Politics | EU-Haushalt

Sparen bei den Bauern?

Die EU-Kommission kürzt beim Agrarbudget und überlässt die Umsetzung den Staaten. Für Südtirol kein gutes Signal, sagt Herbert Dorfmann.
Herbert Dorfmann
Foto: European Union 2023/EP
  • SALTO: Herr Dorfmann, die EU-Kommission schlägt für die Förderperiode 2028–2034 Einsparungen von rund 90 Milliarden Euro im Agrarbereich vor. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag?

    Herbert Dorfmann: Es handelt sich derzeit nur um einen Vorschlag, der zudem auf einem neuen System basiert: dem sogenannten „Single-Fund”. In diesem Einheitsfonds sind zwar rund 300 Milliarden Euro exklusiv für die Landwirtschaft reserviert, allerdings ist dieser Fonds Teil eines größeren Gesamtfonds. Aus diesem können die Mitgliedstaaten dem Bereich Landwirtschaft im Rahmen der Regionalpolitik, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und des Sozialfonds weitere Gelder zuweisen.

     

    „Vor diesem Hintergrund kann ich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überhaupt nicht verstehen.“

     

    Ist das ein Ersatz für das Zwei-Säulenmodell mit Agrarfonds und ländlicher Entwicklung, das aufgegeben werden soll?

    Das ist auch der Grund, weshalb wir mit der kürzlich abgehaltenen Ausschusssitzung mit dem Agrarkommissar Christophe Hansen überhaupt nicht zufrieden sind. Wir sind der Meinung, dass die Agrargelder definiert werden sollten und dass es nicht den Mitgliedstaaten überlassen werden sollte, ob sie Mittel für die Landwirtschaft bereitstellen wollen oder nicht. Die 300 Milliarden allein wären eine Einsparung von 20 Prozent im Vergleich zur laufenden Förderperiode. Natürlich könnten die jeweiligen Mitgliedstaaten einen Teil der ihnen zustehenden Mittel der Landwirtschaft zuweisen – das werden sie wahrscheinlich auch tun –, aber das kann niemand mit Sicherheit sagen.

  • Landwirtschaft: Das Agrar-Budget wird drastisch gekürzt, dafür fließt mehr Geld in den Militärfonds, in Migrations- und Grenzschutzmaßnahmen. Foto: Unsplash
  • Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), ist einer der Kritiker, die in diesem Zusammenhang von einer zunehmenden Renationalisierung der Agrarpolitik sprechen. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Absolut. Dieser Prozess hat allerdings bereits mit der letzten Reform begonnen, beispielsweise mit den nationalen Strategieplänen, und wird nun fortgesetzt. Vor diesem Hintergrund kann ich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überhaupt nicht verstehen. Was früher eine einheitliche europäische Agenda war, wird zunehmend in nationale Zuständigkeiten verschoben. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung.

    Warum gefährlich?

    Weil damit der föderale Ansatz der EU ausgehöhlt wird, den wir über Jahrzehnte aufgebaut haben. Die Landwirtschaft, die Regionalförderung und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sind politische Agenden, die in Brüssel gemeinsam beschlossen wurden. Sie werden jetzt de facto in nationale Hände gelegt. Föderale Agenden werden zugunsten neuer Politiken wie Migration oder Verteidigung aufgegeben. In diesen Bereichen spielen wir – überspitzt formuliert – ohnehin nur Bankomat. Wer glaubt, dass sich die großen Staaten morgen von der EU in ihre Verteidigungspolitik dreinreden lassen werden, der täuscht sich. Die zunehmende Nationalisierung ist ein weltweiter Trend, der sich in Egoismus und Nationalismus manifestiert. Und auch für uns Südtiroler ist das nicht gut. Es ärgert mich, dass ausgerechnet die Kommission, die für das föderale Europa steht, diesen Ansatz verfolgt. Wenn dieser Ansatz aus dem Rat, also von den Mitgliedstaaten, kommen würde, würde ich mich nicht weiter wundern. Aber ausgerechnet die Kommission geht nun in diese Richtung – und das nicht nur in der Landwirtschaftspolitik, sondern auch in den anderen Bereichen.

     

     

    „Föderale Agenden werden zugunsten neuer Politiken wie Migration oder Verteidigung aufgegeben.“

     

     

    Macht der Viktor-Orbán-Effekt Schule?

