Politics | Interview

“Wer ist grüner als die Bauern?”

Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler nimmt zur Abneigung seiner Zunft gegen die Grünen Stellung. Er sieht die Lega in der Landesregierung: “Es braucht starke Partner.”
Leo Tiefenthaler
Foto: SBB

salto.bz: Herr Tiefenthaler, warum wehren sich die Bauern so vehement gegen die Grünen in der Landesregierung?

Leo Tiefenthaler: Wer sagt das, dass sich die Bauern vehement gegen die Grünen wehren?

Seit dem 21. Oktober vergeht kaum ein Tag, an dem man das nicht in den Medien vernimmt.

Wenn ich denke, was ich alles gelesen habe… Wieviel Blödsinn da geschrieben wurde! (lacht)

Die öffentliche Wahrnehmung ist aber die, dass die Grünen für die Bauernschaft in Südtirol und insbesondere für den Bauernbund, dessen Präsident Sie sind, ein tiefrotes Tuch sind.

Man muss jetzt schauen, eine gute Koalition auf die Beine zu stellen. Das ist dieses Mal nicht so einfach. In den letzten Jahren und Jahrzehnten war der PD als Koalitionspartner Standard. Mit den Parlamentswahlen im Frühjahr und den Landtagswahlen im Oktober hat sich auf nationaler Ebene, aber auch in Südtirol, sehr viel getan. Es hat sich alles zugunsten der Lega Nord verschoben, vor allem im Trentino.
Klar, einfach ist es nicht. Aber schlussendlich gilt es, primär in Südtirol eine Regierung zusammenzubekommen, dann eine Regionalregierung und dann muss natürlich ein bestimmter Bezug zu Rom hergestellt werden. Momentan wird das nicht so leicht sein. Vor allem gibt es nicht viele Möglichkeiten, denn die Mehrheitsverhältnisse sind die, die sie sind. Und dem muss man halt Rechnung tragen.

Die Grünen wollen von oben herab eine andere Landwirtschaft und eine andere Wirtschaft aufdiktieren. Das wird nicht gehen.

Der Hinweis, wen der Bauernbund als Regierungspartner bevorzugt, wurde bereits zwei Tage nach den Wahlen auf der SBB-Homepage veröffentlicht: “Die italienische Volksgruppe wird am stärksten von der Lega Nord repräsentiert.” Halten Sie die Lega nach wie vor für den besseren Partner der SVP in der Landesregierung?

Ja, weil man es gesamtheitlich sehen muss, nicht nur auf Südtirol bezogen. Sondern auf regionaler Ebene, auf nationaler und morgen auch auf internationaler Ebene. Wir wissen alle, dass nächstes Jahr Europaparlamentswahlen anstehen und dafür brauchen wir als Südtirol ja auch einen Partner. Alleine sind wir nicht imstande, zumindest einen Abgeordneten entsprechend zu positionieren. Die Lega Nord ist in diesem Sinne ganz sicherlich ein starker Partner bzw. eine starke Partei.

Gerade wenn man an die Europawahlen denkt, werden Ihnen die Differenzen zwischen SVP und Lega nicht entgangen sein. Landeshauptmann Kompatscher – und damit steht er nicht alleine in der SVP – schließt ein Bündnis mit der Lega für die EU-Wahlen aus. Wegen der europafeindlichen Haltung der Lega, die auch ein Grund dafür ist, dass es auf Landesebene noch keine Koalition gibt. Spielen Werte für Sie in der Politik keine Rolle?

Natürlich geht es um Werte! Das ist vollkommen richtig. Nur muss man sich immer vor Augen halten, dass es in der Politik Mehrheiten braucht. Ansonsten erreichst du gar nichts, Werte hin oder her. Ich glaube, dass wir grundsätzlich alle wissen, dass es weder bei den Grünen noch bei Lega nur Vorteile gibt. Das ist ganz klar. Wir wissen um die europafeindliche Politik, die sie derzeit auf nationaler Ebene machen.
Unsere vier Lega-Landtagsabgeordneten und deren Einstellung kenne ich hingegen überhaupt nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass die jetzt nicht unbedingt europafeindlich sind.
Andererseits ist die Europafreundlichkeit, die wir bisher mit dem PD hatten, derzeit nicht mehr gegeben. Das schreckt uns schon ab, sicher.

Eine Abkehr von Europa käme für Sie nicht in Frage?

