Politics | Griechenland

Tsipras ist ein falscher Held

Eine Gegendarstellung.
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Ich lese seit geraumer Zeit die Beiträge von Oktavia Brugger zur Griechenland-Krise und kann ihr Verständnis für Alexis Tspiras immer weniger nachvollziehen. Sie, Frau Brugger, haben in einem Ihrer Beiträge richtigerweise auf das Versagen der griechischen Eliten und der verschiedenen griechischen Regierungen hingewiesen. Dennoch erwecken Sie den Eindruck als ob die scheinbar von Berlin diktierte „Austeritätspolitik“ an allem Schuld wäre. Abgesehen davon, dass Deutschland trotz seines Gewichts in der EU nichts alleine durchsetzen kann: Was wäre Ihrer Meinung nach die Alternative gewesen? Alles weiterlaufen lassen wie vor 2010? Nicht zu wenig, sondern zu viel Kapital ohne Reformen hat zur 2010-Krise geführt.

Es ist sicher richtig, dass zu lange zu einseitig mit dem Rechenschieber hantiert wurde. Richtig ist aber auch, dass die griechischen Regierungen zu viel Energie darauf verwendet haben, wie sie Geld ohne Gegenleistung aus Europa erhalten und zu wenig Energie darauf, die Krise als Chance zu umfassenden Reformen zu nutzen. Irland, Portugal, Spanien, indirekt selbst Italien machen es vor. Denn es ist ja auch absurd so zu tun als ob die Troika Griechenland „abstrafen“ hätte wollen.

Warum wurden alle Unterstützungsvorschläge zum Aufbau eines effizienten Steuersystems abgelehnt? Warum ist die sogenannte Lagarde-Liste mit griechischen Steuerhinterziehern in der Schublade verschwunden? Mit viel Druck war es dennoch gelungen, die Samaras-Regierung zu zögerlichen Reformen zu drängen und für 2015 war immerhin ein Wirtschaftswachstum von 2,5% prognostiziert. Davon ist man heute weit entfernt.

Und dann kommt Tsipras und verspricht ein Ende der Sparpolitik. Mit Geld aus Brüssel würde die Wirtschaft wieder wachsen, das ist ja auch eines Ihrer Argumente. Das hängt aber sehr davon ab wohin das Geld fließt. Übrigens nicht nur „deutsches“ Geld. Auch aus Italien, und somit auch aus Südtirol, stammen bisher ca. 60 Milliarden € an Krediten und Bürgschaften für Griechenland. Wenn gleichzeitig die strukturellen Reformen für Investitionen geschaffen werden, ist es richtig, dass mit Geld die Wirtschaft wieder angekurbelt wird. Und hier sind wir bei den von Ihnen so verpönten Brüsseler Reformforderungen, im Fachjargon „Konditionalitäten“ genannt. Aber wenn Geld weiter in klientelistische Strukturen, in einen aufgeblähten und ineffizienten Staatsapparat, in sonstige Renditepositionen oder in langfristig nicht finanzierbare Rentenversprechungen fließt, dann wächst die Wirtschaft nicht.

An diesen Tatsachen ändert auch der Deckmantel der von Ihnen geforderten europäischen Solidarität nichts.

Zudem geben Sie Angela Merkel die Schuld am Platzen der Verhandlungen. Alles deutet aber darauf hin, dass die griechische Seite den Verhandlungstisch verlassen hat. Über die Gründe können wir zum jetztigen Zeitpunkt nur spekulieren. Eine mögliche Variante ist, dass Athen die geforderte Umschuldung nicht bekam. Dazu muss man bedenken: Erstens gab es in Griechenland bereits eine Umschuldung 2012. Zweitens ist die Frage derzeit nicht aktuell. Die griechischen Zinsen sind sehr niedrig angesetzt und die Rückzahlung so weit gestreckt, dass erst ab 2020 oder 2022 mit der Rückzahlung begonnen werden muss. Wenn Griechenland bereits jetzt keinen Primärüberschuss erzielt, also einen ausgeglichenen Haushalt ohne Schuldzahlungen, dann hat das mathematisch nichts mit der Tragfähigkeiten der Schulden zu tun.

Ich bin mir sicher: Wenn Griechenland sich reformiert, wird zu gegebener Zeit eine weitere Umschuldung erfolgen; und zwar aus richtig verstandener europäischer Solidarität.

Es ist richtig den Referendumsausgang am Sonntag abzuwarten. Das zweite Hilfspaket ist am Dienstag ausgelaufen. Ein drittes Hilfspaket erfordert unter anderem einen neuen Programmentwurf der EU und zum Beispiel in Deutschland ein parlamentarisches Verhandlungsmandat für die Regierung. Zeitlich ist das kaum möglich. Es wäre in dieser Hinsicht schön, wenn Sie den demokratischen Institutionen anderer Länder den gleichen Respekt entgegenbringen würden wie denen Griechenlands.

Tsipras hat dieses Referendum anberaumt und verspricht, mit einem „Nein“ besser verhandeln zu können. Ich finde die Referendumsidee richtig und mutig und es wäre besser gewesen, Papandreou hätte sie bereits durchgezogen. Die Verbesserung der Verhandlungsposition ist aber schon die zweite Lüge von Tsipras nach jener in seinem Wahlkampf, dass er die Sparpolitik beenden könnte und dass mit Geld ohne Reformen alles wieder besser würde. Denn ein „Nein“ bedeutet ein Ausstieg aus der Eurozone, deren Mitgliedschaft nicht nur aus Rechten, sondern auch aus Pflichten besteht.

Natürlich kann das griechische Volk souverän über die Mitgliedschaft in der Eurozone entscheiden, aber wie diese aussieht, kann es zwar mit- aber nicht alleine bestimmen. Denn was ist denn mit den restlichen Europäern? Ich kann am Sonntag nicht am Referendum teilnehmen und dennoch will man in Griechenland auch über meine Steuergelder entscheiden.

Dazu sage ich OXI, griechisch für Nein.

Stefan Raffeiner, Doktorand im Europa- und Völkerrecht, Humbolt-Universität Berlin