„Südtirol ist nicht nur Apfelland“
-
SALTO: Frau Daurù, wieso ändert sich gerade das Ernährungsverhalten unserer Gesellschaft?
Ivonne Daurù: Menschen essen heute viel bewusster. Man wählt mehr vegetarische Speisen, auch wenn man kein Vegetarier ist. Das tun Menschen wegen der Umwelt, aber auch wegen der eigenen Gesundheit. Zudem wollen die Leute wissen, woher die Zutaten der Speisen stammen, welche Qualität und Herkunft sie haben. Das gilt für die Gastronomie, aber auch für die Gemeinschaftsverpflegung in Schulen, Seniorenheimen und sozialen Einrichtungen.
Regional und saisonal klingt gut, ist aber häufig schwer umsetzbar. Was sind hier die größten Herausforderungen?
Vor großen Herausforderungen stehen alle Akteure. Die Köchinnen und Köche müssen sich unter anderem mit der Herkunft der Lebensmittel auseinandersetzen, das bedeutet häufig einen Mehraufwand. Zum Zweiten sollte das Angebot lokaler Lebensmittel in Südtirol gesteigert werden. Tatsächlich haben Mensen Schwierigkeiten, regionales Gemüse in größerer Menge regelmäßig einkaufen zu können. Landwirte könnten sich deshalb zusammensetzen, um gemeinsam ein größeres Angebot zu schaffen, beispielsweise in Form einer Genossenschaft. Um saisonale und regionale Zutaten zu verarbeiten, braucht eine Küche zudem flexible Speisepläne.
„Sieht man sich die Daten an, dann machen lokale Lebensmittel sehr wohl einen Unterschied in der CO2-Bilanz.“
Könnten Sie ein Beispiel geben?
Vor allem am Anfang ist es für die Küche eine große Umstellung. Dabei ist es wenig hilfreich, das Ganze mit einem Schwarz-Weiß-Denken anzugehen. Man kann einen Teil regional anbieten und was nicht erhältlich ist, kann überregional eingekauft werden. Es wäre gut, wenn man in den Mensen bestimmte Produkte wie Kartoffel, Äpfel, Kohlgemüse, aber auch Fleisch, Milch und deren Produkte und Eier aus Südtirol verwenden würde. Das wäre schon ein großer Schritt nach vorne.
Bei diesen Lebensmitteln dürfte es genügend Angebot in Südtirol geben.
Das Angebot ist da. Natürlich gibt es Einrichtungen wie ein Krankenhaus, die einen riesigen Bedarf haben und hier würde das lokale Angebot an Eiern beispielsweise nicht ausreichen. Oft hemmen bürokratische und gesetzliche Hürden sowie die Preisfrage beim regionalen Einkauf. Man sollte gerade bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand viel mehr qualitative Kriterien einführen als quantitative. Wenn nur das Unternehmen gewinnt, dass den geringsten Preis anbietet, gewinnt meistens jemand außerhalb Südtirols.
-
Zur Person
Ivonne Daurù, geboren 1973 in St. Ulrich, studierte in Wien Ernährungswissenschaften und lehrte an der Fachschule für Hauswirtschaft und Ernährung in Haslach sowie an der Landesfachschule für Sozialberufe Hannah Arendt in Bozen. Seit 2012 in der Projektarbeit zu Gesundheitsförderung tätig. Im Jahr 2014 machte sich Daurù selbstständig und beratet heute sowohl Betriebe und Einzelpersonen im Gesundheitszentrum St. Josef in Bozen.
-
Was schlagen Sie vor?
Es sollte politisch gefördert werden, dass lokale Produkte in der Gemeinschaftsverpflegung Platz finden. Um lokale Kreisläufe zu schaffen, braucht es das Zusammenspiel aller Akteure. Es müssen alle in die gleiche Strömung rudern. Wenn wir warten, bis die Landwirte aktiv werden, dann geschieht vielleicht lange nichts. Wenn aber etwa mit politischen konkreten Maßnahmen die Nachfrage nach lokalem Obst und Gemüse angekurbelt wird, dann könnten die Bauern motiviert sein, ihr Angebot spezifisch und vielfältig aufzustellen.
