Der Selfmade-Vertrag
-
Nicht nur im Sanitätsbetrieb muss ein Einkauf in der öffentlichen Verwaltung formal einem klar definierten Fahrplan folgen.
Zuerst braucht es einen formellen Beschlusses des obersten Leitungsgremiums. In diesem Fall ist das ein vierköpfiges Gremium ohne offiziellen Namen, das sich aus dem Generaldirektor Florian Zerzer, dem Sanitätsdirektor Pierpaolo Bertoli, dem Verwaltungsdirektor Enrico Wegher und der Pflegedirektorin Marianne Siller zusammensetzt.
Dann braucht es einen Vertrag und eine Bestellung der Sanitätseinheit beim ausgewählten Unternehmen. Aus verständlichen Gründen wird mit der Ausarbeitung dieser drei Dokumente meistens das zuständige Amt oder dessen Direktor oder Direktorin beauftragt. Wobei der Beschluss- und der Vertragstext in vielen Teilen deckungsgleich sind. Im Fall des Ankaufs der OberAlp-Schutzmaterialien ist Sophie Biamino für diese Vorarbeit zuständig.
Am Vormittag des 17. März 2020 informiert die OberAlp-Juristin Esther Haidacher Biamino, dass ihr Unternehmen jetzt die Eintragung ins „telematische Verzeichnis des Informationssystems für Öffentliche Verträge der Autonomen Provinz Bozen“ vorgenommen habe. Die Amtsdirektorin arbeitet inzwischen den entsprechenden Ankaufsbeschluss aus und lädt den Vorschlag auf den internen Server des Sanitätbetriebes hoch. -
Kurz nach Mittag fragt Sophie Biamino bei Verwaltungsdirektor Enrico Wegher und ihrem Vorgesetzten Renato Martinolli nach, wie weit man mit der Prüfung des Beschlussvorschlage sei. „Nur so können wir die Bestellung machen, die, wie mir scheint, äußerst dringend ist“, schreibt die Beamtin. Verwaltungsdirektor Wegher antwortet postwendend:
„Wir warten auf den Beschluss bis 16.00 Uhr, dann unterschreiben wir. Man muss aber den Absatz über das wirtschaftlich günstigste Angebot streichen, denn wir haben keinerlei Marktuntersuchung gemacht.“
"Man muss aber den Absatz über das wirtschaftlich günstigste Angebot streichen, denn wir haben keinerlei Marktuntersuchung gemacht.“
Um 13.40 Uhr antwortet Sophie Biamino an Wegher und Martinolli:
Für mich geht das gut, Dr. Martinolli soll entscheiden, ob er diesen Passus streichen will. Aber ich muss Euch darauf aufmerksam machen, dass es sich hier um einen Auftrag handelt, der unter die Anwendung des Legislativdekretes 20/2016 (codice appalti) fällt.
Die Juristin führt in der E-Mail den Artikel des entsprechenden Gesetzesdekretes an, der diesen Auftrag betrifft und die genauen Vorschriften, die es einzuhalten gilt. Aber niemand antwortet auf diese Einwände.
Der BeschlussNoch am selben Abend wird auf dem Homepage des Südtiroler Sanitätsbetriebes der Beschluss 2020-A-000172 publiziert.
Der Titel: „Lieferung von verschiedener PSA an den Sanitatsbetrieb der Autonomen Provinz Bozen als dringende Maßnahme zur Eindämmung und Bewältigung des epidemiologischen Notstandes aufgrund des COVID-2019.“
Florian Zerzer, Pierpaolo Bertoli, Enrico Wegher und Marianne Siller beauftragen damit die Firma OberAlp AG mit der Lieferung von verschiedenen persönlichen Schutzausrüstungen. In einer Tabelle werden jene Produkte, Mengen und Preise wiedergeben, die man vier Tage vorher in China bestellt hat. „Der geschätzte Gesamtbetrag des Auftrages beläuft sich auf € 9.302.000,00- ohne MwSt.“, heißt es im Beschluss.In dem Beschluss sind auch zwei Punkte enthalten, die in Wirklichkeit völlig aus der Luft gegriffen sind.
