Environment | Gewässerökologie

„Wieder mehr Raum geben“

Vor Kurzem wurde im Naturmuseum ein Vortrag zum Thema „Revitalisierung der Fließgewässer in Südtirol“ abgehalten. SALTO hat mit dem Referenten Peter Hecher gesprochen.
Ilsterner Au
Foto: Agentur für Bevölkerungsschutz
  • SALTO: Herr Hecher, worum ging es in Ihrem Vortrag?

    Peter Hecher: Die Fließgewässer sind während der vergangenen Jahrzehnte durch  den Schutz der Siedlungen vor Naturgefahren und die Kultivierung der Landschaft sehr stark verändert worden. Die große Veränderung betraf dabei den Verlust von natürlichem Lebensraum. Diese Entwicklung ist allerdings nicht nur auf Südtirol beschränkt, sondern lässt sich im gesamten Alpenbogen feststellen – in einem mehr oder minder starkem Ausmaß. Die Fließgewässer wurden verbaut, um die Siedlungsgebiete vor Hochwasser zu schützen, aber auch um landwirtschaftliche Produktionsflächen zu schaffen. Mittlerweile hat man jedoch erkennen müssen, welche wichtige Rolle intakte Lebensräume spielen. Mit der FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat) wurde dieser Erkenntnis Rechnung getragen und auf Basis dieser Richtlinie müssen nicht nur die Tierarten selbst geschützt werden, sondern auch ihr Lebensraum. In der Folge hat die EU im Jahr 2000 die EU-Wasserrahmenrrichtlinie erlassen, mit der die Verschlechterung des Gewässerzustandes gestoppt und in allen Mitgliedstaaten ein guter ökologischer Zustand der Gewässer erreicht werden soll. Als öffentliche Verwaltung fällt auch uns die Aufgabe zu, den Verlust des Lebensraumes zu stoppen. Konkret heißt das, dass jene Gebiete, die sich in einem guten Zustand befinden, geschützt werden müssen, jene, die sich in einem schlechten Zustand befinden, müssen verbessert werden bzw. muss insbesondere die ökologische Funktionsfähigkeit wiederhergestellt werden. 

     

    „Die Fließgewässer wurden verbaut, um die Siedlungsgebiete vor Hochwasser zu schützen, aber auch um landwirtschaftliche Produktionsflächen zu schaffen.“

     

    Sie sprechen vom Verlust von Lebensraum, welcher der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung weichen musste. Kommt es bei der Wiederherstellung solcher Lebensräume zu Konflikten mit den Grundeigentümern bzw. Bauern?

    Es liegt auf der Hand, dass für eine Revitalisierung Grundflächen benötigt werden. Speziell in den intensiv genutzten Talböden sind Flächen jedoch rar. Um den Flüssen hier wieder mehr Raum geben zu können, braucht es daher langfristige Planungen. 

  • Gewässerökologe Peter Hecher: „Mit diesen Maßnahmen wird nicht der Ur-Zustand wiederhergestellt, sondern soweit als möglich die ökologische Funktionsfähigkeit.“ Foto: Privat

    Worauf wird der Fokus gelegt?

    Eine große Rolle für die ökologische Funktionsfähigkeit eines Fließgewässers spielt das sogenannte Gewässerkontinuum. Das heißt, dass bei Fließgewässern in der Natur von der Quelle bis zur Mündung keine Barrieren bestehen, die für die verschiedensten Wasserlebewesen unüberwindbar sind – mit Ausnahme der natürlichen Wasserfälle. Eine Aufgabe besteht deshalb darin, künstliche Querbauwerke für Fische und andere Lebewesen wieder passierbar zu machen und ein zusammenhängendes Fließgewässersystem wiederherzustellen. Diesbezüglich hat die Wildbachverbauung in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Soweit es eben möglich ist, denn die primäre Aufgabe der Wildbachverbauung ist der Schutz der Siedlungsgebiete. Auch die Durchgängigkeit für Schotter- und Sandfraktionen, die als Lebensraum für viele Wasserlebewesen dienen, sind dabei von großer Bedeutung. 

    Wie kann man sich diese Revitalisierungsmaßnahmen vorstellen?

    Mit diesen Maßnahmen wird nicht der Ur-Zustand wiederhergestellt, sondern soweit als möglich die ökologische Funktionsfähigkeit. Durchgehend – wie beispielsweise im Stadtbereich oder in Wohngebieten – ist dies nicht möglich, aber außerhalb der Siedlungsbiete gibt es Möglichkeiten, funktionsfähigen Lebensraum wieder herzustellen. Dafür wurden Flussraum-Management-Pläne erarbeitet, die Gemeinde übergreifend geplant wurden. Sollen Sicherheitsaspekte wie auch die ökologische Funktionsfähigkeit funktionieren, müssen solche Pläne in einem größeren Rahmen abgestimmt werden – auch um Synergien zu schaffen. 

