Berlusconi
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Politics | Parteienchaos

25 Parteien, 373 Wendehälse

In Italien vergeht kaum eine Woche ohne Gründung einer neuen Partei. Die Balkanisierung der Politik scheint unaufhaltsam
Italiens Politik gleicht immer mehr dem Reich des Surrealen. Die Parteien bekriegen sich in einem vehementen Wahlkampf, in dem es an Tiefschlägen nicht fehlt. Dass Neuwahlen erst in einem Jahr stattfinden, scheint im Gefechtslärm nebensächlich. Die von allen Parteien bekundete Bereitschaft, das neue Wahlrecht rasch über die Bühne zu bringen, ist einem stillschweigenden Boykott gewichen. Denn mit der mutmaßlichen Rückkehr zum Verhältniswahlrecht weiß jede Partei, dass sie keine Chance auf alleinige Regierung hat.  Ohne Bündnisse läuft in Zukunft nichts - ein System , in dem auch  für die Kleinen was abfällt. Neue Parteien schießen wie Pilze aus dem Boden - von  der rechten Italia sovrana über Sgarbis Partito Risorgimento bis zu Casinis Centristi per l'EuropaDie vorerst letzte wurde gerade am 18. März aus der Taufe gehoben: Alternativa popolare. Taufpate ist Aussenminister Angelino Alfano. Neue Partei, alte Gesichter: Fabrizio Cicchitto, Roberto Formigoni, Maurizio Lupi.  Vielsagend das Programm: "Siamo qui per voltare pagina."
Die Zahl der politischen Formationen im Parlament hat sich auf 25 erhöht. Jene der Wendehälse ist auf 373 gestiegen - ein trauriger Rekord, der bescheinigt, dass 40 Prozent aller Parlamentarier Partei gewechselt haben.  Von der Vielzahl an Fraktionen und Gruppen in der Kammer standen 2013 lediglich vier auf dem Stimmzettel. Im Senat sind es 19, von denen vier allein in den letzten Wochen entstanden sind. Diese hektische Aktivität bildet ein eindrückliches Kontrastprogramm zum sonstigen Stillstand im Parlament.  Im Verfassungsausschuss der Kammer stauen sich Gesetze, vom Verfall bedrohte Dekrete und über 20 verschiedene Entwürfe zur Reform des Wahlrechts. Im Plenum herrschte dagegen bei der Euthanasie-Debatte gähnende Leere.

 Grillo annulliert Vorwahlen in Genua

Die Parteien sind indessen mit internen Grabenkämpfen beschäftigt. Matteo Renzi konzentriert sich auf die Vorwahlen für den PD-Vorsitz. Sein chancenloser Konkurrent Michele Emiliano führt den Wahlkampf seit Wochen mit Tiefschlägen und massiven Beleidigungen. Der blasse Justizminister Orfeo bietet sich als Kompromisskandidat an. Renzis klarer Sieg steht außer Zweifel. Lega-Chef Matteo Salvini muss sich nach seinem missglückten Auftritt in Neapel heftige Vorwürfe der alten Lega-Garde um Umberto Bossi gefallen lassen, die den Wechsel von der territorialen zur nationalen Partei boykottiert. Silvio Berlusconi will erst Ende Mai kommenden Jahres wählen - in der Hoffnung auf ein positives Urteil des Strassburger Gerichts für Menschenrechte. Die Fünfsterne-Bewegung beginnt allmählich zu begreifen, dass sie alleine nicht regieren kann. Allianzen lehnt sie dennoch ab. Di Maios utopischer Vorschlag:" Ci presenteremo alle camere, senza offrire poltrone, chiedendo di condividere il nostro programma." Die "comunarie" des M5S für die bevorstehenden Gemeindewahlen bezeugen auffällig geringes Interesse und lösen intern heftige Polemiken aus. Besonders in seiner Heimatstadt Genua, wo Grillo die Vorwahlen kurzerhand annuliert hat, weil ihm die Bürgermeister-Kandidatin  Marika Cassimatis nicht in den Kram passt - ein eigenwilliges Demokratiekonzept. Auch in Monza wurde die Siegerin zum Rücktritt gezwungen. In Lecce genügten dem Bürgermeisterkandidaten 31 Stimmen, in Frosinone 18, in La Spezia 29. In der Basis herrscht Verärgerung.

Nie war die Politikverdrossenheit größer. Für Premier Gentiloni erschwert die Spaltung des  Partito Democratico die Regierungsarbeit erheblich: im Senat und in etlichen Ausschüssen ist er nun auf die Stimmen der democratici e progressisti von Bersani und D'Alema angewiesen. Erstes Ergebnis: die ersatzlose Abschaffung der vaucher, die von der neuen Linkspartei und der CGIL mit Jubel begrüsst wurde - obwohl sie nach Berechnungen des Arbeitsrechtlers Pietro Ichino weniger als ein Prozent der in Italien geleisteten Arbeitsstunden betreffen. Renzis postideologische Ära ist endgültig beendet. Gentiloni ("So che posso sembare un marziano")  droht nun angesichts des EU-Ultimatums ein schwieriger Drahtseilakt unter den kritischen Blicken vieler Parlamentarier, die nur eine Prioritiät kennen: die eigene Wiederwahl.