Wir wissen alle, dass ohne Europa viele Dinge nicht möglich sind. Wir haben inzwischen über 70 Jahre Frieden. Frieden ist für uns zur Selbstverständlichkeit geworden – was er aber nicht ist. Das ist der erste Punkt, weswegen man eigentlich für Europa sein müsste. Darüber hinaus gibt es viele andere Vorteile – die gemeinsame Währung, die offenen Grenzen usw. –, die viele Leute inzwischen aber gar nicht mehr wahrnehmen. Weil sie selbstverständlich geworden sind.

Es wäre opportun, dass die Landwirtschaft zwei Landesräte stellen würde.

Als Vertreter der (Land-)Wirtschaft profitieren Sie selbst von einem geeinten Europa.

Richtig, sowieso! Wir haben verschiedene Vorteile, etwa durch den freien Warenverkehr. Aber auch Mitarbeiter aus dem Osten, die für die Gastronomie und die Landwirtschaft wichtig sind, sind inzwischen relativ leicht anzustellen. Noch vor zehn Jahren hatten wir riesige Probleme. Mit jedem einzelnen Erntehelfer und Saisonarbeiter mussten wir auf die Quästur, Fingerabdrücke nehmen, fünf Fotos hinterlegen, eine Menge Bürokratie erledigen. Das alles ist weggefallen. Es hat sich insgesamt sehr vieles zum Positiven entwickelt. In diese Richtung muss man weiterarbeiten. Das gemeinsame Europa ist ein ganz wichtiger Faktor für die Zukunft.

Was mich zurück zu den Grünen führt, die sich betont europafreundlich geben. Vergleicht man das Grüne Wahlprogramm mit jenem, das der Bauernbund gemeinsam mit den vier von ihm unterstützten (SVP-)Kandidaten ausgearbeitet hat, findet man doch Gemeinsamkeiten: Aufwertung des ländlichen Raumes oder Digitalisierung beispielsweise. Abgesehen davon gehören viele Bauern zu den Innovatoren im Land und streben eine nachhaltige Wirtschaftsweise an – was sie von den Grünen auch nicht wirklich unterscheidet. Welche sind die tatsächlichen Reibungspunkte zwischen Landwirtschaft und Grüner Politik?

Ich sehe, dass nicht nur die Landwirtschaft, sondern die Wirtschaft insgesamt nicht unbedingt Freunde der Grünen sind. Wir als Landwirte in diesem Sinne auch nicht, denn man muss sich fragen: Wer sind die Grünsten außer den Landwirten? Die Landwirte sind selbst mehr als grün, weil wir im Grün arbeiten. Niemand hat bis jetzt die Landschaft mehr gepflegt und mehr für die Natur getan als die Bauern. Es sind die Bauern, die aufgrund ihrer Aufgabe und ihres Berufes die Landschaft erhalten, die Natur pflegen. Bei den Grünen und ihrem Wahlprogramm sieht man, dass sie von oben herab eine andere Landwirtschaft und auch eine andere Wirtschaft aufdiktieren wollen. Das wird nicht gehen. Man muss im Einklang mit jenen, die draußen arbeiten, versuchen, Lösungen zu finden. Man muss diesen Leuten nicht von oben irgendwelche Diktate aufoktroyieren, sondern sie mit einbinden. Bisher ist das sehr gut gelungen, zusammen mit der SVP. In der Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr, sehr viel getan, in Richtung Nachhaltigkeit usw. – ansonsten gäbe es die Landwirtschaft ja nicht mehr. Ich glaube, dass wir auf diesem Weg weitermachen müssen. Ohne zwanghafte Vorstellungen zu haben.

Ein Wahlprogramm ist ja kein Koalitionsprogramm und die Opposition, in der die Grünen bisher immer waren, bringt es mit sich, dass man sich unversöhnlicher zeigt als man vielleicht ist. Könnte den Grünen nicht der Wind aus den Segeln genommen werden, indem man sie in die Landesregierung holt und gemeinsame Visionen entwickelt? Zumal Sie selbst sagen, dass es unter den Bauern ein Umdenken gegeben hat? Oder sehen Sie gar keine Basis?

