„Die Ärmel hochkrempeln“
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SALTO: Herr Podini, was hat Sie zur Kandidatur als Präsident für den Handballverband (FIGH) bewegt?
Stefano Podini: Ich bin schon Anfang 2013 von mehreren Verbänden der ersten Liga „eingeladen“ worden, um Schwung in den italienischen Handball zu bringen. Ich war sechs Jahre lang, von 2012 bis 2017, Präsident der Handballliga. 2017 fand die Neuwahl des italienischen Verbands statt und da wurde ich gebeten, als Präsident zu kandidieren, aber das war mit meiner damaligen Situation in der Arbeit nicht möglich. Ich habe gesagt, ich unterstütze die Gruppe und stelle mich als Vizepräsident zur Verfügung, aber ich hatte wenig Zeit mitzuwirken, ich hatte keine Zeit, Präsident zu sein. Jetzt sind mittlerweile sieben Jahre vergangen und es ist nicht so gut gelaufen. Der Präsident, den wir damals unterstützt haben, [Pasquale Loria, Anm. d. Red.] hat seine Versprechen alle vergessen, hat nur noch auf seine Mannschaft geschaut, auf seine Tasche, auf seine Interessen und nicht mehr auf die Interessen des italienischen Handballs. Am Ende war es zu viel. Jetzt bin ich über 60, in der Firma kommt mittlerweile die neue Generation nach, die Firmen sind gut strukturiert, mit einem guten Management. Der Verband ist ebenfalls gut strukturiert, es ist nicht ein Fulltimejob, ein paar Tage in der Woche werde ich dem italienischen Verband widmen. In dem Sinne, glaube ich, ist es eigentlich relativ einfach, wenn man gut strukturiert ist, gute Ideen hat, klare Ziele hat, diese weiterzubringen. In meinem Unternehmen habe ich mehrere Firmen und mehrere Business-Units, vom Energie- bis zum Lebensmittelsektor, das sind verschiedene Sachen. Wenn jemand mental strukturiert ist, dann kann man all das gut weiterbringen. Deswegen habe ich zugesagt und versuche die nächsten vier Jahre, dem italienischen Handball meine Unterstützung zu geben.
Mit Italiens Qualifikation zur Handball-WM ist ein kleiner Hype entstanden. Inwieweit möchten Sie den nutzen?
Es gibt nur 360 Grad, weil sonst würde ich es auf 560 Grad ausnutzen (lacht). In dem Sinne, dass es ein wichtiger Moment für den italienischen Handball ist. Für das Marketing, für das Image, für den Durchbruch mit den Medien und auch in der Kommunikation muss man das absolut ausnutzen. Wir sind schon an der Arbeit, ich habe mir schon vor der Wahl Gedanken darüber gemacht und mit Firmen diskutiert, mit Beratern diskutiert und wir sind da schon auf einem guten Weg, ein tolles Produkt zu präsentieren, um diese Qualifikation auszunutzen.
„Man muss schon bei den Kleinen anfangen, ein „Observatorium“ aufbauen und von da an aktiv und gezielt mit den Talenten arbeiten.“
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Der Bozner Unternehmer Stefano Podini ist der neue Präsident des italienischen Handballverbands. Er wurde am Sonntag in der CONI-Ehrenhalle im Foro Italico in Rom vom Assemblea Nazionale gewählt. Podini ist selbst ein ehemaliger Spieler und Manager des SSV Bozen.
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Und was sind ansonsten die Hauptprojekte, die Sie in Ihrer Amtszeit vorantreiben oder beginnen möchten?
Als Erstes muss eine neue Policy eingeführt werden. Die Kommissarin hat damit angefangen, ich hatte schon ein langes Gespräch mit ihr. Wir haben die Meinung geteilt, dass es im italienischen Verband keine ordentliche „Ausgabe-Policy“ gibt. Es gibt keine Regelungen und es ist wichtig, eine Policy, ein Kriterium in den Verband einzuführen. Dieser Schritt ist nicht schwierig, aber man muss die Mentalität wechseln: Wie ein Verband geführt wird und wie sich die Mitarbeiter des Verbands benehmen müssen. Das ist das operative, schnellste und vielleicht auch das leichteste.
Weiters?
