Passione e poesie
Nachdem die Ausstellung des in Florenz wohnhaften Ton und Zeit-Künstlers Albert Mayr abgebaut wurde, installierten die Museion-Ausstellungsmacher*innen erneut eine Schau mit Florentiner Bezug. Lucia Marcucci wurde nämlich 1933 in Florenz – wo sie heute noch lebt und arbeitet – geboren, am 29. Juli, vor immerhin 90 Jahren. In den 1950er-Jahren begann die Künstlerin in ihre Collagen poetische Deutungen einzubauen und wurde kurz darauf Teil des berühmtberüchtigten Gruppo ’70. Als die Gruppe sich Ende 1968 auflöste, begründete Marcucci zusammen mit weiteren visuellen Dichtern und Dichterinnen den Gruppo Internazionale di Poesia Visiva, setzte ihre künstlerischen Abenteuer fort und entwickelte ihre neueren Arbeiten verstärkt zu noch autonomeren Themenfeldern. Auch in ihrem Schaffen der letzten Jahre bedient sich die Künstlerin stets der Collagetechnik, indem sie sich auch der digitalen Welt öffnet.
Wie Lucia Marcucci ihr Spannungsfeld zwischen Wort und Bild definiert und ausschmückt ist in der am vergangenen Freitag eröffneten und von Frida Carazzato liebevoll kuratierten Ausstellung Poesie e no zu sehen. Die Museion Passage widmet damit der führenden Vertreterin der visuellen Poesie in Italien eine kleine Schau mit doch zahlreichen Werken, die vor allem Marcuccis künstlerische Forschung und Experimente der 1960er- und 1970er-Jahren zeigen. Sie erzählen vom Italien der Nachkriegszeit, vom wirtschaftlichem Aufschwung, von der sozialen und politischen Neuordnung, von Studierendenprotesten, sowie dem Aufkommen feministischer Bewegungen.
Der Titel der Ausstellung – Poesie e no – geht zurück auf eine Aufführung von Gedichten von Lamberto Pignotti und Eugenio Miccini, die auf Einladung Lucia Marcuccis erstmals 1963 unter der Regie von Enrico Sirello stattfand. Das Happening wurde in den darauffolgenden Jahren mehrmals wiederholt und erfährt nun, genau sechs Jahrzehnte nach dem Entstehen, in Bozen eine wortwörtliche "Wiederauferstehung". Poesie e no will deutlich machen, wie Marcuccis künstlerische Praxis „stets bestimmt ist“ (und war), von der Begegnung zwischen „hoher“ und „niederer“ Kultur, „zwischen literarischer Sprache und jener des durch die Massenmedien vermittelten Alltags“. Ihre vielen kleinteiligen Arbeiten können auch als Hommage an die „dadaistisch-futuristische Tradition“ (etwa bei Hannah Höch) gelesen werden. Sie inspirierten auch die vom Grafikstudio Bruno (wie bereits bei Albert Mayr) angepasste Ausstellungsgestaltung.
Auch im Piccolo Museion – Cubo Garutti sind Arbeiten Marcuccis zu sehen, sie sind aber einer jüngeren Werkphase zuzuordnen und zeigen ikonische Bilder der Kunstgeschichte – etwa Botticellis Venus oder Leonardos Mona Lisa, die „auf große Leinwände gedruckt und durch malerische, mit ihrer Aneignung durch die Massenkultur spielende Interventionen, von der Künstlerin erweitert wurden.“ Parallel zu der Ausstellung im Museion präsentiert zudem die Ar/Ge Kunst in Bozen die von Francesca Verga und Zasha Colah kuratierte Schau L’Offesa.