Society | Schulwahl TEIL 2

Sprachrealitäten

Das Leben wird sprachlich vielfältiger oder, was viele nicht wahrhaben wollen, es ist es bereits seit Langem. Wir waren nur nicht drauf vorbereitet.
Nach einer politischen Einordnung nun ein Blick auf inhaltliche Alternativen zur "Deutschförderklasse"
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Integration, eine Frage der Sprache?
Foto: salto.bz
  • Nachdem politisch nun vollumfänglich das Thema beleuchtet wurde, auch von meiner Seite, geht es im zweiten Teil um inhaltliche Elemente. Den, die Lehrer, Kinder und Eltern stöhnen glaubhaft unter den aktuellen sprachlichen Herausforderungen, jedoch nicht nur in Südtirol. Und das ist gut so, denn dadurch ergibt sich zumindest die Möglichkeit, einen Blick auf andere Lösungen und alternative Forderungen zu werfen als jene einzige, die alternativlos in Bozen diskutiert wird. Wie könnte man also das Thema angehen und die Betroffenen sinnvoll und nachhaltig unterstützen?

     

    Die getrennten Klassen sind nichts anderes als eine mehrsprachige Schule durch die Hintertür

  • Eines vorweg, meine Kinder werden nicht Deutsch sprechen, zumindest nicht als Muttersprache. Neben Tschechisch und Deutsch kommt dann auch noch Englisch zu ihren Grundsprachen dazu. Dabei geht es nicht um Multikulti oder Überförderung, sondern es entspricht einfach unserem gelebten sprachlichen Beziehungsalltag. Es wird vermutlich mehr als schwierig, aber unsere gesamte Sprachwelt umzustellen wäre um nichts einfacher. Ob es das Beste für das Kind ist, ist dabei erstmals nebensächlich. Nicht weil es uns egal ist, sondern weil es einfach die sprachliche Realität sein wird, die es vorfindet, für das es selbst aber am wenigsten kann. Und dutzenden Kindern geht es vermutlich gleich. Sie wurden nie gefragt, welche Muttersprache sie sich wünschen oder wo sie aufwachsen möchten. Das sollten wir uns stets vor Augen halten. Das Leben wird sprachlich vielfältiger oder, was viele nicht wahrhaben wollen, es ist es bereits seit Langem. Wir waren nur nicht drauf vorbereitet. Und Kinder sprachlich zu trennen wird das nicht bremsen, sondern langfristig nur zum Problem anstauen. So wie es die strikte Trennung von deutsch und italienisch in Südtirols Schulen anscheinend schon ist. Oder ist nicht genau das, das Problem an der Goetheschule in Bozen? Die genannte Klasse ist nämlich nichts anderes als eine mehrsprachige Schule durch die Hintertür, jedoch ohne klare Vorgaben bzw. Wahlmöglichkeit der Eltern. Anstelle, es also von oben nach unten zu diktieren, sollte man endlich von unten die Bestrebungen zulassen, diese offiziell zu ermöglichen.

     

    „Es gibt Unterschiede zwischen uns“, das ist es, was wir den Kindern dadurch beibringen

  • Es hilft also nichts, Mehrsprachigkeit als Problem hochzustilisieren, so wie wir es seit vielen Jahren in Südtirol gewohnt sind. Meine sprachliche Vielfalt habe ich jedenfalls nicht in Südtirol erlernt (was übrigens außerhalb Südtirols sowieso keiner versteht, wie das sein kann). Meine italienisch ist nämlich bis heute beschämend, für das wie es sein könnte, und das gilt für sehr viele in Südtirol, wenn auch ganz klar nicht für alle. Deshalb gilt es, effektive und zielführende Lösungen zu finden. Jedoch nicht, indem man für jede Sprache ein neues Schulamt kreiert. Denn es wird weiterhin eine oder zwei (in Gröden sogar drei …) Unterrichtssprache benötigen. Ziel muss es also sein, alle möglichst schnell und zusammen zu dieser Sprache hinzuführen. Wenn man also getrennte Klassen einführt für Kinder mit „guter“ und „schlechter“ Sprachkenntnisse der Unterrichtsprache, wird genau das herauskommen, was mit meinem Italienisch nach 13 Jahren Unterricht herauskam. Das Ergebnis wird beschämend sein! Natürlich habe ich Italienisch gelernt, ich habe es aber nie verwendet. Die Schule hat mir beigebracht, dass in meinem Umkreis nur Deutsche sind und es irgendwo anders Italiener gibt, mit denen ich zwar reden könnte, ich aber eigentlich nicht soll. Die sprachliche Trennung von Stadt und Dorf tat den Rest. Und genau das ist es, was wir den Kindern durch getrennte Klassen beibringen: „Es gibt Unterschiede zwischen uns und deshalb müssen wir trennen, um besser auszukommen.“ Nicht miteinander, sondern jeder untereinander.