Es gibt das große Problem der Trainerausbildung. Die Trainer sind die Wichtigsten, weil sie anschließend in die Schulen gehen, unsere neuen kleinen Handball-Champions trainieren und ausbilden. Anfang Juli haben wir das wichtigste nationale Turnier der U15-Spieler, Mädchen und Buben. Da kommen 1.600 kleine Athleten zwischen U13 und U15, die die Italienmeisterschaft spielen. Das heißt, die Zukunft des italienischen Handballs trifft sich in der ersten Juli-Woche. Der Verband hat keine Selektion, keine Mannschaft von Talent-Scouts organisiert. Ich glaube, das ist das Erste, was ich machen werde. Ich habe schon daran gearbeitet, eine Truppe von Trainern zu bilden, die die „kleinen“ Athleten beobachten und schauen, ob da Talente zu finden sind, wie es auch die anderen Vereine beziehungsweise die anderen Disziplinen in Italien und Europa machen. Schon bei den Kleinen muss man anfangen, ein „Observatorium“ aufbauen und von da an aktiv und gezielt mit den Talenten arbeiten.
„Es braucht Kooperation zwischen Mannschaften und Schiedsrichtern. Sonst sind das immer zwei Feinde, die auf zwei fernen Planeten wohnen und agieren.“
Was sind weitere Probleme?
Die Organisation der Nationalmannschaften und die ganze Struktur der Schiedsrichter: Die Verbände und die Schiedsrichter leben zurzeit in zwei verschiedenen Welten. Sie müssen wieder zusammenkommen, sie müssen zusammenarbeiten. Es braucht Kooperation zwischen Mannschaften und Schiedsrichtern. Sonst sind das immer zwei Feinde, die auf zwei fernen Planeten wohnen und agieren. Die Trainer müssen wissen, wie die Schiedsrichter pfeifen, dann gibt es die ganzen Kritiken in diesem Bereich des italienischen Handballs auch nicht mehr. Wir müssen dann wieder die Lega aufbauen. Wir müssen den Beachhandball weiterführen. Heuer ist Beachhandball das erste Mal bei den Olympischen Spielen dabei in Paris. Nachdem wir eine Nation sind, die den Beachhandball Anfang der 80er Jahre überhaupt eingeführt hat, müssen wir wieder ein Akteur im europäischen Beachhandball werden. Wir waren Jugendvizeweltmeister vor sieben Jahren. Da müssen wir wieder hinarbeiten.
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Also steht einiges an Arbeit an?
Es gibt noch eine Unmenge, viele andere Argumente, wo man operativ eingreifen muss. Etwa, wie man in der Schule wirken muss. Oder die ganze Formation des italienischen Handballmanagements, der einzelnen Vereine, da gilt es, eine andere Mentalität in den Direktoren der Vereine einzubringen. Eine Manager-Mentalität, eine fiskalische Mentalität, eine Kommunikationsmentalität. In diesen Bereichen muss man viel arbeiten. Unsere Kommunikation und Promotion des Verbands muss wieder in die Hand genommen werden. Dazu kommt auch die Innovation. Wir sind einer von den wenigen Verbänden, die keinen digitalen Spielbericht haben oder eine digitale Database, wo man die Daten bearbeiten kann und damit man besser arbeiten kann. Da sind wir auch ein bisschen hinten, da müssen wir einen Gang höher schalten. Unser Ex-Präsident hat keine guten Verhältnisse zum olympischen Komitee und Sport e Salute gehabt. Da muss ich ein wenig meine Freundschaft mit CONI-Präsidenten Malagò „ausnutzen“ und auch bei Sport e Salute, mit dem Minister Andrea Abadi, den ich seit den 80er Jahren kenne. Man muss die Beziehungen wieder aufnehmen und zusammenarbeiten.
„Als Erstes muss eine neue Policy eingeführt werden.“
Der Fokus liegt also auf einer verbesserten strukturellen Arbeit des Verbands und auf Trainerbildung und Nachwuchsbildung?