  • Derzeit wird auf EU-Ebene das Renaturierungsgesetz diskutiert. Sehen Sie darin eine Chance, dass noch mehr in Sachen Wiederherstellung der Lebensräume getan werden kann?

    Es ist ein wichtiger Ansatz, vor allem was den Punkt Zusammenarbeit betrifft. Gemeinsam mit den verschiedenen Interessengruppen wie etwa der Landwirtschaft sollen Anbauweisen und auch Flächen gefunden werden, wo man der Natur wieder mehr Raum geben kann. Die Ressource Wasser, die ein allgemeines Gut ist, muss dabei auch für die nächsten Generationen gesichert werden. Wie bereits im Kernpunkt der Wasserrahmenrichtlinie festgehalten, wird eine gemeinschaftliche Bewirtschaftung der Fließgewässer gefordert. Gemäß Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie darf bei der Maßnahmenumsetzung die Hochwassersituation für die Unterlieger nicht verschlechtert werden. Im Falle der Etsch wurde mit den Nachbarprovinzen zudem vereinbart, dass dieser Fluss in Trockenzeiten einen bestimmten Wasserstand nicht unterschreiten darf. Insofern dürfen sich wirtschaftliche Nutzung des Wassers und die Sicherheitsaspekte nicht widersprechen, sondern müssen sich ergänzen. 

  • Vorzeige-Projekt Ilsterner Au

    Im Rahmen des Vortrages (siehe Aufzeichnung) ging der Gewässerökologe Peter Hecher, der seit über 20 Jahren in der Agentur  für Bevölkerungsschutz mit Fragen, Projekten und Plänen zum Flussraummanagement und der Fließgewässerentwicklung betraut ist, unter anderem auch auf das Revitalisierungsprojekt im Biotop Ilsterner Au ein. Mit diesem Vorzeigeprojekt, das im Sommer dieses Jahres abgeschlossen wurde, wurde der Fluss- und Au-Lebensraum im unteren Pustertal nachhaltig revitalisiert.

    Auf einem 1,3 Kilometer langen Abschnitt wurde die Rienz aus dem Korsett der engen Uferschutzbauten befreit, der Fluss kann sich nun innerhalb vorgegebener Grenzen eigendynamisch entwickeln. Die Mündungsbereiche von Terentnerbach und Winnebach wurden naturnah strukturiert und fungieren nun als wichtige Fischkinderstuben. Durch die Geländeabsenkung der degenerierten Auwaldstandorte und Einbringung des Schotters in das nun mehr als doppelt so breite Flussbett wurde die Ilsterner Au wieder mit der Rienz verbunden. Damit wurde die Voraussetzung für die Rückgewinnung und Entwicklung einer vitalen Auenlandschaft wieder hergestellt, da eine vitale Au regelmäßiger Überflutungen bedarf. Die Wiederherstellung vitaler Fluss- und Auenlandschaften im Talboden schafft und sichert die Lebensräume bedrohter Tier- und Pflanzenarten und zählt damit zu den wichtigsten Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität. Die Arbeiten wurden 2018 begonnen, bearbeitet wurde ein rund zwölf Hektar umfassendes Areal, davon vier Hektar Wasserfläche und acht Hektar Biotopfläche. Für die Realisierung eines randlichen Erosionsschutzes und für die Gestaltung des Flussbettes mit Sohlgurten, Buhnen und Fischsteinen wurden insgesamt gut 1.000 Lkw-Ladungen Zyklopensteine antransportiert und eingebaut sowie weitere 700 Lkw-Fuhren grobblockiges Material zur Stabilisierung der Sohle. Die Arbeiten wurden vom Landesamt für Wildbach- und Lawinenverbauung Ost in der Agentur für Bevölkerungsschutz ausgeführt und durch Vertreter der Landesämter für Gewässerschutz, für Natur, für Jagd und Fischerei, der Forstbehörde sowie von Umweltschutzverbänden –  Naturtreff Eisvogel und Hyla – und des Fischereivereins Eisacktal durch regelmäßige Baustellenbesprechungen begleitet. Die revitalisierten Flächen sind als öffentliches Wassergut Eigentum der Südtiroler Landesverwaltung. Die Kosten für das gesamte Projekt beliefen sich auf 2,2 Millionen Euro.