verankert sind, hier eine wichtige Rolle spielen können, um Angebote für jegliche Art der Pflege zu sein. Außerdem liefern die Anlaufstellen der Sanität, der Seniorenwohnheime und der Hauspflege sehr gute Arbeit bei der Suche nach Betreuung und Information. 

    Derzeit bieten vor allem private Organisationen die Ausbildung für Seniorenbetreuer an. Ist hier auch etwas vom Land angedacht?

    Im vergangenen Jahr wurde durch einen Beschluss der Landesregierung die diesbezügliche berufsbegleitende Ausbildung genehmigt, damit Privatanbieter Ausbildungen anbieten können. Wichtig ist hier, dass die Ausbildungen peripher durchgeführt werden, damit die Auszubildenden nach dem Abschluss auch ins Berufsbild einsteigen.

Bild
Salto User
Günther Alois … Sun, 06/02/2024 - 07:31

Frau Pamer,gute Ansätze,schauen wir mal ob sie bereit sind mit den Opositionen zusammenzuarbeiten in diesem heiklen Thema,bis jetzt war das leider im SVP SUMPF nicht der Fall.

Sun, 06/02/2024 - 07:31 Permalink
Bild
Salto User
Oliver Hopfgartner Sun, 06/02/2024 - 08:50

Ich finde auch, dass das weniger eine medizinische, sondern eine soziale Frage ist, wobei sich in der Pflege Soziales und Medizinisches unterscheiden.

Meiner Meinung nach wird zu wenig in der Prävention getan. Dazu werfe ich einige Fragen auf:
Was tun wir, damit Menschen im Alterungsprozess möglichst lange autonom bleiben?

Was tun wir, um die Annahme von Hilfe zu entstigmatisieren? Wer kennt sie nicht, die alternden Menschen, die sich aus falschem Stolz weigern, einen Stock oder Rollator zu verwenden, dann stürzen und sich den Oberschenkel brechen (hatten sie eine angemessene Osteoporose-Therapie? Osteoporose ist in Mitteleuropa unterdiagnostiziert und untertherapiert), dadurch entstehen sehr viele unnötige Pflege- und Todesfälle.

Was tun wir, um die Annahme von Hilfe oder den Umzug in ein barrierefreies und baulich an die Bedürfnisse alter Menschen angepasste Wohnmöglichkeiten mit oder ohne Betreuung einfacher und attraktiver zu machen?

Es gäbe viele Punkte anzusetzen, die eben nicht medizinischer Natur sind. Leider ist Alt werden ein stigmatisiertes Thema.

Sun, 06/02/2024 - 08:50 Permalink