Südtirol braucht keine Windenergie

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Hat sich die Rechtslage geändert?
2010 hatte die Landesregierung zunächst ein Projekt von LEITWIND zur Aufstellung von 19 Windrädern am Sattelberg beim Brenner genehmigt. 2012 war eine Klage der Umweltorganisationen AVS, CAI, OeAV, CAA, Naturfreunde Österreich und anderer angenommen und 2014 der Rekurs der Projektbetreiber vor dem Staatsrat abgewiesen worden (vgl. SALTO). Damit schien besiegelt, dass Südtirol vorerst auf die Nutzung der Windenergie verzichtet. Nun möchte der Bürgermeister der Gemeinde Brenner, Martin Alber, das ändern und hat in einer Studie die Kosten einer solchen Anlage analysieren lassen. 8 „mittelgroße“ Windräder sollen jährlich 30 Mio kWh Strom erzeugen bei Investitionskosten von 30 Mio. Euro. Die Bevölkerung der Gemeinde Brenner sollte dabei einen Nutzen haben, die Beteiligung der Bürger sei Voraussetzung für den Bau dieser Anlage. Die Wasserkraft, so BM Alber, sei mit Ausnahme des Platzerbachs, bereits ausgeschöpft. Laut Studie des Unternehmens Patscheider sei aber auch die Photovoltaik noch stark ausbaufähig. Mit Recht kann man die Frage aufwerfen, ob es die Windnutzung überhaupt braucht, ob sich der rechtliche Kontext wesentlich geändert hat und warum die Gemeinde Brenner neue Rechtsstreitigkeiten vom Zaun brechen will.
Energieautarkie überhaupt nötig?
BM Alber begründet das Projekt auch damit, dass seine Gemeinde in Richtung „Energieautarkie“ arbeiten will. Auch wenn die dezentrale Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen eine Hauptdevise der Energiewende ist, wäre Autarkie auf Gemeindeebene völlig überzogen. Die komplette Versorgung einer Gemeinde mit Energie aus Wasserkraft, Wind, Solar und Biomasse wäre zwar in Einzelfällen möglich, aber wegen der Dunkelflauten und Jahreszeitschwankungen bräuchte es dann hohe Speicherkapazitäten. Sollten diese nur für einzelne Gemeinden aufgebaut werden und wie? Ist das ökonomisch sinnvoll, wenn grüner Strom billiger von außen bezogen werden kann?
Zwischen bilanzieller Selbstversorgung und „Autarkie“ besteht ein Unterschied. Für ganz Südtirol ist eine solche permanente Eigenversorgung mit grünem Strom technisch auf absehbare Zeit nicht realisierbar. Auch in Zukunft wird es in den wasserkraft- und solarschwachen Monaten den Import von erneuerbarem Strom brauchen. Doch müssen auf jeden Fall höhere Kapazitäten bei Leitungen und Speichern aufgebaut werden, die dem ganzen Land dienen. Südtirol würde damit nicht autark, könnte sich aber „bilanziell“ selbst mit erneuerbarer Energie versorgen. Dieses Ziel hat sich auch das Bundesland Tirol in seinen Energie-Ziel-Szenarien für 2050 gesetzt. Es kann zeitlich versetzt – vor allem aus der Wasserkraft – so viel grünen Strom exportieren als es an Stromimporten benötigt. Die Gemeinde Brenner sitzt zudem fast an der Quelle, weil die transalpinen Leitungen über den Brenner laufen. Generell muss das Land zunächst den künftigen Strombedarf, die gesamte Energieinfrastruktur und Stromerzeugungskapazität bis 2040 landesweit planen. Laut Klimaplan 2040 (S. 63) hat eine landesweite Potenzialanalyse für die Windkraftnutzung zu erfolgen.
Braucht Südtirol Strom aus Windparks?
Südtirols Stromversorgung ist als Ganzes zu betrachten. Sie ist über die Leitungsinfrastruktur tief in den nationalen Verbund Italiens integriert und wird laut Klimaplan größere Speicherkapazitäten benötigen, etwa mit Pumpspeicherkraftwerken. Mit dem Ausbau der PV-Kapazitäten auf mindestens 1800 MW installierte Leistung, der Effizienzsteigerung der bestehenden Wasserkraftwerke um 20% - wie vom Klimaplan 2040 vorgesehen - und etwas Stromimport wird das Land über genug Strom aus erneuerbaren Trägern verfügen. Als Reserve steht auch die Agriphotovoltaik bereit, die theoretisch auf einem hohen Anteil der Obstbauflächen landschaftsschonender als Windräder montiert werden kann. Obwohl eine Energiebilanz 2050 (Energieszenario) noch aussteht, lässt sich sagen, dass die anderen Quellen für die Energiewende reichen.
Eignet sich Südtirol für die Nutzung der Windenergie?
Für die effiziente Nutzung von Wind kommen in Südtirol nur Gebirgszonen in Frage. In Nordtirol geht man davon aus, dass „unabhängig vom jeweiligen Bezirk energiewirtschaftlich nutzbare Windpotenziale in Tirol jedoch erst ab einer Seehöhe von etwa 1.800 m erreicht werden“ (SALTO, 24.10.24). Laut Experten liegen Dreiviertel des Windpotenzials südlich des Inntales und Innsbruck bei einer optimalen Lage von 35% Hangneigung über 2.000 Meter Höhe, also Hochgebirge. Doch gerade diese Lagen sind alpine Schon- und Schutzgebiete wie in Südtirol.
Auch wenn irgendwo Voralpengebiete für Windenergienutzung in Frage kommen, eignen sich die Zentralalpen nicht dafür, wie die Naturfreunde Österreichs in einer Studie betonen. „Natürlich braucht man in Zukunft viel mehr Windräder als heute, aber es hat aus ökonomischer Sicht wenig Sinn, diese in abgelegenen Regionen ohne Strom- und Gasinfrastruktur zu betreiben, auch wenn die Windausbeute in höheren Regionen und im Gebirge durchschnittlich größer als am flachen Land ist (wobei sie in Küstennähe unvergleichlich größer und stetiger ist). In diesem Fall lassen sich also ausnahmsweise die Ziele der Ökonomie mit jenen der Ökologie vereinen,“ betont der Energieexperte Manfred Pils in dieser Studie.
Keine Windräder im sensiblen Gebirgsraum
Südtirol braucht nicht ohne Not seine Hochgebirgslandschaft mit Windturbinen zu „verspargeln“, zumal es heute schon viel Wasserkraftstrom ins nationale Netz einspeist und in Zukunft andere erneuerbare Quellen ausreichend nutzen kann. Aus bloß wirtschaftlichen Gründen muss die Gemeinde Brenner nicht ihre Landschaft zu verbauen. Es wäre ein kurzsichtiger und letztlich auch ökonomisch schädlicher Raubbau an der Landschaft. Die Windkraft kann anderswo - vor allem offshore - effizienter und weniger landschaftsstörend genutzt werden. Das wäre nicht Ausdruck des NIMBY-Prinzips (not in my backyard), sondern die berechtigte Position eines Landes und von Gemeinden, die ihren Beitrag zur Erzeugung erneuerbarer Energie schon leisten. Bei uns müssen die Energiesicherheit (Speicher- und Netzkapazitäten), der Landschaftsschutz, die Integrität der Landschaft, der Artenschutz und die Erhaltung von Erholungsräumen für Einheimische und Besucher im Vordergrund stehen. Ein hoher Anteil der Gäste wird in Zukunft aus Gebieten mit Windrädern kommen: sollen diese auch im Urlaub durch ein Spalier von Windrädern wandern müssen?
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