Neugeboren und in Erinnerung behalten
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Rund um zwei neue Ausstellungen wird heute Abend im Bozner Museion einiges los sein. Während ein Pol für Ruhe steht und in „Ezio Gribaudo - The Weight of the Concrete“ ganz ruhig eine Einzelausstellung um die italienisch/englisch homofon lautenden Worte für Konkretes und Beton zu sehen sein wird, steht die andere für Öffnung. Hier haben sich, in einer posthumen Schau zum 2022 verstorbenen Künstler Gedanken und Motive verfestigt, da sind Identitäten fluide: „Renaissance“ vereint 15 Positionen norditalienischer Künstler:innen unter 35, die im Rennen um das mit rund 60.000 Euro dotierte Stipendium der Stiftung Vordemberge-Gildewart, das zu den höchstdotierten und renommiertesten in Europa zählt, stehen. Im Rahmen der Eröffnung und Verleihung heute Abend ab 19 Uhr soll ebenso der erste Preis der Privatförderer der Institution, der Museion Private Founders, sowie ein Publikumspreis vergeben werden - beide in Verbindung mit einem Ankauf für die Sammlung.
Sicherlich ist heute Abend nicht der beste Moment, um sich die neuen Ausstellungen in aller Ruhe anzusehen, bei der gestrigen Press-Preview verteilte man sich besser aufs Gebäude: Nach Grußworten seitens des Museions, sowie beteiligter Partner ging es gleich in die erste Ausstellung, die das Museion gemeinsam mit dem Archivio Gribaudo und dem Grazer Kunstverein ausrichtete. Auch Paola Gribaudo, Tochter des Verlegers und Künstlers, war hierfür angereist und zeigte sich über die Ausstellung wie auch die große Nähe zu jungen Künstlerinnen und Künstlern gerührt, die dem Vater gefallen hätte. In der gleichzeitigen Identität als Verleger und Künstler, im zwei (oder mehr) Dinge auf einmal sein, hätte Ezio Gribaudo vielleicht gemeinsamen Gesprächsstoff mit den Jungen gehabt.
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Den Titel der Ausstellung, eine wortwörtliche Übersetzung, hat man von einem Buch Gribaudos von 1968 entlehnt. Das Künstlerbuch „Il peso del concreto“ konfrontierte Bilder von Kunstobjekten auf der einen, mit Beispielen konkreter Poesie (aus einer Anthologie, die der Dichter Adriano Spatola herausgegeben hat) auf der anderen Seite. Im Museion ist die Poesie ein leichtes Echo, die „Logogrifi“ des Künstlers, reliefhaft gearbeitete Werke, die von Löschpapier bis Polystyrol in verschiedenen Materialien entstehen, hängen an den Wänden oder liegen leicht auf Ziegeln aus Beton. Weiß auf weiß und mit individueller Beleuchtung laden sie zur näheren Betrachtung ein und laden näher. Aus der Bibliothek der Etage die Gribaudo gewidmet ist, sind Stimmen zu hören. Der Nebenschauplatz hat sich in mehr als einem Dutzend Vitrinen dem Oeuvre des Verlegers Gribaudo verschrieben und eine kollektive Audio-Installation konfrontiert eine Gruppe nachgerückter Poet:innen mit dem Buch von ‘68. Die Frage, die sich stellt ist eine konkrete: Wie radikal kann diese Poesie noch sein? Poetische Echos finden sich, wie gesagt in der ganzen Ausstellung: Gribaudos Topographien, mal figürlicher und mal abstrakter, lassen in Landschaften und auf eine Faszination mit dem Verfahren, der Technik des Druckens blicken.
Eine neue Chance ist wie ein neues LebenDie erste Arbeit die uns ins Auge „sticht“ ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer von drei Beiträgen Alipalomas, welchen die Brixnerin als „Dorn im Auge des Patriarchats“ sehen möchte und der ein solcher wortwörtlich ist. Die Ausstellung, von Leonie Radine kurratiert und durch die Design-Lösungen des Mailänder Kollektivs (ab)normal räumlich gestaltet, wird zum Parkur zwischen mehrheitlich für sich und isoliert stehenden Stationen. Liest man da noch eine Klaviatur auf einem Bauzaun, die Davide Stucchi mit schwarzen und weißen Socken gestaltet hat, so findet sich um die Ecke eine Videoarbeit, die das Handwerk des Schmiedes betrachtet. Dabei begibt sich der junge Filippo Contatore auf die Spur von Franz Messner (1952-2017), der in Klobenstein am Ritten eine Schmiedewerkstatt zwischen Kunst und Handwerk gründete. Hinter einem Eisengitter sehen wir Contatore die Schmiede reaktivieren, der „muskuläre“ Gestus des Schmiedens wird dabei unaufgeregt gezeigt.
Auch sind, trotz eines vorher abgesteckten geographischen Kontextes, Arbeiten dabei, die aus dem regionalen Kontext weit hinausragen: Monia Ben Hamouda etwa befasst sich in ihrer gegenwärtigen Installation, bei der sie selbst von einem „gestischem Exorzismus“ spricht, mit Orientalismus. Die Künstlerin mit tunesischen Wurzeln hängt wie freischwebend einen Schriftzug in den Raum, der Schatten wirft und eine Farb- und Geruchsexplosion unter sich weiß, die mutmaßlich heilsames Gewürzpulver von Curry, Kurkuma, Chilli und Co. vereint.