Professor Christian Fischer von der Uni Bozen plädiert im Interview mit SALTO dafür, Lebensmittel in Regionen mit den besten Standortbedingungen anzubauen. Also Äpfel in Südtirol und Kaffee in Äquatorregionen. Wie stehen Sie dazu?
Sicher gibt es Produkte wie Bananen, Kaffee oder Kakao, die bei der Gemeinschaftsverpflegung nicht fehlen können. Was bei diesen Produkten aber noch mehr gemacht werden sollte, ist auf den fairen Handel zu achten. Das wird noch viel zu wenig beachtet und hier liegt noch großes Potential.
-
Wie können lokale Kreisläufe trotzdem gestärkt werden?
Südtirol ist nicht nur Apfelland. Wir hätten die Bedingungen, um Gemüse und verschiedene Obstsorten anzubauen. Ich fände es gut, wenn die Bauern sich vielseitiger aufstellen würden und sich nicht nur auf eine Gemüse- oder Obstsorte spezialisieren.
Der Apfelanbau wurde in den letzten Jahrzehnten optimiert, Äpfel sind heute Südtirols Exportschlager.
Das finde ich nicht gut. Selbst in der Gemeinschaftsverpflegung werden Äpfel aus Neuseeland und nicht aus Südtirol gekauft, weil ihr Preis nicht konkurrenzfähig ist. Sieht man sich die Daten an, dann machen lokale Lebensmittel sehr wohl einen Unterschied in der CO2-Bilanz. Eine italienische sonnengereifte Tomate, die im Sommer-Herbst in einer Schul- oder Kindergartenmensa angeboten wird, verursacht viel weniger CO2-Ausstoß als eine Tomate aus dem spanischen Gewächshaus im Winter. Während den Wintermonaten sollte deshalb auf die Tomate im Salatbuffet verzichtet werden.
Mit welchen Anliegen treten Schulen, Hotels und Seniorenheime an Sie heran?
Ich werde in der Regel angefragt, um gemeinsam ein nachhaltiges Speisenangebot zu entwickeln. Mensen und die Hotellerie wollen ein alternatives Angebot zu Fleischgerichten schaffen, hier begleite ich Küchen in der Gestaltung eines vegetarischen und umweltfreundlichen Speisenangebots. Aktuell begleite ich das Priesterseminar und die Cusanus-Akademie in Brixen, hier haben wir uns für einen komplett vegetarischen Wochentag entschieden. In anderen Projekten war es das Ziel, neben dem klassischen Fleischgericht täglich auch ein veganes oder ovo-lakto-vegetarisches Gericht anzubieten.
„Eine Ernährungsweise mit einem reduzierten Anteil an tierischen Produkten ist ausgewogen und gesund.“
Fleischgerichte spielen in Südtirol eine starke Rolle oder?
Ja, sie spielen eine starke Rolle. Gerade jüngere Gäste wählen aber immer mehr vegetarische Speisen. In Zukunft wird es also mehr Menschen geben, die ihren Fleischverzehr stark reduzieren.
Wie beurteilen Sie diesen Trend als Ernährungscoachin?
Ich finde das sehr gut. Eine Ernährungsweise mit einem reduzierten Anteil an tierischen Produkten, wie Fleisch und Fleischware, ist ausgewogen und gesund. Wichtig dabei wäre, dass man bei der Wahl eine artgerechte Tierzucht bevorzugt und auf die Qualität, wie auf die biologische Landwirtschaft achtet. Das Angebot an regionalem Fleisch ist für private Verbraucherinnen und Verbraucher in Südtirol genügend vorhanden, Metzger bieten viel einheimisches Fleisch an.
Was sagen Sie zur veganen Ernährung?
Die Debatte wird aus meiner Sicht viel zu emotional geführt. Ich begrüße es, wenn in der Gemeinschaftsverpflegung für Erwachsene auch vegane Gerichte angeboten werden, beispielsweise mit Hülsenfrüchten wie Bohnen, Linsen und alternativen Getreidesorten. Bei Kindergärten und Schulmensen finde ich ovo-lakto-vegetarische Menüs mit Bohnen und Linsen sehr wichtig. So merken Jugendliche, dass auch vegetarische Gerichte gut schmecken und lernen diese zu mögen. Heute ist die Gemeinschaftsverpflegung noch viel zu fleischlastig.
