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Das Eigentor

Wie sehr die neuen Kriterien für die Online-Förderung in die Meinungsfreiheit eingreifen und die Autonomie der Redaktionen untergraben, wird jetzt mehr als deutlich.
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Foto: Deutscher Anwaltverein
  • Die Frage ist klar und einfach. 
    Wie soll mit dieser Maßnahme die Diskussionskultur gefördert werden?“, wollen die drei grünen Landtagsabgeordneten Madeleine Rohrer, Brigitte Foppa und Zeno Oberkofler in einer Landtagsanfrage zu den neuen Kriterien zur Südtiroler Medienförderung wissen. Der Fokus der Anfrage liegt dabei auf die Bestimmung, nach der sich in Zukunft auch jene User und Userinnen registrieren müssen, die nur Kommentare lesen wollen.
    Die schriftliche Antwort auf die Fragen kommt von Arno Kompatscher. Was der Landeshauptmann aber schreibt, macht deutlich, wie sehr hier die Politik in die Meinungsfreiheit, die Redaktionsfreiheit und in die Ausrichtung der Medien eingreift.
    So antwortet Kompatscher:

    Es ist festzustellen, dass Beiträge in den Kommentarspalten direkt unter der journalistischen Nachricht vielfach zu Wortgefechten zwischen den Diskussionsteilnehmenden führen ohne sachlichen oder erkennbaren Bezug zum Thema der Nachricht, mitunter mit verbalen Attacken, nicht belegbaren Behauptungen, Verdächtigungen oder Unterstellungen. Durch die Trennung des Diskussionsbereichs von der journalistischen Nachricht und einen geregelten Zugang soll das Bewusstsein der Nutzenden dafür geschärft werden, dass die Diskussion zwar in einem öffentlichen Kontext, aber gleichzeitig in einem klar geregelten Raum stattfindet, in dem Grundsätze des respektvollen Tons und Umgangs gelten. Somit ist zum einen die vom Gesetz bereits vorgesehene redaktionelle Moderation gefordert, für eine faire Diskussion zu sorgen, zum anderen aber auch jede und jeder Nutzende selbst, indem er/sie bewusst am Diskurs teilnimmt, egal ob als Lesende/r oder Kommentierende/r.“ 

  • Zeno Oberkofler, Brigitte Foppa, Madeleine Rohrer: Landtagsanfrage legt Konzeptlosigkeit schonungslos offen. Foto: Seehauserfoto
  • Arno Kompatscher beschreibt damit durchaus die Realität in den (meisten) Meinungsforen. Der Landeshauptmann muss sich aber die Frage gefallen lassen, ob er damit nicht auch die Diskussionskultur und die Arbeit des Südtiroler Landtages beschreibt.
    Tatsache aber ist, dass nach der allgemeingültigen Definition, eine Diskussion, „ein Dialog zwischen zwei oder mehreren Personen ist, der mündlich oder schriftlich geführt wird, wobei jede Seite ihre Argumente vorträgt.“ 
    Warum sich dabei aber auch jene Menschen registrieren müssen, die an der Diskussion nicht teilnehmen, sondern sie nur verfolgen, bleibt weiterhin ein Geheimnis des Glaubens.

     

    „Warum sich auch jene Menschen registrieren müssen, die an der Diskussion nicht teilnehmen, sondern sie nur verfolgen, bleibt weiterhin ein Geheimnis des Glaubens.“

  • Keine Zensur

    Arno Kompatscher weist in seiner Antwort jede Kritik an der neuen Regelung zurück. Der Landeshauptmann auf eine entsprechende Nachfrage der grünen Abgeordneten;

    Die neuen Kriterien bewirken weder eine Zensur noch eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit und gefährden dementsprechend auch nicht den demokratischen Diskurs. Vorgesehen ist lediglich eine Registrierung für alle Interessierten, die sich aktiv oder passiv an der Debatte in den Online-Foren beteiligen möchten. Ein solcher Zugang ist weder kostenpflichtig noch mit anderen besonderen Auflagen verbunden. Letztlich liegt es in der Verantwortung der Nutzenden und der Medien selbst, einen demokratischen und fairen Diskurs in den Online-Foren zu gestalten: durch redaktionelle Moderation und durch eine bewusste und respektvolle Teilhabe an der Diskussion.

    Interessant dabei: Die redaktionelle Moderation ist bereits seit fast zwei Jahren in den Förderkriterien festgelegt und wird – etwa von SALTO – auch gemacht.

