Im Sog der drei Schwestern
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In der Reihe Rohstoff des Berliner Verlages Matthes & Seitz wird jungen Stimmen im kleinen, aber dezidiert liebevoll gestalteten Format ein Raum geboten. Auf rund 80 Seiten nimmt sich die junge Lyrikerin aus Bozen, selbst Seglerin und Surferin, eines changierenden Vokabulars nautischer Prägung an und findet dabei auch sprachlichen Tiefgang: Der sprachliche Rohstoff wird zur Axt gegen ein gefrorenes Meer, ermöglicht Autorin und Leser:in ein Eintauchen.
Was Greata Maria Pichler dabei umschiffen muss, wären allzu kopflastige Untiefen, denen eine ausgleichende Sinnlichkeit gegenübersteht. Obwohl die Fachvokabeln für einige Leser Neuland sein dürften, haben sie einen gewissen Charme, der auch schon in die Makrostruktur des Bandes Wellen schlägt. Die Gedichte, in drei nummerierte Teile gegliedert, gliedert die Lyrikerin nach der Beaufort Skala, mit welcher man - an Land wie zur See - Windstärken misst und fügt ihnen jeweils ein Glossar (Wasserspiegel 1 bis 3) und je einen längeren Text, sowie ein „Floss“ an. Dazwischen, beginnend bei Flaute und leisem Zug (0 bzw. 1 Beaufort) braust die Intensität zur Mitte der Drittel auf und ebbt gegen Ende wieder ab. -
In diesen, bis zu maximal 9 oder 11 Beaufort erreichenden, kurzen Texten unterwandert Greta zumindest meine persönlichen Lesegewohnheiten für Lyrik: Die „drei Schwestern“, eine Wellengruppe die, wie Kaventsmann und weiße Wand zu den Monsterwellen zählen, erzeugen beim Lesen wie auch bei der Lesung eine Sogwirkung, die es schwer macht sich einem weiteren Text zu verschließen. Als langjähriger Freund von Gedichtbänden teile ich mir diese gern ein, aus Sorge vor einer Übersättigung oder einem Vermischen der Eindrücke. Die Übergänge in Pichlers Buch sind fließend und eine stille Intensität hält die Spannung aufrecht. Die Präsidentin der Bücherwürmer Lana, Christine Vescoli, die dem Publikum Greta Maria Pichler bei der (Süß-)Wasserglaslesung vorstellt, verbindet mit den Winden und den Häufungen eines vage bleibenden „Es“ eine „beunruhigende Ahnung“ oder „dystopische Einfärbung“. Persönlich empfinde ich dieses Gefühl mehr als Wachsamkeit oder Achtsamkeit. Ein unsteter Boden und die Nähe zu den Elementen schärfen die Sinne und lassen aufhorchen. Die Umwelt wird ohne Tiefenunschärfe wahrgenommen und tritt in den Vordergrund.
Jedenfalls gibt es da „keine Dandy Distanz“ zu verorten, wo wir Vescoli dezidiert zustimmen wollen. Die Autorin taucht in ihre Texte ein, entzieht sich allzu glatten Formen oder einem starren Gerüstkonstrukt mit klassischem Zeilenumbruch mit wenigen Ausnahmen. Statt dessen ist es die Interpunktion, Beistriche undPunkte, welche die Sprache rhythmisieren. Das mag für den Leser vielleicht eine Spur anspruchsvoller sein, doch ich möchte an dieser Stelle künftige Leserinnen und Leser dazu anhalten auch diese Sprechpausen bewusst – still oder laut – zu lesen. Die auf den ersten Blick wie Kurzprosa wirkenden Texte bekommen damit etwas Zeit zum Atmen und für die Erwägung, wo ein äußeres Geschehnis und wo ein innerer Sturm zu Papier gebracht wird, oder Zwischenmenschliches. Das Geben und Nehmen einer Beziehung, das auch als Klammer für die von Salz durchdrungenen Gedichte dient, kann man auch als Ebbe und Flut verstehen.
Nach Abschluss der recht kurzen Lesung, die das schlanke Büchlein auch nicht ausschöpfen wollte oder sollte, diskutiert ein Paar bei einer Zigarette, ob die stille Lektüre des Buches im Vergleich zu Greta Pichlers bühnensicherem Vortrag den Texten etwas den Wind aus den Segeln nehmen würde. Das zu bewerten fällt uns schwer, da wir die Stimme der Autorin noch von zahlreichen Poetry Slam Auftritten im Ohr haben, bei denen sie auch schon hervorstach. Damals wie heute besticht Pichler durch eine Verweigerung gegenüber Effekthascherei und sprachliche Genauigkeit, die in der gegenwärtigen Südtiroler Literatur manchmal vermisst wird. Pichler ist ihrem Kurs jedenfalls treu geblieben und als Autorin ein gutes Stück reifer geworden, spätestens seit sie sich der Jury beim 30. Open Mike Wettbewerb gestellt und diesen auch gewonnen hat. „Salzwasser“ sollte - ob am weißen Sandstrand in der Karibik oder in der Strandmuschel an der Nordsee - in keiner Strandtasche fehlen.More articles on this topic
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