„So entstehen falsche Überzeugungen, die zu einem erhöhten Verzehr von tierischen Produkten führen.“
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Einstellung zu Lebensmitteln?
Ja, das merke ich bei meiner Arbeit häufig. Vor allem bei Mensen oder Restaurants, die von Handwerkern besucht werden, stoßen rein vegetarische Hauptspeisen noch stark auf Kritik. Andererseits sind vegetarische Speisen in Mensen mit Büroangestellten heute viel beliebter als damals, weil sie meist auch verdaulicher sind. Es hängt tatsächlich von der Zielgruppe ab. Vor allem Männer, die eine körperliche Arbeit verrichten, verlangen nach Fleischgerichten.
Haben Fleischgerichte mehr Eiweiße als Hülsenfrüchte?
Nein, Eiweiße können auch genügend mit vegetarischen Speisen zu sich genommen werden. Es ist eine falsche Ansicht, dass nur Fleisch Kraft gibt. Aus Sicht der Ernährungsphysiologie weiß man, dass auch vegane und vegetarische Speisen viel Energie und Eiweiße liefern. Es ist eine Kopfsache. Gerade heute wird eine eiweißreiche Kost propagiert, vor allem in den sozialen Medien. So entstehen falsche Überzeugungen, die zu einem erhöhten Verzehr von tierischen Produkten führen.
Lokal produzieren für unsere Mensen: Vergabe & Einkauf. A gmahnte Wies?Die Veranstaltung wird von der BASIS Vinschgau Venosta und dem Südtiroler Köcheverband (SKV) organisiert und findet am 4. Juli 2024 in der BASIS in Schlanders statt.
In dieser 3. Auflage des Veranstaltungsformats „A gmahnte Wies“ geht es um das Thema Gemeinschaftsverpflegung in den öffentlichen und privaten Mensen. Ivonne Daurù und andere Expertinnen und Experten werden darüber sprechen, wie man die öffentliche Ausschreibung und den Einkauf so gestalten kann, dass lokale, gesunde Lebensmittel auf den Tisch kommen und die lokalen Kreisläufe gestärkt werden.
14:00 Uhr Ausstellungseröffnung „A is for Apple“
14:30 – 16:30 Uhr Fachvorträge
Peter Defranceschi, Direktor von ICLEI Brüssel und Koordinator des globalen Ernährungsprogramms CityFood
Alberto Ritucci, Verantwortlicher für Schulverpflegung und Ernährungsbildung der Stadt Turin
Ivonne Daurù, Ernährungscoach & Beraterin im Bereich Gemeinschaftsverpflegung
Heidi Altstätter, Köchin in der Schulmensa Schlanders
Ab 16:30 Uhr Markt lokaler Bäuerinnen und Bauern
18:30 – 20:00 Uhr Diskussionsrunde mit Expertinnen und Experten
20:00 Uhr Aperitif
21:00 Uhr Film „Käseherstellung in den Alpen – eine Geschichte der Integration“
Mit musikalischer Umrahmung von Fabienne Runggaldier und dem Kinderprogramm von Elki Schlanders
More articles on this topic
Society | ErnährungLebensmittelproduktion heute und morgen
Economy | LandwirtschaftBauern gesucht!
Society | LandwirtschaftWir sind Teil der Lösung
Am Beispiel des heurigen…
Am Beispiel des heurigen Frühjahres, (April - Mai + 1/2 Juni) war die Bodentemperatur für meisten Gemüsesorten zu kalt. Statt zu keimen, sind viele Samen im Boden verfault.
Sogar für das Unkraut hat erst die vergangenen Tage, dafür aber Bürsten-dick gekeimt.
Ganz schwierig wird die Abstimmung zwischen Bedarf + der nicht immer Erfolg-reichen Ernte.
Besonders störend sind die Überschuss-Billigstangebote von Irgend-woher, die zu untersten Preisen abgeboten werden, weil sie sonst Kosten-pflichtig entsorgt werden müssten.