So heißt es in dem offiziellen Dokument:• dass nach erfolgter Marktkonsultation die Firma Ober Alp S.p.A. aus Bozen für die Lieferung von folgender PSA als geeignet erachtet wird;
• nach Einsichtnahme in das Gutachten von Dr. Marc Kaufmann, Primar des Dienstes für Rettungs- und Notfallmedizin, vom 17.03.2020, mit welchem dieser bestätigt, dass die von der Firma OberAlp S.p.A. angebotenen Produkte den Vorgaben laut Art. 34 des Gesetzesdekretes Nr. 9 vom 2. März 2020 entsprechen.Beides ist nachweislich falsch. Denn es hat weder eine Marktkonsultation gegeben, noch hat Marc Kaufmann in seinem „Gutachten“ auch nur ansatzweise das bestätigt, was hier steht.
Der HintergrundDie Oberalp AG hat uns SALTO eine Stellungsnahme zukommen lassen, in der es unter anderem heißt:
Die SABES hat bei der Oberalp AG kein Schutzmaterial „angekauft“, es wurde nie mit der SABES „verhandelt“ und es wurde kein „Kaufvertrag„ mit der SABES abgeschlossen, der „Rücktrittsklauseln“ enthalten konnte, wie in verschiedenen Presseberichten die Rede ist. Ein Vertrag mit der SABES wurde im Nachhinein und auf Betreiben der SABES nur deshalb verfasst, um das von Oberalp vorgestreckte Geld zurückzuzahlen. Deshalb konnte auch eine „Rücktrittsklausel“ niemals Teil dieses Vertrages sein, wie nun anscheinend den SABES-Verantwortlichen als Fehler vorgeworfen wird. Oberalp war also nie Lieferant, nie für die Qualitätskontrolle der Ware zuständig und nie Importeur - Oberalp AG hat als Mandant für die SABES agiert und sich als schnelle „Privatbank“ für die Landesregierung verwendet, um in einer Notlage das Möglichste zu leisten.OberAlp diktiertAm Nachmittag des 17. März 2020 bereitet das Amt von Sophie Biamino auch den Vertrag vor.
Die Amtsdirektorin teilt der OberAlp AG zuerst die Rechnungsadresse des Sanitätsbetriebes mit und schickt dann den Vertrag, mit der Bitte, diesen gegengezeichnet zwecks Annahme zu retournieren.
Um 18.38 Uhr antwortet Lisa Kröss, die Assistentin von OberAlp-CEO Christoph Engl.„Der Vertrag liegt derzeit bei unserem CFO Manuel Stecher zur Prüfung und wird Ihnen so bald wie möglich übermittelt.“
Es dauert dann allerdings fast 24 Stunden, bis OberAlp den Vertrag an den Sanitätsbetrieb zurücksendet.
„Die Firma diktiert, wie der Vertrag aufzusetzen ist“
Als Sophie Biamino das Dokument begutachtet, traut sie ihren Augen nicht. Die Amtsdirektorin hat in den vergangenen Jahren Hunderte solcher Verträge verfasst und geprüft.
Alle fußen auf einem Standardvertrag, der die gesetzlich vorgeschriebenen Parameter enthält. Doch das Dokument, das die Amtsdirektorin jetzt vor sich liegen hat, ist ein völlig neuer Vertrag.
Von den 20 Klauseln in ihrem ersten Vertragsentwurf sind nur mehr neun im ursprünglichen Wortlaut vorhanden. Sechs Punkte im Vertrag werden von der OberAlp verändert und fünf Klauseln ganz einfach gestrichen. Es geht dabei nicht etwa um Nebensächlichkeiten, sondern um die Kernpunkte des Vertrages wie Produktbeschreibung, Transport- und Zollkosten, Lieferzeiten, Versicherungen und Lieferort. Ebenso wird das Zahlungsziel von 90 Tagen auf „sofort bei Lieferung“ umgestellt.
Sieben Monate später nimmt sich Sophie Biamino bei ihrer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages kein Blatt vor den Mund. Die Amtsdirektorin sagt:„Ich muss ehrlich sagen, das ist mir in meiner siebenjährigen Karriere als Ankäuferin zum ersten Mal passiert, dass die Firma diktiert, wie der Vertrag aufzusetzen ist.“
Der Sabes-VertragDer Vertrag, den die zuständige Amtsdirektorin Sophie Biamino am Nachmittag des 17. März 2020 an Oberalp geschickt hat. (Klicken Sie auf das Foto um das gesamte Dokument zu sehen)
Der OberAlp-VertragDer Vertrag, den der damalige OberAlp Finanzchef Manuel Stecher am späten Nachmittag des 18. März 2020 an den Sanitätsbetrieb zurückgeschickt hat und der von der Sanitätsführung kommentarlos angenommen wurde.
