Society | Impfungen

Gestrichene Ärzte

Rät ein Arzt vom Impfen ab, könnte ihn das künftig seinen Beruf kosten. In Südtirol relativiert man die Bedrohung und setzt auf “Vernunft und Aufklärung”.

“Im Prinzip richtig, aber kaum vorstellbar” hält Andreas von Lutterotti den jüngsten Vorschlag des Verbands der italienischen Ärztekammern Fnomceo. Ärzten, die vom Impfen abraten, sollen Disziplinarstrafen drohen, die bis zum Ausschluss aus dem Arztberuf reichen können. Die entsprechende Absichtserklärung, die die Fnomceo am Mittwoch, 20. Juli, in Rom präsentiert hat, hat von Lutterotti, Vize-Präsident der Südtiroler Ärztekammer und selbst Hausarzt in Kaltern, noch nicht genau studiert. Doch er relativiert die Bedrohung, die davon für seinen Berufsstand, auch hierzulande, ausgehen könnte. Als nationale Organisation kann die Fnomceo in Disziplinarfragen nämlich gar nicht aktiv werden, diese sind Zuständigkeit der einzelnen Ärztekammern. Und jener in Südtirol lägen bisher keine Fälle von Ärzten vor, die von Impfungen abgeraten hätten, teilt von Lutterotti auf Nachfrage von salto.bz mit, “auch wenn gemunkelt wird, dass es sie auch bei uns gibt”.

Würde bei der hiesigen Ärztekammer allerdings die schrifliche Meldung über einen Arzt eingehen, der sich im Gespräch mit seinen Patienten ausdrücklich gegen eine Impfung ausgesprochen hat, “würden wir den Betroffenen zu einem Gespräch einladen, die Angelegenheit besprechen und ihn anhören”, erklärt Andreas von Lutterotti.  Er kann sich allerdings nicht vorstellen, dass es gleich zu disziplinaren Konsequenzen kommen würde: “Ob Elemente für ein Disziplinarverfahren vorliegen, muss die zuständige Kommission der Ärztekammer prüfen.”


Von ganz Oben

Die klare und durchaus harte Position, die die Fnomceo nun eingenommen hat, ist, so von Lutterotti, vermutlich Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin geschuldet. Bei einer Tagung in Rimini im Mai dieses Jahres hat sie die Ärzte zum Handeln aufgefordert. Von Lutterotti war damals in Rimini dabei und erinnert sich: “‘Bitte werdet bezüglich Impfungen aktiv’, hat die Ministerin zu den 500 versammelten Ärzten gesagt. Ihr schien das Thema auch persönlich am Herzen zu liegen.”

Seit Monaten unternehmen Gesundheitsministerium, aber auch einzelne Regionen und das Istituto Superiore alla Sanità zahlreiche Anstrengungen, um der rückläufige Impfrate in Italien entgegenzuwirken. So ist Anfang Juli in der Emilia Romagna ein Gesetz in Kraft getreten, das es nicht geimpften Kindern den Kindergartenbesuch verbietet. Auch in Südtirol – seit Jahren Schlusslicht bei der Durchimpfungsrate – startet der Sanitätsbetrieb regelmäßig Kampagnen, die zum Impfen aufrufen. In Ministerium und Sanitätsbetrieb ist man sich einig: Impfungen sind eine große Errungenschaft in der Geschichte der Menschheit, die Vorteile, insbesondere im Kindesalter, liegen auf der Hand, und: “Sich impfen lassen ist ein persönliches Recht, aber auch eine Pflicht der Gemeinschaft gegenüber”. Daher dürften Ärzte ohne triftigen Grund wie etwa bei vorliegenden Immunschwächen ihren Patienten nicht vom Impfen abraten. Und schon gar nicht, wenn sie sich bei ihren Empfehlungen auf “nicht wissenschaftlich belegtes Wissen” beriefen. Das sei ein Verstoß gegen den deontologischen Berufskodex, so der Verband der italienischen Ärztekammern gestern in Rom, und könne mit Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Streichung aus dem Berufsverzeichnis geahndet werden.


“Vernunft statt Drohungen”

“Eine drastische Maßnahme” wäre das für Eugen Sleiter. Der Sekretär der Ärztegewerkschaft Cisl Medici ist als Amtsarzt in drei Burggräfler Gemeinden tätig. Als solcher führt er beinahe täglich Impfungen durch. Die Impfrate in seinem Einzugsgebiet, so Sleiter, hat sich in letzter Zeit verbessert. Trotz “starker und zum Teil aggressiver Kampagnen der Impfgegner” sei es ihm gelungen, viele Leute vom Impfen zu überzeugen. Sein Rezept? Disziplinarandrohungen brächten nichts, er fahre vielmehr “die Vernunftslinie”: “Auf Fragen, Skepsis und Zweifel eingehen, die Menschen aufklären, informieren und versuchen, zu überzeugen – mehr kann ein Arzt nicht tun”, meint Sleiter. Denn der Wille und die Entscheidungsfreiheit der Patienten sei nun einmal zu respektieren.

Einzig im Falle der Pflichtimpfungen drohen Konsequenzen. Eltern, die sich weigern, ihre Kinder gegen Kinderlähmung, Difterie, Tetanus und/oder Hepatitis B zu impfen, müssen mit Verwaltungsstrafen rechnen. Wer nach dreimaliger Einladung durch das Hygieneamt nicht zur Pflichtimpfung vorstellig wird – laut von Lutterotti “ganz wenige” –, zahlt bei Kinderlähmung, Difterie und Tetanus jeweils 51 Euro, bei Hepatitis B sind es 86 Euro (Stand: November 2013). Im Oktober 2015 scheiterte der Versuch von Elena Artioli, im Landtag die Abschaffung dieser Strafen zu fordern. Auch gegen die Empfehlung der Fnomceo soll vorgegangen werden. Die italienische Konsumentenschützer von CODACONS haben angekündigt, gegen “diese Absurdität” vor das Verwaltungsgericht ziehen zu wollen.