Stage | LM 24 Poetry Slam

Nice Nacht

Starke Evergreens und wenig Neues, das gegen den Strich gehen könnte. Die Slam-Sause der Landesmeister:innenschaft im Poetry Slam am Samstagabend war ein Fest mit vielen Gästen. Die Performances gibt es bald auch wieder in Wochenhäppchen als SALTO Podcast.
Landesmeister:innenschaft Poetry Slam 2024, Siegerfoto um Nathan der Nice
Foto: Jonas Eisenstecken
  • Mit einer heißen Auswahl für die siebenköpfige Jury – in der ersten Reihe konnte sich ein landbekannter Historiker und Grünen-Politiker nicht drücken – galt es für jeden der zehn qualifizierten Finalteilnehmer möglichst nahe an 50 Punkte heranzukommen. Die höchste und die tiefste der Wertungen von 1 bis 10 wird dabei gestrichen, für die Ermittlung der Siegerin oder des Siegers werden die Wertungen aus Runde 2 (ein Dreierfinale) gezählt. Das Zeitlimit beträgt 5 Minuten und die selbstverfassten Texte dürfen noch nie bei einer Landmeister:innenschaft gelesen worden sein. 

    Zuvor gab es eine unverkennbar von MC Lene Morgenstern geskriptete Videoerklärung des Slamformats von Bischof Ivo Musser. Den Verdacht anhand einiger Wortspielereien verhärtet später noch der Abspann des Abends. So sympathisch wie die Erklärung von Landeshauptmann Arno Kompatscher war die Wiederaufnahme des Gags nach einem Jahr aber nicht und mit vier Minuten auch etwas überlang.

  • Roberto Tubaro & Helga Plankensteiner: Für jazzig aufheizende Töne und die schwächsten Endreime des Abends sorgten Helga Plankensteiner und Roberto Tubaro mit seinen dreisprachigen Zwischenmoderationen. Foto: SALTO
  • Die Eichung des Publikums übernimmt dabei traditionsgemäß der Featuring Poet, der Bozen heuer nicht zum ersten Mal sieht. Er war auch schon für eine SAAV-Residency in Zusammenarbeit mit lungomare in Bozen zu Gast. Beginnend mit einem seiner ersten Slamtexte stimmte Filippo Capobianco (Italienmeister 2022 und Weltmeister 2023) das Publikum auf einen Poetry Slam Abend auf hohem Niveau ein. Wer auf den Talferwiesen dabei war, kannte das Material aber bereits. Die Liebesgeschichte zwischen einem Astrophysiker und einer „terrapiattista“, also einer Anhängerin der Flat Earth-Verschwörungstheorien, hatte die richtige Mischung aus Herz und Humor. Besonders mit einem starken Ende, das zeigt, dass sich auch eine wissenschaftliche Sicht auf der Welt mit Schönheit und einem Sinn für Wunder unter einen Hut bringen lässt, begeisterte Capobianco das Saalpublikum. Mit nur 0,1 Punkten Differenz zur Spitzenwertung hätte es der Profi außer Konkurrenz in Runde 1 auf Platz 2 geschafft.

    Hannah Tonner hatte Los-Pech und eröffnete den eigentlichen Bewerb, Helga Plankensteiner am Baritonsaxophon und Roberto Tubaro als Pianist und dreisprachiger Sänger peitschten sie mit Feuereifer auf die Bühne. Die junge Slammerin und Titelverteidigerin der Landesmeister:innenschaft, zeigte sich besorgt über das aktuelle politische Klima in Südtirol und darüber hinaus über das aktuellste Stichwort Österreichwahl. Mit einer Befragung historischer Figuren als Platzhalter für das eigene Gewissen – was würde Anne Frank/Sophie Scholl/Josef Mayr-Nusser tun? – und etwas Anklängen an „Deine Schuld“ von den Ärzten in ihrem Weckruf zum Aktivwerden, musste sie sich noch einen Moment auf ihre Wertung gedulden.

  • Nathan der Nice: Der junge Bühnenpoet zeigte sich auf Startplatz 2 in Topform und sammelte in Runde 1 wertvolle und notwendige Punkte. Foto: SALTO

    Gemeinsam mit Startnummer 1 sollte Startnummer 2 gewertet werden. Letztere hatte am Abend Nathan der Nice, der etwas agitierter in dieselbe Kerbe schlug wie Tonner kurz vor ihm. Aus der Perspektive eines überzeugten Krankenpflegers brachte er seine Message auf ein überspitztes und kraftvolles „fickt euch ins Knie“, das an alle rechten Populisten und wütenden Gutbürger geht. Ein sehr emotionales Plädoyer für mehr Menschlichkeit stieß auf großes Gefallen und erhielt 46,4 Punkte, etwas mehr als der Auftritt von Tonner.

