Komm raus, komm raus, wie immer du bist

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Man möchte meinen, dass die Schrankmetapher – in den USA, wie in Europa – immer schon ein Dreh- und Angelpunkt für die Erfahrungen mit Offenheit bezüglich der eigenen sexuellen Orientierung oder Genderidentität war. Das Coming-out, also die Praxis als Mitglied der LGBTQIA-Comunity offen mit anderen über die eigene Abweichung von der gesellschaftlich vorgelebten Cis-hetero-Norm zu sprechen, war an der Bozner Eurac Thema.
Organisiert wurde der Termin auf Initiative des Institute übergreifend gesetzten Schwerpunktteams Gender Dynamics. Nach einleitenden Grußworten von Vizerektorin Roberta Bottarin und Senior Researcher Katharina Crepaz, wurde dem Wissenschaftshistoriker Christoffer Leber (LMU München) die Aufgabe zuteil, mit einem Impulsreferat den Abend über das „Coming Out im Wandel: Geschichte, Mut und Sichtbarkeit“ zu eröffnen. Dabei skizzierte Leber mit Fokus auf USA und Deutschland, welchen Bedeutungswandel das „Coming Out“ im Laufe des 20. Jahrhunderts erfahren hat.
Erstmals war davon in den 20er Jahren die Rede, als zu Zeiten der Prohibition in den sogenannten Speakeasies – illegalen Flüsterkneipen – der sogenannte Pansy Craze ausbrach. Für wenige Jahre Ende der 20er und Anfang der 30er gab es mit dem sogenannten Pansy Craze (wörtlich: Stiefmütterchenwahn, bei „Pansy“ handelt es sich um eine ursprünglich abwertende Bezeichnung für feminine Männer) einen Raum für Homosexuelle und Transvestiten. Das „Coming Out“ als erster Auftritt im Kostüm, zu dem man heute wohl Drag sagen würde, war in diesem historischen Kontext kein Heraustreten aus dem Kleiderschrank oder Versteck, sondern ein Eintreten in die homosexuelle Gesellschaft, vergleichbar etwa mit dem Einführen von Debütantinnen in die gehobene Gesellschaft.
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Ist das ein Mensch: Entmenschlichen, lächerlich machen oder mit Tieren vergleichen: Diskreditierungsstrategien gegen homosexuelle Menschen sind keine Erfindung des neuen Jahrtausends. Foto: SALTO
Mit Verschärfung der Prohibition-Maßnahmen und Einführung des sogenannten Hays Code für „moralisch akzeptable“ Darstellungen auf den Leinwänden Hollywoods wurde auch das Vordringen einiger Stars wie der „Queen of the Pansies“, Jean Malin oder Dragking und Blues-Sängerin Gladys Bentley bis auf große Bühnen jäh zurückgedrängt. Bis in die späten 60er Jahre stagnierte infolgedessen der Anspruch von transsexuellen und nicht heterosexuellen Personen auf Sichtbarkeit und Rechte. Mit dem Beginn der Neuzeit in der Geschichte der queeren Community mit den Ausschreitungen der Stonewall Riots am 28. Juni 1969 hatte auch das Coming-out eine neue Dimension. In diesem Zeitenwandel im Kampf um die eigenen Rechte ging es ums „Herauskommen“. Was im Deutschen eine Leiche im Keller ist, ist im Englischen ein Skelett im Kleiderschrank, und so wurden beide Begriffe, das „Coming Out“ und der sprichwörtliche „Closet“ zu einer Redensart.
Als in Deutschland mit großen Schnittmengen zwischen Frauen- und Lesbenbewegung der Kampf für – anachtonistisch gesprochen – queeres Leben und Lieben ankam, war einer der Schlüsselmomente ein Kinostart. Rosa von Praunheims Filmdrama „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ war eine Art Initialzündung, zumal schon der Gang ins Kino als eine Art von Coming Out gesehen wurde. In Deutschland wurde übrigens auch aus dem Slogan „Out of the closet and into the streets“ ein doch recht frei übersetztes „Raus aus den Toiletten und raus auf die Straße“. So schnell kann aus einem „closet“ ein Klosett werden, ob durch sprachliche Freiheiten oder einen amüsanten Fehler, bleibe offen. Wirklich frei war man in Deutschland aber noch lange nicht. Der 123 Jahre lange Schatten des Paragraphen 175 reichte bis ins Jahr 1994, auch wenn es 1969 zu Aufweichungen kam. „Widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren“ begangen wurde sollte mit dem Paragraphen geahndet werden. Die homosexuellen Männer, die von NS-Gerichten als homosexuell verurteilt worden waren, wurden allerdings erst 2002, ein Jahr nach der Einführung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, juristisch durch den Bundestag rehabilitiert. In der DDR setzte man schon 1957 die strenge Auslegung des Paragraphen 175 aus, allerdings wurde erst 1988 eine Sonderregelung aufgehoben, die homosexuelle Handlungen unter Jugendlichen untersagte. Überschattendes Detail am Rande der Geschichte: Am Tag des Mauerfalls, dem 9. November 1989, kam auch der erste DDR-Film über Homosexualität „heraus“. Sein Titel? Coming Out.