Der RücktrittWeil ihre Vorgesetzten an dieser unglaublichen Vorgangsweise anscheinend nichts auszusetzen haben, zieht Biamino die Reißleine. Um 09.15 Uhr des 19. März 2020 schickt die Amtsdirektorin eine E-Mail an Renato Martinolli, Abteilungsleiter Paolo Filippi und an die Verwaltungsdirektion des Sanitätsbetriebes.
„Guten Morgen,
mit vorliegendem Schreiben teile ich mit, dass ich nicht bereit bin, weiter dieses Ankaufsverfahren zu betreuen, da die von der Firma OberAlp vorgeschlagenen bzw. gewünschten Änderungen am Vertrag (siehe 1. Mail in der Anlage) meiner Ansicht nach weder rechtlich zulässig noch moralisch vertretbar sind.
Zudem hat die Firma OberAlp AG trotz Nachfrage bis heute weder technische Datenblätter noch CE-Zertifizierungen vorgelegt (siehe Schriftverkehr in der 2. Anlage). Abschließend sind im Angebot weder die Produkte (Beschreibung, Produktkodex, Hersteller usw.) noch die Mengen klar definiert (siehe Angebot, 3. Anlage).
Mit freundlichen Grüßen
Sophie Biamino.“Doch niemand aus den obersten Etagen des Sanitätsbetriebes reagiert auf diesen Rücktritt.
Sophie Biamino wird als Verfahrensverantwortliche einfach von ihrem Vorgesetzten Renato Martinolli abgelöst.
Besonders brisant sind aber die Vorgänge rund um diese Episode, die bis heute öffentlich nicht bekannt sind.Der „freiwillige“ AbgangIm Laufe ihrer Ermittlungstätigkeit hören die Ermittler der Carabinierisondereinheit NAS um Oberstleutnant Davide Perasso nicht nur über ein Dutzend Telefonanschlüsse ab, sie platzieren im Sitzungssaal des Sanitätsassessorats auch eine Wanze.
Dort zeichnen sie am Vormittag des 7. Mai 2020 ein Gespräch zwischen Thomas Widmanns rechter Hand Verena Lazzeri, Benjamin Reckla, dem persönlichen Referenten Widmanns, und der Ressort-Mitarbeiterin Barbara Schwienbacher auf.
Schwienbacher erzählt dabei, dass Sophie Biamino ihr gesagt habe, dass sie von Florian Zerzer unter Druck gesetzt worden sei.Nachdem Biamino das „Gutachten“ von Marc Kaufmann erhalten hat, meldet sich die Amtsdirektorin nochmals bei Florian Zerzer, um den Generaldirektor darauf hinzuweisen, dass es sich beim Schreiben Kaufmanns keineswegs um das von ihr angeforderte Gutachten nach Art. 34 handelt.
Zu diesem Schluss kommen auch Verena Lazzeri, Benjamin Reckla und Barbara Schwienbacher, die in diesem Gespräch eineinhalb Monate später das angebliche Kaufmann-„Gutachten“ analysieren.
Ihr Resümee: Das ist eine einfache E-Mail, die den Bedarf bestätigt. Mehr nicht.
Als Sophie Biamino Generaldirektor Florian Zerzer drauf hinweist, reagiert dieser ungehalten – und mit einer Drohung: „Wenn Sie das nicht unterschreiben, dann verlängere ich Ihren Auftrag nicht.“Sophie Biamino erzählt von dieser Drohung des Generaldirektors, ihr den Führungsauftrag als Amtsdirektorin zu entziehen, nicht nur Barbara Schwienbacher, sondern Monate später auch dem Autor dieses Zeilen.
Die engen Mitarbeiter Widmanns zeigen sich in dem abgehörten Gespräch Anfang Mai 2020 deshalb äußerst besorgt darüber, dass sowohl diese Geschichte als auch das angebliche Kaufmann-„Gutachten“ an die Öffentichkeit kommen könnten.