Ja, genau. Es gibt eine „Commissione Atleti.“ Da gibt es vieles, was man für die Athleten machen kann. Das gehört von den Versicherungen, von den Athleten bis zu den Verträgen, das Verhältnis zwischen Athleten, Verbänden und Mannschaften. Das Tolle ist, man muss nichts erfinden. Man muss schauen, was die anderen Disziplinen machen, wie sie in Europa arbeiten und in diese Richtung arbeiten. Wir sind nicht irgendetwas anderes. Wir sind eine Sportart wie viele andere. Vielleicht bin ich zu optimistisch, aber man muss schauen, was die anderen machen, was sie für eine Arbeit machen und wieso sie diese Resultate gebracht haben. Dem müssen wir nachgehen. Wenn Basketball und Volleyball es schaffen, 18-jährige Burschen zu finden, die zwei Meter groß sind und 110 Kilo Muskeln haben, wieso finden wir sie nicht? Es muss einen Weg geben. Man muss sich strukturieren und konsequent an einem Ziel arbeiten. Dann wird es gehen.
Herr Prantner meinte, dass der italienische „Campionato“ ein gewisses Level unter den Ligen gewisser anderer Länder ist. Ist es auch das Ziel, die heimische Meisterschaft wettbewerbsfähiger zu machen, die Attraktivität zu erhöhen und das Level anzuheben?
Da kommen wir genau auf das Thema Lega. Der italienische Verband, wie alle anderen Verbände, fokussiert sich auf die Formation, auf die nationale Mannschaft und auf die groben Aspekte. Die Lega muss die Problematiken der Meisterschaften in die Hand nehmen und sagen: „Wir brauchen einen Ausländer mehr, wir brauchen das und das.“ Das sind die Themen, um die sich die Lega kümmern muss. Das ist tatsächlich, wie Herr Prantner sagte, ein Thema, damit wir international mehr wirken können. Deswegen ist es interessant, an diesem Thema zu arbeiten. Aber wie gesagt, das ist mehr auf der Agenda der Lega als des Verbands.
„Es hapert noch an der Gemeinde Bozen. Es sind leider einige kleine bürokratische Aspekte noch nicht überwunden worden. Die Jahre vergehen und es bewegt sich nichts.“
Hinsichtlich Infrastruktur: Hinter dem Palasport in Bozen wurde eine Handballhalle angekündigt, die nächstes Jahr hätte fertiggestellt werden sollen, dann verschwand das Thema ein wenig von der Bildoberfläche. Was wurde daraus?
Wenn ich Bürgermeister oder Landeshauptmann wäre, könnte ich antworten. Aber ich glaube, der Landeshauptmann hat dieses Projekt voll und ganz unterstützt. Das erste Mal, als das Projekt von mir vorgebracht wurde, mit eigenen Architekten und den ersten Zeichnungen, war im Dezember 2015. Spulen wir vor zum Juni 2016: Es ist schon ein grobes Projekt. Das Projekt steht. Die Location ist mündlich zwischen Land und Gemeinde Bozen vereinbart worden. Aber es hapert noch an der Gemeinde Bozen. Es sind leider einige kleine bürokratische Aspekte noch nicht überwunden worden. Die Jahre vergehen und es bewegt sich nichts. Vor nicht einem Monat haben mir der Sportassessor von Bozen, Juri Andriollo, und der Bürgermeister, Renzo Caramaschi, versichert, dass es in den nächsten Monaten starten wird. Ich stehe an der Tür und warte. Der italienische Handball, der Südtiroler Handball, wartet. Es ist eine super Infrastruktur, interessant für die Schulen, für den Bozner und Südtiroler Sport. Eine Sportherberge ist vorgesehen, die alle Sportarten benutzen kann. Wirklich alles ist drin. Es wäre eine Top-Sportstruktur. Es ist die Zeit gekommen, dass auch die Hauptstadt von Südtirol so eine Struktur bekommt.
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Das heißt aber, theoretisch sollte es in den nächsten Monaten weitergehen.
Laut den Versprechungen sieht es so aus, aber wenn es entschieden wird, vergehen noch mal drei, vier Jahre, bis gebaut wird. Es muss zuerst das Endprojekt stehen. Es braucht die Gelder, die fix da sein müssen. Bis es dann fertig geplant ist und die Ausschreibungen vergeben worden sind...
Stichpunkt Geld. Für den italienischen Handball gibt es da schon Pläne, um die finanziellen Mittel zu erhöhen? Für die Vereine, Spieler und andere anfallende Dinge?
