Società | Impfungen

Das Kreuz mit der Spritze

Immer weniger Eltern lassen ihre Kinder impfen. Viele bestehen auf ihre Entscheidungsfreiheit. Offizielle Stellen warnen: "Infektionsrisiko ist nach wie vor gegeben."

Es ist eines der Themen, das derzeit viele Eltern im Land spaltet. Doch auch darüber hinaus ist italienweit eine heftige Debatte um die Fragen “Impfen – ja oder nein?” beziehungsweise “Impfen – Pflicht oder freiwillig?” entbrannt. Anlass dazu hatte nicht zuletzt die Erklärung des Präsidenten des Istituto Superiore di Sanità (Oberstes italienisches Institut für das Gesundheitswesen) Walter Ricciardi gegeben. Vor zwei Wochen hatte dieser verkündet, dass die Durchimpfungsrate staatsweit “an der Grenze der Sicherheitsschwelle” liege. Seine Befürchtung: “Questa situazione, che tende progressivamente a peggiorare, rischia di avere gravi conseguenze sia sul piano individuale che collettivo poiché scendere sotto le soglie minime significa perdere via via la protezione della popolazione nel suo complesso e aumentare contemporaneamente il rischio che bambini non vaccinati si ammalino, che si verifichino epidemie importanti, che malattie per anni cancellate dalla protezione dei vaccini non siano riconosciute e trattate in tempo.” Ricciardi ist überzeugt, dass die Risiken einer Nicht-Impfung “enorm höher” seien als jene, die aufgrund eventueller Kolletaralschäden befürchtet werden.


Von der Impfpflicht zum Impfzwang?

Sein Alarmruf verhallt nicht ungehört. Am Dienstag, 20. Oktober, tritt die Regionenkonferenz zusammen. Sie wird unter anderem über den Vorschlag diskutieren, Kindern, die nicht geimpft sind, den Schulbesuch zu untersagen. Konkret könnte im neuen nationalen Impfplan 2015-2017 vorgesehen werden, dass Kinder, denen die Pflichtimpfungen fehlen, nicht in die Schulen aufgenommen werden dürften.

Insgesamt gibt es vier verpflichtende Impfungen, die Kindern ab dem 3. Lebensmonat verabreicht werden müssen: Kinderlähmung, Difterie, Tetanus und Hepatitis B.

Darüber hinaus steht die Debatte im Raum, ob Ärzte, die vom Impfen abraten, mit Strafen rechnen müssen. “Ein Wahnsinn”, protestiert die italienische Ärztegewerkschaft Anaao. Im Netz wurde indes eine Petition gestartet. Eltern appellieren an die italienische Politik, sie nicht in ihrer Entscheidungsfreiheit zu beschneiden. “Wer seine Kinder nicht impft, egal aus welchen Gründen, darf nicht als unverantwortlich eingestuft und aus dem täglichen Leben oder der Schule ausgeschlossen werden”, so die bisher knapp 8.200 Unterzeichner der Petition. “Wir fordern, dass die Impfungen weiterhin keine Voraussetzung für die Eingliederung in die Schulgemeinschaft darstellen dürfen. Um unseren Kindern Bildung und eine bessere Zukunft zu garantieren.” Auch in Südtirol regt sich Missmut. “Wir wollen selbst entscheiden ob und gegen was wir unsere Kinder impfen lassen!”, schreibt eine Mutter auf Facebook, wo eine rege Diskussion in Gang gesetzt wurde. Eltern wenden sich auch an die Redaktionen des Landes. Einige Schreiben mit demselben Wortlaut haben salto.bz aus Bozen und Meran erreicht:

Ho fatto la scelta di non vaccinare i miei figli. In questi mesi, avendo purtroppo appreso dai mezzi di comunicazione e anche da dichiarazioni ufficiali di proposte sempre più pressanti finalizzate a ridurre o annullare la libertà vaccinale ed avendo assistito ad una vergognosa campagna denigratoria nei confronti dei genitori obiettori, sento l'esigenza ed il dovere di rivolgere un appello urgente affinchè venga tutelato il mio diritto di scegliere come proteggere la salute di mio/a figlio/a. Chiedo che venga rispettata la mia scelta responsabile, presa dopo un'accurata informazione sui rischi e benefici dei vaccini. Chiedo inoltre che venga finalmente iniziato uno studio che paragoni la salute di vaccinati e non vaccinati in Italia e che vengano tutelati i danneggiati da vaccino, dando una risposta alla sofferenza di tante famiglie.

La libertà di scelta per la salute è un diritto costituzionale irrinunciabile.


Strafe bei Verweigerung

Unser Land ist traditionell das Schlusslicht im nationalen Vergleich der Durchimpfungsrate. Diese lag bei den vier Pflichtimpfungen 2014 bei jeweils gut 88 Prozent – weit entfernt von den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO und dem aktuellen Landesimpfplan. Diese sehen beide eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent vor. Sowohl für die Pflichtimpfungen als auch für Mumps, Masern und Röteln. 2014 lag die Impfrate für diese drei Kinderkrankheiten bei knapp 70 Prozent. Im Falle von Windpocken erreichte sie gerade einmal einen Wert von 3 Prozent.