  • Schwerhörige Politik

    Die neuen Bestimmungen sehen auch vor, dass in Zukunft die Kommentare nicht mehr unter den Artikel erscheinen dürfen, sondern in einem eigenen Bereich aufscheinen müssen. In der Antwort zur Anfrage der Grünen heißt es dazu:

    „Neben der vom Gesetz bereits vorgesehenen redaktionellen Moderation soll künftig auch eine gezielte Gestaltung der Online-Foren dazu beitragen. In diesem Sinne sieht Artikel 9 Absatz 2 der Kriterien eine bessere Trennung der Diskussionsforen von der journalistischen Nachricht sowie eine Registrierung aller Nutzerinnen und Nutzer für eine bewusste aktive und passive Teilnahme in den Online-Foren vor. Es handelt sich hierbei um einen Standard, der mittlerweile von zahlreichen Online- Medien im deutsch- und italienischsprachigen Raum etabliert wurde.“ 

  • Landeshauptmann Arno Kompatscher: „Vielfach Wortgefechte ohne sachlichen oder erkennbaren Bezug zum Thema der Nachricht“. Foto: Seehauserfoto
  • Was stimmt: Es gibt inzwischen in vielen Onlinemedien einen Button auf denen man drücken muss und erst dann erscheint ein Kommentarfenster. Auch die Tatsache, dass man sich anmelden muss, um kommentieren zu können, gehört zum Standard. Die Vorgabe ist auch völlig unumstritten und wird in Südtirol seit Jahren praktiziert.
    Anscheinend aber wollen die politische Verantwortlichen den eigentlichen Kritikpunkt nicht hören.
    Nirgends auf der Welt muss man sich anmelden, um Kommentare zu lesen.

  • Peinliches Eigentor

    Wirklich peinlich wird die Kompatscher-Antwort aber, wenn man versucht, diese Anmelde-Regelung zum Lesen mit Beispielen aus der großen weiten Medienwelt zu untermauern.
    So werden in der Antwort, explizit als Beispiele die Onlineseiten von „La Repubblica“, den „Corriere della Sera“ oder deutschen Tageszeitung „Die Welt“ angeführt.

  • Onlineseite der Repubblica: links oben Button zum Kommentieren, unten Button um zu den Kommentaren zu kommen, dann geht das Fenster rechts aus, wo man ohne Anmeldung lesen kann. Foto: repubblica
  • Bei allen drei Medien muss man neben dem Artikel auf einen Button drücken, dann öffnet sich ein Kommentarfenster. Wer kommentieren will muss sich anmelden, so wie auch bei allen Südtiroler Onlinemedien.

  • Onlineseite der Welt: Kommentare lesen ohne Registrierung. Foto: Die Welt
  • Lesen aber kann die Kommentare auf diesen Seiten jeder und jede. Dafür ist keine Anmeldung nötig.
    Auch nicht bei der Süddeutschen Zeitung, die ebenfalls in der Antwort als Vorbild für die neue Regelung angegeben wird.

  • SZ-Online: Auch hier muss man sich zum Lesen nicht anmelden (rechts Fenster mit den Kommentaren). Foto: SZ
  • Die Demut, zuzugeben, dass man über das Ziel hinausgeschossen hat und es diese Lese-Anmeldung in Wirklichkeit nicht gibt, hat aber anscheinend niemand.
    Dafür machen die angeführten Beispiele augenscheinlich, dass Südtirol hier einen gefährlichen Sonderweg bestreitet, der in Richtung der politischen Message-Control geht.

  • Stringente Wahlwerbung

    Gibt es Landesrät*innen, deren öffentliche Profile auf den sozialen Medien durch öffentliche Bedienstete betreut werden? Wenn ja, welche sind das? Und welcher Arbeitsaufwand pro Monat wird hierfür erbracht?“, das ist eine weitere Frage, die die grünen Landtagsabgeordneten in ihrer Anfrage gestellt haben.
    Die Antwort des Landeshauptmannes: 

    So wie in der Tätigkeitsbeschreibung vorgesehen, werden die öffentlichen Profile des jeweiligen Landesrats/der jeweiligen Landesrätin von den Mitarbeitenden der Ressorts, die für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zuständig sind, betreut. Die Tätigkeit bezieht sich dabei stringent auf die institutionellen Tätigkeiten und Inhalte von öffentlichem Interesse. Der zeitliche Aufwand variiert je nach Anlass und Thema. Persönliche und private Beiträge der Landesräte und Landesrätinnen fallen nicht in den Aufgabenbereich dieser Mitarbeitenden.“

    Was gut klingt, zeigt sich in der Realität aber doch etwas anders.
    Denn auf diesen öffentlichen Facebook-Profilen, die von den Mitarbeitern betreut werden, wird vieles gepostet und geteilt, was absolut nichts mit der Landesverwaltung und der Arbeit der Landesregierung zu tun hat.
    So etwa finden sich auf den offiziellen Landes-Seiten von Arno Kompatscher, Philipp Achammer, Luis Walcher, Christian Bianchi und Marco Galateo sogar Wahlwerbung für die EU-Wahlen oder die Gemeinderatswahlen in Leifers. 
    Ob auch das zur institutionellen Tätigkeiten und zu den Inhalte von öffentlichem Interesse gehört?

    Foto: Facebook