Im etwas weniger dichten oberen Stock ist Tobia Tavellas Installation ein Kraftakt, der aber gleichzeitig vom vorsichtigen Umgang mit Ressourcen und Wiederverwertung spricht, sogenannten regenerativen Praktiken, deren sich mehrere im Museion finden. Tavella hat, mit Schubkarren und Muskelkraft einen Erdhaufen samt Pflanzen, Steinen, Pilzen und Totholz ins Museion gebracht, die Pflanzen stammen aus unweit an der Talfer erledigten Uferarbeiten. Zentrales Stück der Arbeit ist allerdings eine große Trommel, die auf Beton gegossen an Gribaudo denken lässt und auch das, was noch kommt. Statt um einen neuen Guss handelt es sich dabei jedoch um eine ausrangierte Satellitenschüssel, die Tavella in der Nähe des Senders in Kohlern fand. Als „nomadic Drum“, die vom Besucher geschlagen werden darf, findet sich die Trommel sicher auch andernorts wieder, etwa bei der Biennale Gherdëina. Das ist allerdings noch Zukunftsmusik.
Ein besonders konfrontatives Werk steuert Magdalena Mitterhofer bei. Vor einem Hintergrund, der für sich schon einiges an künstlerischer Produktion angeregt hat, stellt Mitterhofer Fragen des Generationen-Dialogs. Um das Villagio Eni in Corte di Cadore geht es dabei nur am Rande und als Setting eines Films. „Corte“ lässt eine Gruppe von Jugendlichen der Generation Z auf einen älteren Schriftsteller Noél treffen. Wechselseitige Neugier, Alkohol und ausgelassene Stimmung machen Abgründe auf und es wird tief geblickt. Ergänzt wird die Vorführung durch einen von Mitterhofer reproduzierten Beichtstuhl aus dem Villagio, den sie mit Zeichnungen aus dem Storyboard zu „Corte“ versieht.
Eine Einladung zum Gespräch war auch Binta Diaws „The Land of Our Birth Is a Woman“, das 2021 im Bozner Lungomare entstanden ist. Mehrere Frauen mit Migrationshintergrund kamen mit der zwischen Mailand und Dakar lebenden und arbeitenden Künstlerin zusammen und gestalteten ein Patchwork, ihre Unterhaltungen dringen unsichtbar, als Audiomitschnitt, aus dem Stoff. Warum und auf welche Weise das Werk von Visionär Alexander Langer beeinflusst wurde? Wir haben nachgefragt bei einer, die im Rennen um 60.000 Franken mit dabei ist.
Frau Diaw, wie kam es, dass Alexander Langers „Südtirol ABC“ ihre Arbeit inspiriert hat?
Binta Diaw: Ich wurde 2021 für eine Residency eingeladen und fühlte mich ein wenig verloren, weil Bozen komplett neu für mich war. Ich wusste nichts von der Geschichte der Stadt. Also habe ich um Hilfe gebeten und man zeigte mir Alexander Langer und diesen Text. Als ich das Abecedarium gelesen hatte, fand ich es einfach sehr revolutionär. Es regt zum Nachdenken an. Ich habe versucht, seine Ideen zu dekontextualisieren und in einen neuen Kontext von heute zu übertragen.
Sind diese Gedanken für Sie, als schwarze Frau, die nicht in Südtirol lebt anwendbar?
Sicher. Ich meine, ich habe eine gewisse Vertrautheit zu meinen Gedanken und meiner Identität als schwarze Frau in einem europäischen Kontext verspürt. Es geht nicht expliziert um „blackness“, natürlich aber ich fand das sehr spannend. Während meiner Residenz ging es mir darum, eine kollektive Praxis zu schaffen, verschiedene Gemeinschaften kennen zu lernen und etwas zu Schaffen, um des Schaffen willens. Ich habe also Lungomare gebeten für „The Land of Our Birth Is a Woman“ Kontakte herzustellen und wir haben uns im Lungomare als Gruppe von Frauen mit Migrationsgeschichte getroffen. Wir haben unsere Erfahrungen als Frauen ausgetauscht und die Stoffstücke, die ich mitgebracht habe zusammen genäht. Die Idee war es, all diese Frauen mit verschiedenem Hintergrund um den Prozess des Nähers herum zusammenzubringen, da dieser sehr weit verbreitet ist.
Ist das vielleicht auch ein wenig ein Klischee, eine ausgesprochen stark mit dem weiblichen Geschlecht konotierte Tätigkeit?
Auch. Aber es sollte nicht um das soziale Geschlecht gehen. Es ging um Vertrautheit und Zugänglichkeit, aber auch um Kultur, die überall etwas anders ist und anders praktiziert wird. Für mich war es spannend, diese Arbeit Frauen vorzuschlagen. Ich hatte großes Glück, dass einige von ihnen das auch beruflich machen. Sie waren sehr gut. In gewisser Weise war es wie Unterricht, aber auch sehr intensiv und emotional.
Wenn es wie Unterricht war, gab es dann eine Lehrerin, oder war due Hierarchie flacher?
Nein, nein, es war vollkommen horizontal. Wir haben am Boden gesessen und, worauf der Titel verweist, das Werk aus dem Boden heraus geschaffen. Es war ausgesprochen horizontal, auch wenn es beim Alter eine große Bandbreite gab. Ich glaube, es wurde nur Italienisch gesprochen. Das war seltsam, normalerweise würde man da an Englisch denken, aber in unserem Fall war das Italienische die gemeinsame Sprache.
[Update 22.3.2024 20:40]
60.000 Franken gehen an...- Monia Ben Hamouda
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