    Der ungarische Ministerpräsident Orbán hat auf EU-Ebene relativ wenig Gewicht und fällt eher dadurch auf, dass er allen auf die Nerven fällt. Doch auch andere europäische Staaten wie Deutschland, Italien und Österreich fordern eine stärkere Gewichtung der nationalen Interessen – das ist momentan politischer Mainstream. Ein Blick auf die politische Entwicklung weltweit genügt, um zu sehen, dass wir eine Abkehr von multilateralen Systemen erleben. Die UNO, die Welthandelsorganisation – überall bröckeln diese Institutionen. Auch in Europa ist die Zusammenarbeit in multilateralen Strukturen nicht mehr „sexy”, wenn ich das so salopp sagen darf. Errungenschaften, die eine Antwort auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren, werden leichtfertig aufgegeben. Das ist keine Union mehr, sondern ein Klub von Staaten – und das widerspricht dem Geist eines gemeinsamen Europas. Das ist auch sicher nicht das, wofür ich kämpfe.

  • EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann: „Die Frage wird sein: Werden die angepeilten 2.000 Milliarden am Ende wirklich zur Verfügung stehen?“ Foto: Zuaglost
  • Tatsache ist aber auch, dass diese multilateralen Strukturen keine Antworten auf Phänomene wie Massen-Migration gefunden haben: Das Dublin-Abkommen ist gescheitert, und aktuell versucht jeder Staat, das Problem der unkontrollierten Einwanderung und Asylantragstellung auf den Nachbarn abzuwälzen.

    Natürlich wurden Fehler gemacht, nimmt man das Beispiel der Vereinten Nationen. Diese Organisation ist aufgebläht wie ein Luftballon, mit x-Agenturen und riesigen Kosten, bei denen man sich fragen muss, ob sie sinnvoll sind. Auch auf EU-Ebene gilt: Ist alles, was hier geschaffen wurde, notwendig? Aber solche Überlegungen muss man sich in der Politik immer machen, auch in der Landwirtschaftspolitik. Ich bin weit davon entfernt zu glauben, dass heute alles perfekt ist. Natürlich herrscht Reformbedarf, sodass Geld für nachhaltige Landwirtschaft ausgegeben wird. Das kann man aber nur tun, wenn auch Geld vorhanden ist.

    Was bedeutet diese Entwicklung konkret für Südtirol?

    Aufgrund der nationalen Planung hat Südtirol bereits heute kein großes Mitspracherecht. Diese Bestrebung wird nun weiter fortgeschrieben. Die zweite Säule der GAP, also Maßnahmen wie Ausgleichszulagen, Umweltprämien oder Investitionsförderungen, wird zwar beibehalten, jedoch künftig rein national gesteuert. In diesem Bereich haben wir in den vergangenen Jahren laufend Kompetenzen verloren – und werden noch weitere verlieren, wenn es so weitergeht. Noch gravierender sind die Auswirkungen in anderen Bereichen, etwa bei Interreg, dem Sozialfonds oder der Kohäsionspolitik, wo ein Verlust regionaler Zuständigkeiten droht.

     

    „Aufgrund der nationalen Planung hat Südtirol bereits heute kein großes Mitspracherecht.“

     

    Und wie realistisch ist es, dass der Vorschlag so durchgeht?

    Das bleibt abzuwarten. Die Kommission hat ein Haushaltsvolumen von rund 2 Billionen Euro vorgeschlagen, was einer massiven Steigerung im Vergleich zu den aktuellen 1,2 Billionen entspricht. Das wird schwierig durchzusetzen sein, vor allem angesichts der Skepsis Deutschlands. Wären die 2.000 Milliarden vorhanden, gäbe es auch einiges an Spielraum, selbst unter Berücksichtigung der Rückzahlung der PNRR-Gelder. Das nächste Problem ist, dass etwa 200 Milliarden der Haushaltsgelder im Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ gebunden sind. Das schränkt den finanziellen Spielraum ein, denn diese Gelder stehen nicht zur Verfügung.

    Gibt es Staaten, die sich besonders querstellen?

    Ironischerweise ist es ausgerechnet Italien, der größte Profiteur des PNRR-Fonds, das sich vehement gegen neue Eigenmittel wie eine europäische Tabaksteuer wehrt. Das ist widersprüchlich. Denn Italien hat am meisten von den PNRR-Geldern profitiert und sollte da eigentlich vorangehen.


    Mehr oder weniger offen wird behauptet, dass die Einsparungen in der Landwirtschaft in erster Linie der Aufrüstung dienen. Wird hier zugunsten von Verteidigung und Grenzsicherung umgeschichtet?


    Die Prioritäten verschieben sich jedenfalls eindeutig. Es fließt mehr Geld in den Militärfonds, in Migrations- und Grenzschutzmaßnahmen, aber auch in Innovation und Forschung, wie es im Draghi-Papier gefordert wird. Das ist in gewisser Weise nachvollziehbar, aber es darf nicht auf Kosten der Landwirtschaft und der Regionen gehen. Die Frage wird sein: Werden die angepeilten 2.000 Milliarden am Ende wirklich zur Verfügung stehen?