     

    Eine gemeinsame Klasse bedeutet ja nicht gleich eine Bindung auf Lebenszeit

  • Solange die Kinder im Unterricht, in der Pause und auf Klassenfahrten aber auf einer anderen Sprache schwätzen, lachen und tuscheln als im Unterricht, bleibt diese nur „die blöde Schulsprache“. So zumindest nannte ich Hochdeutsch als Kind, weil ich sie im Alltag nicht benötigte und sie deshalb laut deutschen Bekannten bis heute auch nicht beherrsche. Ja, es mag sein, dass ich sprachlich keine allzu große Leuchte bin, aber das sind viele. Wären wir alle sprachlich begabt, gäbe es das Sprachproblem in der Schule ja maximal in der ersten Schulklasse. Aber offensichtlich scheint dies nicht der Fall zu sein. Eine gemeinsame Klasse bedeutet ja nicht gleich eine Bindung auf Lebenszeit. Bereits vor 20 Jahren wurde meine Klasse regelmäßig für Förderzwecke geteilt, in allen Fächern. Sagen wir einfachheitshalber in gute und schlechte Schüler. Dabei zeigt sich, dass das Kind vom hintersten Talschluss mit dem Hochdeutsch genau so viel Probleme hatte wie das aus Albanien. Nur, dass der Junge aus Albanien auch in getrennten Klassen eine Sprachförderung erhalten hätte, der Junge vom Talschluss vermutlich nicht. Es geht also nicht um die richtige Teilung, sondern um die richtige Förderung und das in jedem Fach. Was man dafür benötigt: Geld für Lehrpersonal!

     

    ...und dann der Lehrer plötzlich das Problem haben könnte, nicht zu verstehen, was los ist. 

  • Ein Thema, das mich beschäftigt, ist auch, je nachdem welche Sprache in der Schule meines Kindes gesprochen wird, kann ich ihm vielleicht nicht bei den Hausaufgaben helfen oder mit der Schule kommunizieren. Ja, außerhalb Südtirols -natürlich vor allem in Ballungsgebieten, aber nicht nur - ist es durchaus möglich und erlaubt, sich, eine Schule und damit Unterrichtssprache auszusuchen. Dass auf einem Gebiet mehrere Sprachgruppen eng zusammenleben, ist kein so großes Unikum von Südtirol, wie wir uns gerne einreden. Jedoch ist es nur bei uns üblich, so klar und strich zu trennen. Aber zurück zur Schulwahl. Dieses genannte Problem der Eltern ist bei mir aber vermutlich ein Luxusproblem, weil meine Partnerin die jeweils andere Sprache beherrschen würde. Es gibt jedoch genug Fälle, wo keines der Elternteile die Unterrichtsprache beherrscht. So war ein Freund von mir, bis er fast 30 war, der Schulkontakt seiner Geschwister, um dieses Problem zu lösen. Und dieses Problem ist sicher vielen Südtiroler Lehrern bekannt. Ja, der Kontakt mit den Eltern wird vermutlich schwierig bleiben, aber auch getrennte Klassen werden wenig Auswirkungen auf die Sprachkompetenz der Eltern haben. Viel eher besteht die Gefahr, dass diese sich im Hintergrund in einer, für sie „effektiveren“ Sprache, selbst organisieren und dann der Lehrer plötzlich das Problem haben könnte, nicht zu verstehen, was los ist. Aber am wichtigsten ist, dass diese Barriere sich nicht auf das Kind auswirkt. Denn Eltern tun sich schwer, ihren Kindern bei der Hausaufgabe zu helfen, wenn sie selbst sprachliche Probleme damit haben. Aber ein erprobter und viel geforderter Lösungsansatz sind Ganztagsschule oder verstärkte Nachmittagsbetreuung. Denn in der Ganztagesschule können Hausaufgaben entfallen oder in der Nachmittagsbetreuung mit Unterstützung erledigt werden. Damit fällt der zusätzliche Druck von der Familie ab und entlastet somit die Eltern, welche auch ohne Sprachprobleme aus beruflichen oder finanziellen Gründen immer weniger Zeit dafür haben. Was es dafür benötigt: Geld für Infrastruktur und Geld für Betreuung!