Bereits heute müssen Eltern, die sich weigern, ihre Kinder gegen Kinderlähmung, Difterie, Tetanus und Hepatitis B zu impfen, mit Geldstrafen rechnen. In einer Anfrage wollten die Freiheitlichen 2013 wissen, wie viele Fälle von Eltern, die ihre Kindern nicht impfen ließen, dem Gesundheitsassessorat bekannt waren. Aus der Antwort des damaligen Gesundheitsminister Richard Theiner geht hervor, dass 2009 insgesamt 672 Verwaltungsstrafen für die Nichteinhaltung der Impfpflicht ausgestellt worden waren. 2010 waren es 995, 2011 876 und 2012 an die 730 Strafbescheide. Jeweils 51 Euro zahlt, wer sein Kind nicht gegen Kinderlähmung, Difterie oder Tetanus impft, bei Hepatitis B steigt die Strafe auf 86 Euro an (Stand: November 2013). Diese Verwaltungsstrafen wollte Elena Artioli per Beschlussantrag kürzlich im Landtag abschaffen. Sie vermutet eine “unannehmbare Form der Diskriminierung” dahinter. Im Vergleich zu Südtirol hätten zahlreiche europäische Staaten die Impfpflicht bereits aufgehoben und einige italienische Regionen zumindest die Geldstrafen bei Nicht-Impfung abgeschafft. Ihre Forderung an die Landesregierung daher: “(…) die Verhängung der Geldstrafen bei Verstoß gegen die Impfpflicht umgehend auszusetzen und in Anbetracht der Fortschritte in der übrigen Europäischen Union ihre Einstellung zur Impfpflicht, unbeschadet der positiven Aspekte einiger Impfungen, zu überdenken.”


Grenzenlose Krankheiten

Mit 5 Ja, 21 Nein und 4 Enthaltungen lehnte der Landtag Artiolis Antrag ab. Gesundheitslandesrätin Martha Stocker kündigte allerdings an, falls Südtirol die von der WHO vorgegebene Durchimpfungsrate von 95 Prozent erreiche, werde man die Geldstrafen “selbstverständlich abschaffen”.

Das Landesgesetz Nr. 10 vom 28. Oktober 1994 legt in Art. 6 fest: “Die Landesregierung kann die Verhängung der Geldstrafen für die Nichtbeachtung der Impfpflicht aussetzen, sofern die vom Landesimpfplan vorgesehenen Mindestdurchimpfungsraten eingehalten werden.”

Bis es soweit sein wird, setzt man im Land auf Informations- und Aufklärungsarbeit, um Eltern von der Wichtigkeit und Notwendigkeit der Impfungen zu überzeugen. Dabei schlägt man ähnliche Töne wie im Obersten Institut für das öffentliche Gesundheitswesen an. “Sich impfen lassen ist ein persönliches Recht, aber auch eine Pflicht der Gemeinschaft gegenüber”, schreibt der Südtiroler Gesundheitsbetrieb in seiner aktuellen Informationsbroschüre “Impfung schützt: Infektionskrankheiten und Impfungen im Kindesalter”. Im Vorwort versucht Josef Simeoni, der Direktor der Abteilung für Gesundheitsvorsorge zu erklären, warum Impfungen heutzutage nach wie vor angemessen seien: “Es gibt gar einige Infektionskrankheiten, deren Gefahr heute kaum mehr wahrgenommen wird beziehungsweise vergessen worden ist. In vielen Ländern der Welt treten diese Erkrankungen aber immer noch auf und führen häufig zu bleibenden Schäden oder Tod. Infektionskrankheiten kennen keine sozialen oder geographischen Grenzen und können jederzeit wieder eingeschleppt werden und erneut auftreten.” Etwa durch Menschen, die auf ihrer Flucht nach und durch Südtirol reisen? Wie viel ist eigentlich vom Impfstatus der Asylbewerber, die im Land unterkommen, bekannt?

Jene Menschen, die Südtirol über die staatsweite Quote zugewiesen werden, werden gleich bei ihrer Ankunft in Bozen auf ihren Gesundheitszustand untersucht. Das Hygieneamt stellt dafür eine kleine Task Force an Ärzten zur Verfügung. Routinemäßig werden Röntgenaufnahmen des Thorax' gemacht und der allgemeine Gesundheitszustand überprüft. “Also, ob jemand Fieber, Hautkrankheiten oder sonstige aktive Infektionskrankheiten hat”, weiß Maximilian Benedikter vom Ambulatorio STP (Ambulatorium für Migranten, die sich zeitweise im Territorium aufhalten). Von den offiziell Zuständigen war am Montag Nachmittag niemand erreichbar. Doch Benedikter informiert: “Allerdings findet dort keine standardmäßige Überprüfung des Impfstatus’ statt.”

Für das Impfen wäre in einem zweiten Moment erst der Hausarzt, den die Asylbewerber, sind sie einmal “institutionalisiert”, also einer Unterkunft zugewiesen, zuständig. Eine Tatsache, die Eltern dazu verpflichten sollte, ihre Kinder unbedingt zu impfen? “Nein”, sagt Maximilian Benedikter. “Die Anzahl der nicht geimpften Kinder und Personen im Land ist wegen der Flüchtlinge nicht relevant gestiegen. Wenn diese Zahl im nationalen Vergleich relativ hoch ist, ist das so, weil sich die autochtone Bevölkerung nicht impfen lässt.” Es sei also nicht unbedingt zu befürchten, dass sich zum Beispiel ein Kind im Kindergarten mit einer ansteckenden Krankheit infiziert, “nur weil ein Flüchtling vorbeigeht”, so Benedikter.