    Wann wird über diesen Haushalt entschieden?

    Voraussichtlich fällt die Entscheidung Ende 2026, die aktuelle Förderperiode läuft noch bis 2027. Die Kommission wird jedoch versuchen, schon vorher einen Konsens zu erzielen – vor allem mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Frankreich, Italien und Polen. Danach könnte sich die politische Lage deutlich verändern.

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Herta Abram Fri, 07/18/2025 - 13:48

Allein schon die Überschriftwahl, sollte einem, bezüglich Beitrag-Inhalt-Qualität, skeptisch werden lassen.

Fri, 07/18/2025 - 13:48 Permalink
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Peter Gasser Fri, 07/18/2025 - 14:03

Was im Artikel zu kurz kommt:
da es ohnehin schon kaum gewinnbringende Preise bei den Agrarprodukten gibt, worauf zielt dann diese Politik wohl ab: Lebensmittel werden weniger subventioniert, also FÜR DEN ENDVERBRAUCHER teurer.
Der europäische Bürger muss in Zukunft nicht nur für Demokratie/Verteidigung/Frieden selbst bezahlen, sondern auch mehr für die Lebensmittel.

Fri, 07/18/2025 - 14:03 Permalink
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Josef Ruffa Fri, 07/18/2025 - 14:29

Nun ja, dort wo die Frau von der Leyen jetzt sitzt und steuert war auch mit HIlfe von Herrn Dorfmann möglich.
Jetzt die Dame nicht mehr zu verstehen ...
Eigentlich braucht es ihn daher in Brüssel nicht mehr.
Das Lobbying für Südtirol funktioniert nicht mehr.

Fri, 07/18/2025 - 14:29 Permalink
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Manfred Gasser Fri, 07/18/2025 - 14:40

300 Milliarden damit wir im Discounter billigen Ramsch kaufen können, die meisten Bauern nebenbei grad so überleben, wenn überhaupt, und der Discountbesitzer Milliardär wird? Was hat das bitte mit Marktwirtschaft zu tun?

Fri, 07/18/2025 - 14:40 Permalink
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Ludwig Thoma Fri, 07/18/2025 - 15:30

In reply to by Manfred Gasser

Dafür gibt es jetzt den gleichen Ramsch, halt teurer, keine Regionalentwicklungsprojekte mehr, keine von der EU geförderte Sanierung von ländlichem Kulturgut wie Trockenmauern oder traditionelle Holzzäune (um nur zwei zu nennen, die jeder kennt und sieht), dafür jede Menge Waffen Waffen Waffen.
Damit nicht nur der Discounter Milliardär wird, sondern auch der Waffenfabrikant.

Fri, 07/18/2025 - 15:30 Permalink
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Stefan S Fri, 07/18/2025 - 15:09

Wenn man versucht den neuen und ersten Entwurf des EU Haushalts zu analysieren kann man derzeit 2 Dinge festhalten. Kleinster gemeinsamer Nenner insbesondere auf die Sicherheitspolitik bezogen welche ja auch den Wunsch oder die Notwendigkeit enthält die Ausgaben dafür deutlich zu steigern. Zum anderen die Notwendigkeit von Reformem im Agrarsektor. Das bisherige Gießkannenprinzip hat sich nicht bewährt und nun verweist die EU dies zunächst mal zurück an die Nationalstaaten. Da darf man jetzt abwarten ob mehr gemeinsame Nenner noch bis zur Verabschiedung 2026 gefunden/erarbeitet werden. Taktisch gesehen nicht der schlechteste Zug der Kommission. Jetzt dürfen Dorfmann und Co Ihren Arbeitsnachweis und Daseinsberechtigung erbringen anstatt zu jammern.

Fri, 07/18/2025 - 15:09 Permalink
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opa1950 Fri, 07/18/2025 - 15:36

Der von den Bauern notfalls nach Brüssel gewählte Häuptling Dorfmann hat gesprochen.Von ihm kommen aber leider nur leere Worte.

Fri, 07/18/2025 - 15:36 Permalink
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Salto User
opa1950 Fri, 07/18/2025 - 16:00

Mit Erlaubnis von Salto möchte ich zu meinem Kommentar noch etwas hinzufügen. Haben einige Südtiroler Politikerinnen und Politiker wirklich die Macht, Kommentare welche offiziell von Südtirol News publiziert werden nach einigen Stunden löschen zu lassen. Das klingt ja fast an Erpressung. Dieser Fall ist schon öfters passiert. Und das immer wenn es um Kommentare über bestimmte Politikerinnen und Politiker geht. Diese Kommentare werden für ein paar Stunden veröffentlicht und dann verschwinden sie einfach. Kein gutes Bild für Südtirol News.

Fri, 07/18/2025 - 16:00 Permalink