Unser Ex-Präsident hat uns ein Loch von 450.000 Euro hinterlassen, wo wir jetzt vom CONI unter die Lupe genommen werden. Wir müssen natürlich innerhalb der nächsten drei Jahre in der Bilanz wieder auf null kommen, beziehungsweise diese Gelder einzahlen. Deswegen ist es jetzt finanziell nicht so rosig, als dass man Versprechungen für Vereine und Ähnliches machen kann. Wir müssen alle die Ärmel hochkrempeln und alle in die gleiche Richtung rudern, damit wir aus dieser Situation herauskommen.
Das heißt, dass Sponsorensuche zurzeit ein großes Thema ist?
Ich habe demnächst schon vier wichtige Termine mit vier großen Sponsoren auf der Agenda. Da ist zu schauen, ob wir für den Verband externe Unterstützung bekommen. Bis jetzt waren CONI beziehungsweise Sport e Salute unsere zwei Hauptsponsoren zu 95 Prozent. Wir brauchen eine Unterstützung von privaten Unternehmen, damit wir uns eine „rosigere“ Planung aufbauen können und eventuell auch die Vereine für gewisse Projekte unterstützen können. Das ist effektiv ein Must für die neue „Regierung“ des italienischen Handballverbands.
„Wir müssen alle die Ärmel hochkrempeln und alle in die gleiche Richtung rudern, damit wir aus dieser Schlammsituation herauskommen.“
Was sind Ihre langfristigen Visionen für den italienischen Handball?
Sicherlich strukturell wieder in den Schulen eine wichtige Position zu finden. Das heißt, auch die Zusammenarbeit mit der Universität, von dort kommen unsere Sportlehrer. Die müssen schon in der Universität die Disziplin Handball kennenlernen. 80 Prozent der Sportlehrer machen entweder Leichtathletik, Fußball, Korbball und so weiter. Deswegen liegt sicher ein Fokus auf der Formation, beziehungsweise auf der Zusammenarbeit mit den Universitäten. Das ist der erste Schritt. Gleichzeitig muss man im zweiten Schritt mit den Talenten arbeiten. Wie das Beispiel von vorher, die Italienmeisterschaft mit 1.600 Kindern in einem gewissen Alter. Da muss ich mit geprüften Technikern die Talente individualisieren und im Laufe des Jahres mit ihnen arbeiten. Ich muss strategisch mit den Talenten wöchentlich arbeiten, zu den Vereinen gehen und ihnen beispielsweise klarmachen, dass sie da ein super Talent haben, also gezielt auf die Talente hinarbeiten. Zur gleichen Zeit aber müssen wir auf etwas anderes schauen: Vor kurzem fand in Rom die Europameisterschaft der Leichtathletik statt. Was ist da passiert? Wir haben sehr viele Medaillen gewonnen und es sind sehr viele Athleten dabei gewesen, nicht nur bei Italien, sondern auch bei anderen Nationen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Daran müssen wir auch arbeiten. Es gibt sehr viele Handballtalente in Europa, die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben und im Ausland spielen. Wir müssen ihnen das schmackhaft machen, für die italienische Nationalmannschaft zu spielen, da ist eine Arbeit zu verrichten.
Warum gehen so viele ins Ausland?
Unsere Talente, wie etwa Leo Prantner oder Mikael Helmersson, die wir mit der Akademie unterstützt haben und nach Flensburg geschickt haben, um dort ein Jahr Erfahrung zu machen, sind im Ausland geblieben. Die sind jetzt in der Lage, 60 Spiele im Jahr auf einem super Niveau zu absolvieren. Solange unsere Meisterschaft nicht dieses hohe Niveau erreicht, müssen wir versuchen, unsere Top-Spieler ins Ausland zu schicken, damit sie dort auf einem hohen Niveau spielen können: Zwischen Slowenien, Österreich, Holland, Island und Polen spielen 90 Prozent der Spieler der Nationalmannschaften in den drei starken Meisterschaften in Spanien, Frankreich und Deutschland. Die Top-Spieler der Nationalmannschaften spielen alle in diesen Ligen. Solange die anderen Ligen die Qualität nicht steigern, was etwa Dänemark jetzt versucht, müssen die Top-Nationalspieler von praktisch allen Nationen, sowie unsere Spieler auch, alle im Ausland spielen. Nur dort machen sie 60 Spiele auf einem super Niveau. Es sind viele Themen auf dem Tisch. Da muss man sich dahintersetzen und schauen, diese weiterzubringen.
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