Verena Lazzeri sagt an diesem 7. Mai 2020 im breiten Dialekt:„Wenn das rauskommt, dann ist der Zerzer in die Eier.“
Direkte Folgen hat diese Geschichte hingegen für Sophie Biamino.
Am 18. Mai 2020 erklärt Landesrat Thomas Widmann in einer Besprechung im Sanitäts-Assessorat, dass ihm der Team-K-Landtagsabgeordnete Josef Unterholzner mitgeteilt habe, dass es im Sanitätsbetrieb einen „Maulwurf“ (talpa) gebe, der Informationen nach außen weitergebe. Laut Unterholzner sei diese undichte Stelle Sophie Biamino.
Thomas Widmann fordert deshalb in dieser Aussprache offen eine Versetzung Biaminos an eine andere Arbeitsstelle.
Keine zwei Jahre später verlässt Sophie Biamino den Südtiroler Sanitätsbetrieb. Die Juristin übernimmt die Leitung der Sozialdienste in der Bezirksgemeinschaft Pustertal.Artur Oberhofer/Christoph Franceschini: „Das Geschäft mit der Angst“. Ein Südtiroler Wirtschaftskrimi, edition arob, Bozen 2023.
Please login to write a comment!
Wenn das Land Privatbanken…
Wenn das Land Privatbanken braucht, um in einer Notlage das Möglichste zu leisten, dann frag ich mich wo das ganze Geld wohl gelandet ist, was in den letzten 40 Jahren in die öffentliche Sanität geflossen ist.
Natürlich sagt man uns dies und das....aber schon die Aussage, dass es eine ,,talpa,, in der Sanität gäbe, lässt mich verstehen wie alles hinter geschlossenen Türen passiert, kein Wort in die Öffentlichkeit.
Wären alle Dokumente oder Fakten frei bräuchte es keine ,,Talpa,,.
Die ,,Talpa,, ist somit arbeitslos.
„Ich muss ehrlich sagen, das…
„Ich muss ehrlich sagen, das ist mir in meiner siebenjährigen Karriere als Ankäuferin zum ersten Mal passiert, dass die Firma diktiert, wie der Vertrag aufzusetzen ist.“
Ja gut, das sind Staatsangestellte natürlich nicht gewohnt aber es ist ja eindeutig, mit dem abgeänderten und zurück gesendeten Vertragsentwurf signalisiert Oberalp kein Risiko bei diesem Geschäft übernehmen zu wollen bzw. das es dieses Risiko eintreten kann. Allein schon der Lieferort am Flughafen Xiamen in China bürgt ein nicht absehbares Risiko, wer bitte soll dort die Qualität/Quantität der Ware bestätigen.
Soweit man das beurteilen kann hat die Einkäuferin/Direktorin wohl Ihren Teil der Arbeit gewissenhaft gemacht, der Rest ist nur noch Dilettantismus.
Tolle Hilfe der Firma Oberalp
Sequestro conservativo subito
Sequestro conservativo subito
Auch bei wenig Licht kann es…
Auch bei wenig Licht kann es viel Schatten geben. Für Südtirol.
Abgesehen vom ganzen Rest ……
Abgesehen vom ganzen Rest … nur „Marktkonsultation“, also Ausschreibung, war wohl damals effektiv keine nötig da europaweit niemand liefern konnte. Zudem hätte eine rechtlich, saubere Ausschreibung wohl Wochen oder Monate in Anspruch genommen.
Der Rest ist natürlich echt Sch….e gelaufen. Und Gewinner gibt es hier sowieso keine mehr
Wenn Du sehr schnell eine…
Wenn Du sehr schnell eine Kuh brauchst kann es sein dass diese keine Milch gibt.
Wer das Buch gelesen hat…
Wer das Buch gelesen hat weiss was Sache ist!!!!
Wie war das mit den weiteren…
Wie war das mit den weiteren Angeboten für Schutzgegegnständen, die den Normen entsprochen hätten und zudem deutlich günstiger gewesen wären?
Haben diese "die besonderen Bedürfnisse von Widmann, Zerzer & CO nicht berücksichtigt?"