Es war kein Umdenken, sondern ein Mitdenken und ein eigenständiges Denken, das seit Jahrzehnten schon stattfindet. Wir werden in eine Ecke gedrängt, wo man meint, die Landwirtschaft macht alles kaputt. Die Landwirtschaft wurde in den letzten Jahren ziemlich kritisiert – ich sage, aus nichtigen Gründen. Jeder einzelne sollte sich bei der Nase nehmen und das Bestmögliche tun. Ich fände es wichtig, dass jeder vor seiner Haustüre kehrt und nicht die anderen kritisieren – jene, die in den vergangenen Jahrzehnten extrem viel dafür getan haben, dass Südtirol so lebenswert ist. Das muss auch einmal geschätzt werden!

Klar, auch bei der Lega gibt es nicht nur Vorteile. Die Europafreundlichkeit, die wir bisher mit dem PD hatten, ist derzeit nicht mehr gegeben. Das schreckt uns schon ab.

Fehlt den Grünen die Sensibilität für die Anliegen der Bauern, weil sie eine Partei sind, die in erster Linie in den Städten zuhause ist? Nicht zuletzt bei der Wolfs-Debatte ist der Eindruck entstanden, die Grünen seien ziemlich weit weg von den Bauern.

Auch ein bisschen weit weg von der Realität. Es ist natürlich einfach, wenn ich in der Stadt oder in einer größeren Ortschaft wohne und denen, die draußen arbeiten und von dem Einkommen, das sie dort erwirtschaften, leben müssen, aufzuoktroyieren, was sie zu tun hätten. Neben Bär und Wolf zu arbeiten sei kein Problem, sagen die Grünen. Aber geht mal hinaus, schaut euch die Situation einmal an und versucht einmal mitzuleben, was dort draußen passiert! Wenn jemand Ziegen, Schafe oder Kälber hat, die von einem Wolf gerissen und auf erbärmlichste Art – halb lebend, mit halb abgefressenem Körper – liegen gelassen werden, dann sind damit Emotionen verbunden! Deshalb muss man schon ein bisschen aufpassen, was man sagt. Abgesehen von Wolf und Bär haben wir eine große Biodiversität, die es weiter zu pflegen gilt – kein Thema. Aber bislang hat das die Landwirtschaft auf die Reihe bekommen, nicht die Grünen, die irgendwo herunten in der Stadt oder einer größeren Ortschaft wohnen und vielleicht am Wochenende oder im Urlaub hinausgehen und die Landschaft genießen. Es ist doch ein Unterschied, ob ich meine Freizeit am Berg, im Wald, auf der Alm verbringe oder ob ich davon leben muss. Das ist ein großer Unterschied!

Unterm Strich wollen Sie sagen: Die Grünen werden weiterhin keine Ansprechpartner für den Südtiroler Bauernbund bleiben?

Nein, das möchte ich nicht sagen. Wir sind für alle Gespräche offen und haben auch Kontakt zu den Grünen. Nur, bei bestimmten Problemen sind wir mit den Meinungen ziemlich weit voneinander entfernt. Sie haben es ja selbst angeschnitten, bei Bär und Wolf zum Beispiel.

In der Politik braucht es Mehrheiten, ansonsten erreichst du gar nichts, Werte hin oder her.

Bei anderen Themen steht man sich dann doch näher als man vielleicht meinen würde. Stichwort Flughafen.

Ja, natürlich. Natürlich gibt es Themen, wo man sich nahe steht. Aber es gibt eben essentielle Themen, wo das nicht unbedingt der Fall ist. Man muss die verschiedenen Einstellungen respektieren, das steht außer Frage. Ich habe vor jedem Respekt, der eine andere Meinung vertritt. Nur müssen wir als Bauernbund auch unsere Mitglieder vertreten und als Betriebe schauen, realistisch weiterzukommen – realistisch! Und ich glaube, die Entwicklung, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat, war sehr positiv. Und wenn wir in die Richtung weitermachen, sind wir sicherlich nicht auf dem falschen Weg.

Wollen Sie und der Bauernbund sich auf diesem Weg weiterhin von Arnold Schuler als Landwirtschaftslandesrat begleiten lassen?

Die Situation ist folgende: Da die Wahlen für die Wirtschaft und die Landwirtschaft so gut gelaufen sind, hätten wir als Landwirtschaft natürlich gerne zwei Landesräte, Arnold Schuler inklusive. Er hat auf der SVP-Liste am drittmeisten Stimmen erhalten, das ist zu respektieren. Wir werden nicht verlangen, der und der muss die Landwirtschaft übernehmen und der und der ein anderes Ressort. Aber vom Wahlausgang her wäre es opportun, dass die Landwirtschaft zwei Landesräte stellen würde.