Danke, Mariasilvia

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Am Wochenende habe ich mir vorgenommen, ein Veilchen an ihr Grab zu bringen. Die Blume und Farbe ist eines der ältesten Symbole für lesbische Liebe, das sich durch viele Jahrhunderte erhalten hat, nachdem einst Sappho von Lesbos eine Geliebte mit Rosen- und Veilchenkränzen beschrieben hat. Das sogenannte „confessio Gedicht“ mit der Nummer 94 ist unter den erhaltenen Fragmenten das wohl „anzüglichste“, aus heutiger Sicht aber eher zahm. Warum ich hier von Sappho spreche? Auch bei Mariasilvia Spolato finden sich Spuren von Gedichten bei der Onlinesuche, die meisten davon wurden in der erst monatlich, dann vier Mal jährlich erscheinenden Befreiungszeitschrift „FUORI“, veröffentlicht. Von 1972 bis 1982 kam der anfänglich – auch durch Spolato – marxistisch geprägte Fronte Unitario Omosessuale Rivoluzionario Italiano als Herausgeber auf immerhin 32 Ausgaben. Das „erste lesbische Gedicht des italienischen Neofeminismus“ steuerte Spolato für Ausgabe Nummer 1 bei. Ein wenig, als wolle die Geschichte sich wiederholen, ist „PRIMA E(xtra)S(ensorial)P(erception)ERIENZA“, mit dem Geburtsort Padua auf den Jänner 1968 datiert, nur in fragmentierter Form online zu finden, für die eine oder andere wissenschaftliche Arbeit zitiert. Im Langgedicht geht es um eine «storia di un amore senza sensi / è una prima esperienza d’amore vissuta / non in un letto / ma su di una lunghezza d’onda», so die ersten Zeilen des Gedichts, in dem die Protagonistinnen Beta und Delta auch über Distanz auf einer Wellenlänge sind.
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8. März: Nach diesem Bild wurde der Mathematikprofessorin klar gemacht, dass 1 plus 1 nicht immer 2 ergibt. Sie verlor fast alles, im Namen ihrer Freiheit. Foto: Gemeinfrei
Für ihre Liebe und den Wunsch nach Befreiung zahlte Mariasilvia einen hohen Preis: Es waren nicht die Liebesgedichte und vielleicht auch nicht direkt das coming out, welche zum Verlust der Arbeit, zum Zerwürfnis mit der Familie und auch zum Ende ihrer Beziehung führten. Es begann mit einem Bild, das am 8. März 1972 in Rom entstanden ist und Spolato mit einem Karton zeigt, auf dem die Worte „(fronte di) liberazione omosessuale“ zu lesen sind. Es erschien nach der Kundgebung zum Weltfrauentag in der Wochenzeitschrift Panorama und führte für die 1935 geborene Mathematikerin zu einem Leben ohne feste Bleibe. Einen Monat später, am 5. April kam dann das eigentliche coming out von Spolato, in Form eines Interviews, das sie mit Vor- und Nachnamen dem Corriere della Sera gegeben hat. Sie war damals, an vorderster Front beteiligt am „Stonewalls Italiens“, das zu diesem Zeitpunkt in Sanremo, als Gegenaktion für einen Kongress des Centro Italiano di Sessuologia stattfand, der sich unter anderem zum Thema Konversionstherapie austauschen wollte. Ein Gespenst, das bis heute nicht ganz zur Ruhe kommt und Personen der LGBTQIA+ Community heimsucht, auch wenn es längt von fast allen führenden internationalen psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften zu Grabe gelegt wurde.
Bemerkenswert ist sicher auch, dass sich zu Ende des Jahres 1972 die Frauen innerhalb des „Fronte Unito“ marginalisiert fühlten. Männer drängten sich, nachdem Frauen wie Mariasilvia an vorderster Front gekämpft hatten, in den Vordergrund. In einem mit niemand geringerem als Simone de Beauvoir geführten Interview meinte diese diesbezüglich: “Quando c’è troppa differenza numerica, di fronte alla disparità psicologica che c’è di fatto è meglio che le donne escano dal gruppo e si riuniscano per conto loro” („Wenn ein zu großer Unterschied in den Zahlen besteht, dann ist es angesichts der effektiv vorhandenen psychologischen Ungleichheit besser, wenn die Frauen aus der Gruppe austreten und für sich zusammenfinden.”, Anm. d. Red.).
Ich glaube, all jene die sich heute im weitesten Sinne unter dem breit aufgespannten Schirm einer „queeren“ Identität oder Orientierung wiederfinden, müssen achtsam sein, einer solchen (Ab)spaltung nicht nachzugeben und darauf achtgeben, dass auch anders liebende und denkende Personen Raum und Gehör finden. Auch und vielleicht gerade als Mann verdanke ich mutigen Frauen wie Mariasilvia viel. Dass Frauen zu wenig Raum in der Geschichte von LGBTQ-Personen einnehmen, zeigt etwa auch der Blick in die USA, wo Regierungsseiten mit Antritt der Trump Regierung in vorauseilendem Gehorsam das für Transgender Personen stehende „T“ aus dem Akronym strichen, sowie die Nennung von Marsha P. Johnson löschten, die als transgeschlechtliche Dragqueen gemeinsam mit Sylvia Rivera maßgeblich mitverantwortlich gewesen sein soll, dass es am 28. Juni 1969 zu den sogenannten Stonewall Riots kam, einem Wasserscheidemoment der modernen LGBT-Bewegung. Den besonderen Mut jener Menschen, die als erste für ihre Überzeugung in die Bresche sprangen, dürfen wir nie unterschätzen, wie auch die Auswirkungen, welche sie dafür zu erdulden hatten.
Nach Bozen führte Mariasilvia das Leben auf der Straße: Eine Infektion am Bein, die im Krankenhaus Bozen behandelt wurde, sorgte dafür, dass sie als Unbekannte ihren Lebensabend in der Landeshauptstadt verbrachte. Sie lebte anfänglich als Clochard - bekannt für ihre roten scaldamuscoli, die sie sommers wie winters trug und die settimana enigmistica, mit der sie oft auf einer Parkbank saß – später im Altersheim Villa Armonia, umgeben von ihren zahlreichen Büchern. Mir war sie zu lange eine Unbekannte. Dafür, dass es sich heute etwas freier in Italien und Bozen liebt und lebt als es ohne sie der Fall wäre, ist eine Blume am Grab, das mit einer anonymen Spende finanziert werden konnte, das mindeste. Vielen Dank, Mariasilvia Spolato.
Wer Mariasilvia Spolato zumindest aus der Ferne kennen lernen möchte der kann dieses morgen im Bozner Filmclub tun. Im Rahmen eines Filmtags rund um die Themen des 8. März ist ab 20 Uhr Geraldine Otties neuer Film „Io non sono nessuno“ über das Leben der Mariasilvia Spolato zu sehen. Die Regisseurin ist anwesend.
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Eine interessante Person…
Eine interessante Person. Wahnsinn, wie verknöchert die Typen zu der Zeit noch waren (da gab es die Rolling Stones schon einige Jahre - I can't get no satisfaction). Und wenn ich mir den Trumpel anlose - Mannohmann. Dabei sagt er das nur, weil es seine Fans hören wollen (war beim Duce und Hitler auch nicht anders).