Society | Aus dem Blog von Maximilian Benedikter

Südtirol ist nicht Europa

Jeder Europäer hat theoretisch Anrecht auf medizinische Versorgung, wenn er sich innerhalb von Europa im Ausland aufhält. Für dringende Leistungen über die Notaufnahme (Erste Hilfe) und für ambulante weniger dringende (aufschiebbare) Leistungen über die sog. TEAM – Tessera europea assicurazione malattia. Und in Südtirol?
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Ohne es eigentlich so richtig zu wollen, bin ich zumindest für den Großraum Bozen so etwas wie ein Informationsbüro für alle sanitären Fragen rund um Ausländer. Ich sage bewusst Ausländer, weil 3 Kriterien genügen, um bei mir zu landen: keine italienische Staatsbürgerschaft, ein medizinisches Problem und keine Aufenthaltsgenehmigung. So weit alles gut, wenn es sich wirklich um Migranten handelt, Personen die nicht aus EU-Ländern stammen und die eben auswandern müssen oder wollen. Aber leider kommen immer öfters Personen zu mir, die nicht in diese Kategorie fallen. Oft auch Touristen, die etwas „schwarzer“ sind oder Europäer die aus etwas „ärmeren“ Ländern kommen. Wieso kann ich nur erahnen. Tatsächlich lerne ich aber auf diese Weise sehr interessante Fälle kennen. Einen werde ich in diesem Beitrag schildern.

Lassen Sie mich aber bitte vorher kurz ein bisschen ausholen. Jeder Europäer hat theoretisch Anrecht auf medizinische Versorgung, wenn er sich innerhalb von Europa im Ausland aufhält. Für dringende Leistungen über die Notaufnahme (Erste Hilfe) und für ambulante, weniger dringende (aufschiebbare) Leistungen über die sog. TEAM – Tessera europea assicurazione malattia. Vielleicht ist es vielen von Ihnen nicht aufgefallen, aber die blaue Magnetkarte, die einige unter Ihnen zum Zigaretten kaufen benutzen, ist die italienische TEAM (siehe Photo).

Super! Endlich ein Grund stolz zu sein, dass es Europa gibt! Eigentlich cool, oder? Und was passiert in Südtirol? Ich erzähle euch nur einen von mehreren Fällen.

Ein Südtiroler junger Mann, lernt in Rumänien eine junge rumänische Frau kennen. Sie verlieben sich. Er arbeitet für eine italienische Firma in Rumänien. Sie arbeitet als Sekretärin. Ein Klassiker! Aber es ist nun mal so. Die meisten Paare lernen sich in der Arbeit kennen. Sie wird schwanger. Sein Arbeitsvertrag geht zu Ende. Er muss zurück nach Südtirol. Sie kündigt und folgt ihm nach Italien. Das junge Paar wohnt momentan noch bei seinen Eltern. Nein, sie sind nicht verheiratet. Aber das sollte uns auch nichts angehen.

Die Frau besitzt glücklicherweise eine rumänische TEAM. Man sollte meinen, alles in Ordnung. Das junge Paar möchte alle präventiven medizinischen Untersuchungen vornehmen und sich mit Sicherheit auf die Geburt vorbereiten. Aufgeklärte und verantwortungsbewusste europäische Bürger. Leider merken sie aber ziemlich schnell, dass Südtirol nicht Europa ist. Warum? Weil die Verwaltung des Südtiroler Sanitätsbetriebes zwar die TEAM anerkennt (Sie kann ja nicht anders!), aber bei gewissen Ausländern immer zusätzliche Dokumente und Kriterien verlangt. Mal einen Wohnsitz und nicht ein Domizil. Mal ein zusätzliches Dokument des Ursprungsstaates, der sich wiederum verweigert. Als diese Paar erfährt, dass „sogar“ die illegalen Ausländerinnen kostenlose medizinische Schwangerschaftsbetreuung bekommen, kommen sie zu mir ins STP-Ambulatorium. Nebenbei erwähnt: Wenn es nach den Freiheitlichen ginge, dann sollten wir Ärzte diese illegalen Frauen im Kindesbett einem Pfuscher anvertrauen. Oder sie im Krankenhaus abpassen, ihre Daten aufnehmen und nach einer Woche zwangsabschieben. Als ob dann noch eine dieser Frauen ins Krankenhaus käme...

Aber kommen wir zurück zu unserem europäischen Liebespaar. Als ich in einem Gespräch im Sanitätsassessorat diesen Paradefall beschrieb, erhielt ich eine kuriose Gegenfrage. Nachdem ich dem Beamten erklärt hatte, dass falls dieses Kind aufgrund der unterlassenen Untersuchungen mit vermeidbaren Komplikationen auf die Welt käme, wäre es ein italienischer Staatsbürger und die daraus resultierenden Kosten würden wir alle tragen. Die seelischen natürlich nur unsere junge europäische Familie. Es folgte eine minutenlange ernste Stille. Der Beamte überlegte und überlegte. Ich dachte schon frohlockend, dass ich diesmal das richtige Argument getroffen hatte, aber ich hatte mich zu früh gefreut. Der Beamte räuspert sich und sagt: „Können wir mit absoluter Sicherheit davon ausgehen, dass er (der Südtiroler) der Vater ist?“

Dieses Gespräch hat es wirklich gegeben und ist nur eine der vielen Anekdoten, anhand der man versteht, dass es vielen hohen Verwaltern und Beamten vollkommen egal ist, ob ausländische Frauen ihr Recht auf medizinische Betreuung während der Schwangerschaft erfahren. Ausländer ist eben nicht gleich Ausländer. Manche Europäer sind eben mehr wert als andere und ihre Ursprungsstaaten werden von unserer Verwaltung als nicht vertrauenswürdig eingestuft, weshalb einige europäische BürgerInnen wie Stücke Fleisch behandelt werden. Wenn man wollte könnte man hier Lösungen finden. Aber Südtirol ist eben nicht Europa.