    Mit Problemen der Haltung und einer anderen Körperlichkeit – kontrollierter, methodischer und weiblicher – näherte sich Lena Simonetti ihrem Slamauftritt an. Es ging ihr um das Gefühl des Körpers und Sorgen vor dem Älterwerden, dem sie auch etwas Positives abgewinnen kann: Die Zunge bleibt auch im Alter faltenfrei und formbar. Ein gewagter Perspektiven-Wechsel, der nicht ohne viel Schweiß und Speichel auskommt und mit Simonettis gewohnten „mercì“ endet, fand mittlere Anerkennung.

    Filomena Hunglinger brachte einiges an Beziehungsdrama mit auf die Bühne und verarbeitete ihren Trennungsschmerz im Slamformat. Ein Altersunterschied und die mangelnde Bereitschaft, psychologische Hilfe anzunehmen, waren nur zwei der tiefen Beziehungseinblicke, die Hunglinger gewährte, was vielleicht auch für die eine oder den anderen in der Jury zu persönlich war.

    Entlang von Ding-Listen teilte Annalena Kluge mit, wie sie sich bei der Altenpflege denn das Älterwerden und das „im hohen Alter wieder „Kleinsein““ vorstellt. Der jungen Poetin ging es dabei auch um das Thema „Zuhause sein“ und der Erinnerung, die jeden Umzug mitmacht. Mit ihrem Zuhause in Erinnerungen machte sie sich auch Sorgen, wie es wohl sein würde, wenn man einst auch aus diesem letzten, inneren Zuhause ausziehen muss.

    Für eine willkommene Abwechslung sorgte die für ihre Direktheit und Publikumsbeschimpfungen ohnehin schon bekannte Ania Viero, zweisprachig in Deutsch und Italienisch abwechselnd, indem sie kurzerhand ihr Publikum in der Hölle willkommen hieß. Die Hölle, das sind immer die anderen, da war es spannend, mal selbst kein moralisches Beispiel sein zu müssen. Viero vermittelte Sympathie für das Publikum und das zeigte Sympathie für den von der Slammerin an die Stadttheaterwände gemalten Teufel. 45 Punkte reichten nur knapp nicht für einen Platz unter den besten drei, den sich Viero unseres Erachtens nach verdient hätte.

    Michaela Grüner bringt humorvoll Dating- und/oder Trennungs-geschichten mit „Georg“ mit. „Nicht Sie, Georg Mair“, ging gleich zu Beginn die Anmerkung an den Kollegen der ff in der zweiten Reihe. Der Georg der Geschichte redet sich immer wieder raus und glänzt mit unpassendem Trivia-Wissen zum Aphrodisiakum Spargel. Welchen Narren Grüner in der Geschichte auch an Georg frisst, sie weiß es wohl selbst nicht und so wird bei dem Trennungsgespräch ein weiteres Date ausgemacht. Das hätte es wohl in Runde 2 gegeben, die Punkte reichten dafür aber nicht.

    Silva Manzardo, von der man vielleicht die einzige Performance im Bewerb auf Italienisch erwartet hätte, verweigerte sich einer Quotenrolle und sprach lieber über die Vorliebe ihrer Eltern für „necrologi“ oder auf Deutsch: Todesanzeigen. Ihrem „Lyrischem Ich“, das für die Dauer des Textes auf den Namen „Sepp“ hört und Dialekt spricht, gab Manzardo die einmalige Gelegenheit, an seiner Todesanzeige und an seinem Nachruf einiges richtigzustellen, bevor er sich zum 4er Watten in den Himmel zurückverabschiedet. 

  • Olivia Kaufmann: Auch diese junge Slammerin darf ohne weiteres einer starken, neuen Generation auf Südtirols Slambühnen zugerechnet werden. Foto: SALTO

    Olivia Kaufmann konnte als Vorletzte in Runde 1 die Energie im Saal kanalisieren: Ihre Performance – wegen der „toxischen Beziehung“ zum Drucker aus dem Gedächtnis – gelang der Poetin sehr gut, die darüber sinnierte, was es denn bedeuten könne, wenn man sich im Leben immer zweimal sieht. Durch die Jahre und Jahrzehnte nimmt ein „Lyrisches Du“, das sich genau so verändert wie das „Lyrische Ich“ Kaufmanns, lediglich ein „Lächeln wie Schmuck“ mit, das zur schönen Konstante auf einer Reise zum zukünftigen „Ich“ und dem zukünftigen „Du“ wird, am Ende aber wohl doch nicht zu einem „Wir“ führt. 47,1 Punkte gab es für einen starken Auftritt zwischen Fremdheit und Nähe.

