Gefährliche Seeliebe
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Legenden
Zur Entstehung des Antholzer Sees gibt es eine alte Sage. Sie erzählt von drei Bauernhöfen und einem armen Bettler, der dort um Almosen bat, allerdings nur schimmeliges altes Brot bekam, das man nicht einmal den Tieren zum Futter vorwirft. Daraufhin soll der Bettler geflucht haben: „Ihr werdet sehen, dass ein schlechtes Wetter kommen wird. Es wird regnen und der Regen wird herunterkommen so reichlich, dass ihr für euer ganzes Leben genug davon haben werdet!“ Außerdem – so fluchte der Bettler weiter –, „wird eine Quelle entspringen und die Höfe bald im Wasser versinken.“ Es kam dazu und der See verschluckte die reichen und geizigen Bauern samt Höfe. So die Legende.
Enrico Mattei war nicht nur eine nationale Figur, er war auch eine europäische Figur
Über Geiz und Reichtum am Talende von Antholz ist nicht nur diese mahnende Legende überliefert. Eine zeitnahe und weit über die Talgrenzen hinaus bekannte Geschichte ist hingegen wahr, dreht sich um viel Geld, vor allem aber um maßlos überzogene Baumaßnahmen unmittelbar vor dem Antholzer See. Einigen Entscheidungsträgern war das dortige (eigentlich gut funktionierende) Biathlonzentrum offenbar nicht groß genug gewesen und so musste eine Vergrößerung her. Mit schwerem Gerät und großem finanziellen Aufwand wird deshalb emsig gearbeitet, geht es doch darum, bei Olympia 2026 noch mehr zu glänzen als alle fein herausgeputzten Medaillen zusammen.
Vorher, als es in dieser Gegend noch keine Infrastruktur für die Randsportart Biathlon gab, liefen erste Langläufer mit ihren Brettern über den zugefrorenen See, der Mitte der 1950er Jahre einer der bekanntesten Persönlichkeiten in der Nachkriegsgeschichte Italiens gehörte: Enrico Mattei. Ebenfalls eine Legende. -
„Enrico Matei ist vor allem deshalb eine faszinierende Persönlichkeit, da er eigentlich aus einem aus den Trümmern zerfetzten Italien, als Hoffnungsbotschafter hervortrat“, erzählt der Pusterer Christian Furtschegger, der die Geschichte von Mattei akribisch studiert und sich mit ihr – mal mehr, mal weniger – beschäftigt. Seit einer Veranstaltung zum 50. Todestag von Enrico Mattei 2012 in Antholz hat Furtschegger intensiv zu Mattei recherchiert, gelesen, mit Zeitzeugen gesprochen und publiziert. Auch neue Details zum Pustertal kamen dabei ans Tageslicht, etwa dass Mattei, Begründer der Erdölgesellschaft Eni, „um ein Haar eine Wohnferienstätte – sowohl für Management und Arbeiter – in Toblach errichten wollte.“ Nachdem es dazu aber entsprechenden Widerstand gegeben hatte, realisierte Mattei das Ganze ab 1952 in Borca di Cadore bei Cortina.“ Mattei selbst kaufte sich wenige Jahre später den damals wertlosen Antholzer See. Samt Haus am Wasser wurde dieser Platz zu seinem persönlichen Feriendomizil. Mattei – so Furtschegger – habe wie kaum ein anderer Manager dieser Jahre erkannt, „wie mit Energiereserven die Geschicke eines Landes und seiner Menschen zentral gestaltet werden können“.
Freunde und FeindeDie sehr sozial eingestellte Persönlichkeit Enrico Mattei hatte sich bei einem seiner Anglerausflüge in die Antholzer Gegend verliebt, machte sich mit ihr vertraut, kam regelmäßig und machte sich hier viele Freunde. Bevor er sich See und Haus kaufte, war der Eni-Präsident meistens im Gasthof Goldene Rose im Zentrum von Bruneck abgestiegen. Dort hatte er ein Zimmer reserviert, reiste am Freitagabend an und blieb bis Sonntag. Der Leiter der Agip-Tankstelle in Bruneck Peter Hitthaler – „Herr Pietro“ genannt – begleitete Mattei bei den zahlreichen Angelausflügen. Im Antholzertal dann, blieb Mattei (wie ein Fisch an der Angel) hängen. Berglandschaft und See hatten ihn in Bann gezogen. Hier wollte er sich festmachen.