Zurück in den Staaten sichtete Christoffer Leber auch hier Beispiele früher Coming Outs in der Popkultur. Etwa, als in The Puppy Episode der Sitcom Ellen von Ellen DeGeneres am 30. April 1997, als sich ihre Serienfigur und auch sie selbst sich als lesbisch outete. Beifall von allen Seiten gab es dafür, anders als am Flughafen, wo Ellen zu nahe an einem Mikrofon stand, nicht. Vom Sender wurde DeGeneres in Folge des unausweichlichen Protests aus christlich-konservativen fallen gelassen. Den Mut lohnte es für die heute als Ikone gehandelte Ellen dennoch, und auch wirtschaftlich war die Ausstrahlung ein großer Erfolg.
Für Rückschritte zurück in den Kleiderschrank und zur Zurückhaltung sorgten dabei nicht nur die AIDS-Krise, sondern auch der letzthin zu spürende Rechtsruck in der Gesellschaft. Christoffer Leber, Johanna Mitterhofer (Regenbogenfamilien Südtirol), Tobias Jonas Stampfer (Arcigay Centaurus), Madu Alber und Sophie Baumgartner (beide beim Verein Alto Adige Pride Südtirol) diskutierten daher im Anschluss an den historischen Impulsvortrag, was ein Coming Out hier und heute, im Südtirol der Gegenwart bedeutet.
Wilkommenskultur: Eine angekratzte Progress-Flagge in der Auslage eines Friseursalons in der Bozner Europagallerie. Bereits mehrfach haben Unbekannte den linken Teil des Symbols abgekratzt, der die klassische Regenbogenflagge erweitert. Es fehlen die Farben Inter- (gelb und lila) und Transsexueller (hellblau, weiß und rosa), der People of Color (braun), sowie der Aidskranken und Aidstoten (schwarz). Foto: SALTOHier & JetztJohanna Mitterhofer erinnerte sich an eine Spielplatz-Szene, die sie mit ihrem Kind, das mit zwei Müttern aufwächst, erlebte. Eine andere Mutter mit Kinderwagen hatte die vermeintliche Ähnlichkeit des Babys angemerkt, das biologisch nicht mit Mitterhofer verwandt ist, und gefragt, wo der Vater sei. Auch wenn Mitterhofer im Moment das Bedürfnis verspürt hatte, über die eigene Partnerschaft zu sprechen, sagte sie nichts. Infolgedessen stellte sich für Johanna Mitterhofer auch die Frage, welches Signal ein Verschweigen des eigenen Familienmodells ihrem Kind vermitteln würde.
Dass Tobias Jonas Stampfer sich bei der Gruppendiskussion selbst als Transmann vorstellen musste, zeigte auch, dass ihm das sogenannte „passing“ gelingt, also von Fremden auf der Straße eher nicht als Trans-Person erkannt zu werden. Dieses Glück haben dabei lange nicht alle Transpersonen. Dennoch nehme er, auch über seine Tätigkeit bei Centaurus wahr, dass transgeschlechtliche Menschen derzeit stark im Fokus der Politik stünden: „Um ehrlich zu sein macht mir das ziemlich Angst. Ich sehe, dass wir wieder einige Schritte zurück machen, statt nach vorne.“ Im Privatleben bekomme er mehr mit als auf der Straße, Angst bereite ihm die Zunahme von Gewaltfällen und querfeindlicher Sachbeschädigung im Land. „Es ist einfach viel Unwissen da, und was man nicht kennt, macht einem oft Angst“, so Stampfer.
Mit Sophie Baumgartner, aus Jenesien und selbstbekennend queer, merkte an, dass ein Coming Out dabei keineswegs nur einen selbst betreffe und wie frei man sich als queerer Mensch in der Mehrheitsgesellschaft bewegen könne. Ein Coming Out zeige auch jenen, die noch im Schrank warten, mit welcher Reaktion sie zu rechnen hätten und, dass andere einem dabei den Rücken stärken würden. Das müsse nicht immer „das große Gespräch“ sein, oft erfüllen auch Kleinigkeiten den Zweck, so Baumgartner, die etwa Armbänder oder Accessoires als Beispiele nennt.
Christoffer Leber ergänzte, auf eine Frage aus dem Publikum, auch noch einen der größten Unterschiede zwischen cis- und transatlantischen Coming Outs. Von Letzteren grenzten sich Praunheim und Co. auch dadurch ab, dass ein Coming Out nicht immer die Dimension einer –queeren oder sonstigen – Öffentlichkeit braucht. Analog zum heute online zu findenden Begriff eines „inneren“ Coming Outs, das ein Eingeständnis und die Akzeptanz der eigenen Queerness meint, verwendete man den Begriff Coming Out auch prozesshaft, beginnend beim ersten „Coming Out“.
„Seit ich aber wieder in Südtirol bin, weiß ich, dass wenn ich Pronomen und das Aufbrechen des binären Systems anspreche, das in den meisten Kontexten schwierig ist."
Madu Alber, die mit ihrer Partnerin zusammenlebt und sich selbst als nichtbinäre Person definiert, sah das innere Coming Out besonders in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität wichtig. „Seit ich aber wieder in Südtirol bin, weiß ich, dass wenn ich Pronomen und das Aufbrechen des binären Systems anspreche, das in den meisten Kontexten schwierig ist. Wenn das zu viel Gesprächszeit in Anspruch nehmen würde, die ich lieber mit anderen Dingen verbringen würde, mache ich es oft nicht. Heißt das dann, dass ich weniger nichtbinär bin, wenn mir das in diesem Moment weniger wichtig ist?“ Bei Coming Outs, inneren wie äußeren kommt vieles zusammen. Am Ende des Vortrags ist klar: Aus dem Schrank kommen LGBTQIA+ Personen nicht nur einmal, sondern ein Leben lang und das immer wieder.
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