  • ... oder man stellt sich mal vor, man lebt als sprachliche Minderheit in einem anderssprachigen Staat 

     

    Was aber, wenn man sich nicht auf eine Sprache festlegen kann oder will. Die Eltern z.B. sind unterschiedlicher Sprache, oder man stellt sich mal vor, man lebt als sprachliche Minderheit in einem anderssprachigen Staat und möchte beide Sprachen dem Kind mitgeben. Ist eine zweisprachige Schule möglich? Na ja, zumindest in Luxemburg schon lange und sicherlich nicht nur. Dort ist nämlich jede Oberstufe zweisprachig. Ohne dass das Luxemburgische als Sprache verschwunden ist, was ja in Südtirol die große Gefahr zu sein scheint. Soweit könnte Zweisprachigkeit, zumindest als zusätzliches Angebot, gehen. Was es dafür benötigt: den Willen dazu!

  • Dann organisieren sich die Menschen irgendwann selbst. Sei es die Eltern wie die Direktion

     

    Eine weitere Frage ist auch, wieso dieses Sprachproblem nicht in allen Schulen der Fall ist, aber bei denen, wo es ein Problem ist, gleich ein ganz großes. Einerseits liegt das sicherlich am Bedarf. Wenn es irgendwo einen Bedarf für etwas gibt, es aber offiziell nicht angeboten wird, dann organisieren sich die Menschen irgendwann selbst. Quasi so wie in der Goetheschule, sei es die Eltern wie die Direktion. Wenn es ein Interesse an zweisprachigen Schulen gibt, diese aber nicht vorhanden sind, baut man sich bzw. für sein Kind halt selbst ein System einer zweisprachigen Schulkarriere, mit allen Vor- und Nachteilen. Gleichzeitig bleibt auch die Frage, wieso in einem Schulsprengel so viele Leute leben, die eine lokale Sprache nicht beherrschen. Wenn dies so ist, könnte es schon stark in Ghettoisierung bzw. falsche Integration gehen. Dank der Zweisprachigkeit in Südtirol, und den Beteuerungen der Bozner, dass es nicht um Ausländer, sondern Italiener geht -die ja ihre eigene Schule hätten - ist dieses Integrationsproblem nicht mal ein klassisches "Ausländerthema" wie in vielen anderen Orten. Sondern viel mehr ein gesellschaftliches Problem der Einheimischen. Wenn wir es also nicht mal schaffen, uns untereinander zu integrieren, wie schwer muss es neu zugezogenen fallen, sich in Südtirol zu integrieren oder überhaupt zu verstehen, auf welcher Seite man sich integrieren soll oder will!

  • Zuerst vorenthalten und dann vorhalten geht nicht 

     

    Ich jedenfalls mache mir schon Gedanken, ob eine Rückkehr nach Südtirol sprachlich sinnvoll ist. Während anderswo mit gut ausgebauter Kleinkinderbetreuung ein Kind bereits im Vorkindergartenalter mit der lokalen Sprache in Verbindung kommt, ist dieses Angebot in Südtirol dann doch klar überschaubar. Wenn ein Kind dann mit sechs Jahren noch nicht ausreichend Deutsch oder Italienisch spricht, kann das nicht das einzige Kriterium sein, um deren Start ihrer Schullaufbahn zu definieren. Es geht nicht zuerst vorenthalten und dann vorhalten. Gerne kann man dabei über eine verpflichtete sprachliche Kombination von Kindergarten und Volksschule diskutieren, aber dann muss es zumindest in Teilen auch eine mehrsprachige Variante geben. Was es dafür braucht: Geld für pädagogische Fachpersonal.

  • Das Leben wird sprachlich vielfältiger oder ist es bereits seit Langem. Wir waren nur nicht drauf vorbereitet

     

    Diese und viele weitere Probleme sind es, die man in der Zukunft lösen muss, ob man will oder nicht. Dabei ist die Schule nicht das Problem, sie ist nur damit konfrontiert, könnte aber Teil der Lösung sein. Für dieses Problem des gesellschaftlichen Wandels wird es vor allem Geld brauchen und vor allem den Willen, es anzugehen. Ohne dem wird es nicht gehen. Das ist jedoch keine Besonderheit des Themas, sondern was grundsätzlich von Veränderungen. Die Frage ist, ob und wie viel es und das wert ist.

     

    … und jetzt haben wir noch nicht einmal über die bildungspolitischen Probleme gesprochen, die man angehen müsste.