Der lange Weg der Meraner Flüchtlinge
Die Fahrt übers Meer
Ein voll gepacktes Boot. Rundum nur Meer. Menschen, die ihr Leben in die Hand improvisierter Seefahrer gelegt haben und nach tagelangen Irrfahrten durchs Mittelmeer endlich an Land gezogen werden. Letzteres nur, wenn sie Glück haben.
Was ist ein Flüchtling? Ich meine, was ist wirklich ein Flüchtling? Ein Flüchtling ist Bangoura aus Guinea. Ein Flüchtling ist Sissoko aus Mali. Ein Flüchtling ist Kouma aus Burkina Faso.
Da ist nicht nur das Boot und das Meer. Ein Flüchtling bringt eine gesamte Geschichte mit, die auf seinen Körper und in seine Seele geschrieben ist. Da ist immer eine Geschichte. Und diese Geschichte führt auch durch Meran.
Plötzlich in Südtirol
Vor genau zwei Jahren wurde Südtirol überraschend mit weit entfernten Ereignissen wie dem arabischen Frühling und dem Libyenkrieg ganz konkret konfrontiert. Über 100 Flüchtlinge wurden nach sorgfältiger Medienarbeit in kürzester Zeit von Lampedusa nach Südtirol verlegt. Dasselbe geschah auf dem restlichen Staatsgebiet. 50 von ihnen wurden in der ehemaligen Villa Arnika in der Romstaße in Meran untergebracht. Die anfängliche Neugierde, Kriegsflüchtlinge zu beheimaten, flachte jedoch schnell ab und wurde vergessen, noch bevor sich die Meraner genauer damit auseinandersetzen konnten. Noch bevor sie sich –vielleicht sogar aktiv– in eine Geschichte einbringen konnten.
Es lohnt sich jedoch auch jetzt, das Thema weiter zu verfolgen. Rom hat gerade die so genannte “Emergenza Nord Africa” für abgeschlossen erklärt, die Finanzierungen gestoppt und somit italienweit das Ende der Aufnahme in den Strukturen eingeleitet. Auch in Meran wird im Laufe des Monats Mai der Großteil der Flüchtlinge entlassen.
Erste Schritte in Richtung Asyl
Was ist eigentlich bisher geschehen? Wie ist es Bangoura, Sissoko und Kouma ergangen? Einmal in Italien angekommen, stellten sie rechtmäßig einen Asylantrag. Schon schnell wurden sie aber damit konfrontiert, dass der Staat ihnen keinen Flüchtlingsstatus aus Kriegsgründen anerkennen wollte. Begründung: Sie seien zwar aus Libyen nach Italien geflohen, aber keine libyschen Staatsbürger und daher frei, in ihr Ursprungsland zurückkehren. Tatsache war jedoch, dass viele bereits aus ihrer Heimat nach Libyen geflohen waren. Dort hatten sie sich als Hilfsarbeiter ein Leben aufbauen wollen. Der Ausbruch des Krieges aber hatte diese Pläne zerstört. Den Meraner Flüchtlingen war klar, sie würden hier bleiben, mit oder ohne längerfristige Aufenthaltsgenehmigung.
Im Dschungel der Bürokratie
Der einzige Weg zu einer längerfristigen Aufenthaltsgenehmigung führte nicht an einer Anerkennung als Flüchtling vorbei. Aus diesem Grund legten viele Rekurs gegen die negative Antwort der Asylkommissionen ein. Das bedeutete für sie ein teueres Unterfangen, denn jeder musste sich einen Anwalt nehmen. Glücklicherweise waren in den meisten Fällen bereits sechs Monate seit Asylantrag vergangen. Dies bedeutete, dass sie mit ihrer “provisorischen” Aufenthaltsgenehmigung nun rechtlich gesehen arbeiten durften. Eine Arbeit zu finden war natürlich eine andere Sache.
Es verflogen verzweifelte Monate, die viele Kopfschmerzen bereiteten. Bangoura lernte Italienisch, Sissoko und Kouma auch Deutsch. Sie begaben sich auf Arbeitssuche und dokumentierten nebenher die Verfolgungen, Misshandlungen oder Morddrohungen, die sie in ihrer Heimat erlebt hatten.
Der Weg aus dem Dschungel
Überall war es ähnlich. Italien geriet für seine fragwürdige Vorgangsweise langsam in die internationale Kritik und auf dem ganzen Staatsgebiet waren mittlerweile die Gerichte wegen der Rekursverfahren lahmgelegt. Da ging Rom wohl ein Licht auf. Kurzerhand entschied man, allen Personen, die des Krieges wegen aus Libyen geflohen waren, eine abgeschwächte Form von Asyl zu gewähren: den Humanitären Schutz von einem Jahr. Dieser ist verlängerbar oder umwandelbar in eine Aufenthaltsgenehmigung aus Arbeitsgründen im Falle eines Arbeitsvertrages. Nach den ersten Unruhen in Nordafrika war diese Variante bereits ohne großen Erfolg den tunesischen Flüchtlingen zugesprochen worden. Sie ist nicht annähernd mit dem vollständigen fünfjährigen Internationalen Schutz (Asyl) und auch kaum mit dem dreijährigen Subsidiären Schutz vergleichbar. Letzterer wurde aber kürzlich den Personen aus Mali genehmigt. Sissoko konnte es kaum glauben, als er erfuhr, dass die brutalen Ereignisse in seinem Land zu seinem persönlichen Glück beitragen sollten.
Wohin jetzt?
Italien hat mit diesem Schachzug mehrere Fliegen auf einen Streich getroffen. Die Gerichte sind nun deutlich entlastet und Italien kann endlich das Kapitel Nordafrika trotz schlechten Gewissens abschließen. Unter den Flüchtlingen herrscht anfänglich Euphorie. Aber Bangoura und Kouma wird bald eines bewusst: Jetzt haben sie zwar endlich einen Schein in der Hand, der sich in eine Aufenthaltsgenehmigung aus Arbeitsgründen umwandeln ließe, aber Vertrag ist keiner in Sicht. Und in wenigen Tagen auch keine Unterkunft mehr. Wie soll es nun weitergehen?
Laut Genfer Konvention “findet der Ausdruck «Flüchtling» auf jede Person Anwendung, (…) die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will (…).” (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) vom 28. Juli 1951, Artikel 1A).
P.s.: Hinweise und Angebote zu Arbeits- und/oder Unterkunftsmöglichkeiten für einzelne Personen werden dringend gesucht. Kontakt über die Redaktion, Email [email protected].