Aber Mattei hatte auch Feinde. In diesem Zusammenhang ist auch ein angedachtes Großprojekt zum Bau einer riesigen Stauseeanlage zwischen den Bergen dieser Gegend zu nennen. Wollte man damit Mattei, gerade hier in dem von ihm liebgewonnenen Naturreservat, eins auswischen? Inwieweit sich hier „Mythos und Wahrheit decken“, ist auch für Futschegger nicht restlos geklärt. Überliefert ist ein weiterer Mythos, wonach Mattei ein „indirekter Mitbegründer des Naturparkgedankens“ in Antholz gewesen sein soll. Ein Gedanke, der gegenwärtig wie ein mahnender Pfeilschuss ins Herz der benachbarten Südtirol-Arena führt. Peng.Ein heikler FallEnrico Matteis Eni-Konzern (Ente Nazionale Idrocarburi) hatte sich wenige Jahre vor dem Kauf des Antholzer Rückzugsorts als staatliches Unternehmen 1953 gegründet. Ziel war es, die italienischen Ressourcen in der Öl- und Gasindustrie besser zu entwickeln und zu verwalten, um dadurch Italien unabhängiger von ausländischen Energiequellen zu machen. Zum frühen Tod des Seebesitzers aus Antholz kam es am 27. Oktober 1962, als Mattei bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe von Bascapè (Lombardei) ums Leben kam. Die Unglücks-Geschichte wirft bis heute viele Fragen auf.
Enrico Mattei war auf dem Weg von Catania nach Mailand gewesen, als seine Maschine bei schlechtem Wetter abstürzte. Er, sein Pilot und ein amerikanischer Journalist starben. War es technisches Versagen? Das Ergebnis eines Sabotageakts? War gar ein Bombe an Bord des Flugzeugs platziert? Dass Mattei viele Gegner unter seinen "Geschäftsfreunden" hatte, wusste im kleinen Antholz kaum jemand. Von seinen Bemühungen, die Kontrolle der Seven Sisters zu durchbrechen – so wurden die sieben Ölkonzerne bezeichnet, die in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren den globalen Ölmarkt beherrschten –, war nahezu nichts an den ruhigen See gelangt, auch nicht, dass seine Verträge mit Ländern im Nahen Osten und in Nordafrika als Bedrohung für die etablierten Interessen der westlichen Ölkonzerne angesehen wurden.
Erst seit den 1990er Jahren, nachdem erneut Untersuchungen zum Flugzeugabsturz eingeleitet wurden, konnte belegt werden, dass das Flugzeug durch eine Explosion zum Absturz gebracht worden war. Eine Tatsache, welche die Theorie eines Attentats stützt. Unklar ist auch das Verschwinden eines wichtigen Zeitzeugen für das Filmprojekt Il Caso Mattei des Regisseurs Francesco Rosi, welches den Tod von Enrico Mattei zehn Jahre später für die Kinoleinwand thematisierte und zahlreiche Auszeichnungen bekam – darunter die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes 1972.(c) Youtube„Mattei war nicht nur eine nationale Figur, er war auch eine europäische Figur“, hebt Christian Furtschegger hervor. Er müsse eigentlich „unter den inoffiziellen Gründervätern der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mitgenannt werden“, sagt der historisch interessierte Pustertaler, „da er für Italien als Gründungsmitglied im Jahr 1957 wichtigen Optimismus versprüht hat und das Land einen entsprechenden wirtschaftlichen Boom hinlegen konnte, der ohne das Eni-Wunder und der Vorgehensweise von Mattei absolut unvorstellbar gewesen wäre.“ Umso wichtiger wäre, „Enrico Matei an den Schulen zu vermitteln“, ist Furtschegger überzeugt. Und: „Italien hätte sich mit Enrico Mattei anders entwickelt.“ Vielleicht auch die mittlerweile überbaute Gegend im hinteren Antholzertal.
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Interessanter Artikel…
Interessanter Artikel. Selten genug, dass es sich auszahlt, mehr als die Überschrift zu lesen.
In reply to Interessanter Artikel… by nobody
Uh Jetzt muss ich ihn doch…
Uh
Jetzt muss ich ihn doch glatt lesen. Vergelts gott
Auch interessant die Vita…
Auch interessant die Vita von Mattei (auf Wikipedia). Geld kommt vor Moral (so viel zu den sette sorelle).