    Die Aufgabe, Runde 1 vor einer kurzen Pause zu beschließen, übernahm der Halb-Brite, Halb-Welschnofner Seamus Wimhurst. In seiner Multikulturaltitäts-Identität glaubhaft, fand damit auch anteilweise Englisch als Bühnensprache Anwendung. Ob er sich denn mehr als Südtiroler oder als Brite fühle, wollte eine Lehrerin von ihm wissen, was der Slammer mit „download fucking Dualingo“ quittierte. Der Slammer mit dem losen (Bühnen-)Mundwerk war uns eine Spur zu krass, besonders wenn es um Gewaltfantasien gegenüber rassistischen Omas geht. Beim Publikum traf Seamus Wimhurst jedoch einen Nerv und konnte ins Dreierfinale einziehen, mit satten 48 Punkten.

  • Finalissima

    Bevor Nathan der Nice, Olivia Kaufmann und Seamus Wimhurst nochmal ans Mikro durften, war abermals Filippo Capobianco mit einer weiteren Performance dran. Mich persönlich störte auch nicht, dass ich noch Talferrauschen in den Ohren hatte, da ich bei Lungomare und SAAV im Mai mit dabei gewesen bin. Von den während einer kurzen Residency entstandenen Texten las Capobianco unseren zweitliebsten von dreien. Da es um die drei Flüsse der Landeshauptstadt und das gegen den Strom schwimmen geht, wundert es nicht, dass die Wiederholung in strömenden Applaus mündet.

    Begeisterung und Musikbegleitung für den zweiten Gang auf die Bühne von Olivia Kaufmann mit einem Text zum Auseinanderleben. Einer der ersten Slamtexte aus der Feder der jungen Poetin kommt erstmals ans Mikro. In diesem Text gibt es statt Schuldsuche den sehr viel universelleren Tipp, sichAbstand zu nehmen und zu geben. Das „Freunde bleiben“, an das die Beziehung von Anfang an geknüpft war, fällt dabei schwer, was wichtig und richtig ist, geht dabei vor: „Erst mal heilen.“ Manche Dinge brauchen Zeit. 

    Nathan der Nice machte sich Gedanken zum 19 Jahre alt sein: Gerade erst volljährig findet sich der Autor mit einem Kopf auf den Schultern, der zum Dialog mit einem selbst reicht. Dazu kommt Umbruch, neue Stadt und neue Menschen, die auf alte, mitgebrachte Unsicherheiten stoßen. Immer wieder gibt es Einwände der Regie, die mit einem lauten „Cut“ den Gedankenfluss unterbricht, wenn dieser ins Negative zu trudeln droht. Am Ende kann Nathan der Nice nur relative Sicherheiten ausmachen, aus seinem Kopf und seinem Grundzweifel nur ein Stück weit ausbrechen und nicht weg davon kommen.

    Ungewöhnlich sollte die finale Textauswahl von Seamus Wimhurst ausfallen, der sich für einen Bericht zu seinem Sommerjob und dem unmöglichen Verhalten der Kundschaft eines Dorfladens entschied. Im Text „Pancetta“ ging es zwar mehr um die Obst- und Gemüsetheken, was für Wimhurst aber nicht reichen sollte, um nicht abermals über alte Frauen zu schimpfen. Grund für diesen „Beef“ war dabei, dass eine Oma wissen wollte, ob die Ananas im Angebot denn eine heimische sei. Zum heimischen Irrsinn mischen sich dann an Ferragosto noch die Gäste von außerhalb und das Chaos ist perfekt.

  • Finales Foto: Von links nach rechts sind Finalistin Olivia Kaufmann (2.), sowie die Finalisten Nathan der Nice (1.) und Seamus Wimhurst (3.) zu sehen. Foto: Jonas Eisenstecken

    Vor Bekanntgabe des Endergebnisses ging noch einmal Slam-Champion außer Konkurrenz, Filippo Capobianco ans Mikro für eine Performance, in der es darum gehen sollte, was ihm Bühne und Slam bedeuten. Ebenfalls schon mal gehört doch auf Talferwiesengrund statt dort, vor Ort, auf den Brettern, die die Welt bedeuten.

    Ein Summieren von erster und zweiter Runde war nicht vorgesehen, der Sieger stand damit fest: Die meisten Punkte in Runde 2 (48,2) konnte Nathan der Nice erstreiten, nach ihm folgten Olivia Kaufmann (46,7 Punkte) und auf Platz 3 Seamus Wimhurst (44,3 Punkte). Ein nicer Abend mit nicen Texten – und kaum Überraschungen – hatte damit seinen nicen Sieger gefunden. Wir gratulieren.

  • Po-Po-Poetry and Points

    Der SALTO Podcast mit Aufnahmen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Landesmeister:innenschaft folgt auch heuer wieder. Bleiben Sie gespannt.