Culture | Gedenken

„Was noch sagen?“

Am 24.2. jährt sich zum 80. Mal der Todestag des vor 115 Jahren in Kampill geborenen Josef Mayr-Nusser. An seinem Geburtshaus wurde seiner gedacht und gemahnt.
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Foto: SALTO
  • „Mein lieber, edler Mann, mein guter Vati, Herr Josef Mayr-Nusser ist am 24. Februar 1945 im Alter von 35 Jahren in Erlangen gestorben“, stand am 12. April 1945 im Bozner Tagblatt zu lesen – über sechs Wochen nach seinem Tod. Auf derselben Seite fanden sich (neben weiteren Todesanzeigen) „systemnahe“ Artikel mit aggressiven Titeln wie Hitler, der Mann, den Deutschland braucht, Hervorragend bewährt, Das Eichenlaub oder An allen Fronten erbitterte Abwehr. Dass Mayr-Nussers Todesanzeige im nationalsozialistischen Tagblatt erschien, wirkt aus heutiger Sicht wie ein Hohn auf diese bedeutende Bozner Persönlichkeit. Hatten die Zeitungsmacher kein Gewissen?
    Die Frage nach einem „ruhigen“ oder „schlechten“ Gewissen scheint 80 Jahre später vielen politischen Akteuren und Akteurinnen egal zu sein – auch in Südtirol. Deklarierte Demagogen und Demagoginnen sind es, die sich derzeit nicht mehr einkriegen und Tag für Tag bewusst Geschichte verfälschen sowie moralische Grenzen gezielt überschreiten.
     

    Er nahm sich kein Blatt vor den Mund und mahnte mit Verweisen auf lokale und internationale politische Ereignisse.

  • Kampiller Zaungäste: Um 11 Uhr wurde für wenige Minuten der Verkehr an der Kampiller Brücke angehalten. Redner und Rednerinnen erinnerten an Josef Mayr-Nusser. Foto: SALTO

    Josef Mayr-Nusser wurde vor 115 Jahren dort geboren, wo heute an seinem Geburtshaus an seinen Tod erinnert wurde. Am 4. Oktober 1944 verweigerte Mayr-Nusser den Treueeid auf das nationalsozialistische Regime. Daraufhin sollte er in das Konzentrationslager Dachau deportiert werden, verstarb jedoch auf dem Weg dorthin am 24. Februar 1945 in einem Viehwaggon in Erlangen. Der Zufall will es, dass in der Todesstadt von Mayr-Nusser gestern Bundestagswahlen auf dem Programm standen – die rechtsextreme AfD blieb in Erlangen weit unter dem Bundesschnitt. Immerhin. Ein Wermutstropfen.
    Als Mayr-Nusser vor genau 80 Jahren zu Tode kam, war sein Sohn Albert noch keine zwei Jahre alt. Albert Mayr (1. August 1943 – 28. Jänner 2024) pflegte zeitlebens – gemeinsam mit Institutionen und Organisationen – das geistige Erbe seines Vaters. In Interviews hob er stets zwei für ihn besonders wichtige Punkte hervor: das individuelle Gewissen sowie das Verhältnis zwischen Religion (Kirche) und Staatsmacht. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Josef Mayr-Nussers Bewunderung für Thomas Morus – dessen Utopia das Genre des utopischen Romans begründete. Seine Verbindung zu Morus zeigt sich darin, dass auch dieser sich 1535 weigerte, einen Eid auf die königliche Oberherrschaft über die Kirche abzulegen. Der König ließ ihn als Hochverräter hinrichten.

  • Letztes Familienfoto: Mutter Hildegard Straub, Sohn Albert Mayr und Josef Mayr-Nusser Foto: Privat

    „Mein Wunsch ist, dass mein Vater nicht einfach auf ein Podest gestellt und angebetet wird“, äußerte sich Albert Mayr, der als zeitgenössischer Komponist und Künstler bekannt wurde, anlässlich der Seligsprechung seines Vaters am 18. März 2017 gegenüber SALTO. Der einzige Sohn von Mayr-Nusser verstarb Ende Jänner 2024. 
    Nur wenige Wochen später, am 24. Februar 2024, fand im Bozner Bunker H eine kulturelle Veranstaltung statt, bei der mit Wortspenden an den Geist Josef Mayr-Nussers erinnert wurde. Die beiden prominentesten Redner im Vorjahr waren Landeshauptmann Arno Kompatscher und Bischof Ivo Muser. Während Muser betonte, wie wichtig es sei, das Gewissen zu formen und zu schärfen, um eindringlichen Versuchungen und Versprechungen des Populismus zu widerstehen, gab sich Kompatscher als Slam-Poet: Er schnippte während seines Textvortrags bei der Frage „Was noch sagen?“ mit den Fingern.

  • Erinnern und Hinweisen: Simon Klotzner bei seiner Rede am Geburtshaus von Josef Mayr-Nusser Foto: SALTO

    Was also noch sagen, ein Jahr nach Kompatschers Textvortrag im Sinne Mayr-Nussers? Nach Luis Walchers – er war heute Zaungast am Mayr-Nusser-Hof – peinlicher Gauland-Beschwichtigung, nach Marco Galateos geschichtlichen Verharmlosungen, nach den wirren Aussagen des SVP-Politikers und Alice-Weidel-Verstehers Harald Stauder?
    Wo bleiben denn 2025 Haltung, Glaubwürdigkeit und Gewissen? Vielleicht weiß es ja der in historischen Fragen arg gebeutelte Ministerpräsident Giorgia Meloni, den Arno Kompatscher demnächst in Autonomiefragen treffen soll.
    Und wie steht es um das Gewissen der jungen Südtiroler*innen? Ein wahrer Glücksfall beim heutigen Gedenken an Mayr-Nusser war jedenfalls ein "gewisser" Simon Klotzner von der SKJ (Südtirols Katholische Jugend). Er nahm sich kein Blatt vor den Mund und mahnte mit Verweisen auf lokale und internationale politische Ereignisse.

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