Culture | Film und Kunst

Nikodem

Ein poetisch-filmisches Porträt über den Maler Artur Nikodem kommt für zwei Termine demnächst in Bozen auf die Leinwand. Eine kunsthistorische Einstimmung als Gastbeitrag.
Film
Foto: Daniel Pöhacker
  • Leidenschaftlicher Wanderer und Naturbeobachter, Eleve der k.u.k. Kriegsmarine, Morseoffizier in Bulgarien und Istanbul, hoffnungsvoll in die NSDAP ein - und enttäuscht wieder ausgetreten. 

  • Österreich 2023; Regie, Produktion & Schnitt: Daniel Pöhacker; Sprecher: Rainer Egger; Kunsthistorische Beratung: Elio Krivdić; Kamera: Bernhard Pötscher; Mitwirkende: Anette Lill-Rastern, Christina Heppke, Willi Pechtl, Arthur Salner, Michael Ziegler u.a. Foto: Daniel Pöhacker

    Mit starkem Farbensinn begabt, in den 1920er Jahren in Deutschlands Museen gefeiert - und ab 1937 als „entartet“ aus diesen verbannt. In einem Museumsdepot werden Gemälde restauriert und für Ausstellungen vorbereitet. Ein Mädchen im roten Kleid erinnert sich lebhaft. 
    Der Film verzichtet weitgehend auf biografische Informationen und kunsthistorische Betrachtungen, vertraut auf das Werk: Nikodems Bilder, Fotos, Skizzen und Tagebuchaufzeichnungen tragen die Erzählung. Wir folgen seinen Pinselspuren, haben Zeit uns zu vertiefen, kommen seiner künstlerischen Intention nahe. Und seiner Liebe. Ein konzentrierter und leiser - ein spannender und farbenfroher Film über Kunst. 

  • Der nachfolgende Textausschnitt (aus der Publikation: Im Netz der Moderne) verfolgt die kreativen Lebenslinien der beiden Künstlerpersönlichkeiten Artur Nikodem und Hans Weber-Tyrol. Sie führen von Norden nach Süden. Und umgekehrt. 
    Während Nikodem am 29. und 30. Oktober als Protagonist einer Kunstdokumentation auf die Kinoleinwand in Bozen kommt, wird am 31. Oktober der 150. Geburtstag Hans Weber-Tyrols begangen. Grund genug, um mehr zum malerischen Schaffen der beiden in Erfahrung zu bringen.

  • "Sich bewegen an der/zwischen den Grenze(n)"

    Venezia: Artur Nikodem, 1938, Öl auf Leinwand Foto: Im Netz der Moderne

    Spricht man von Kunst und ihren Entwicklungen und Einflüssen, so denkt man kaum an irgendwelche Grenzen, außer vielleicht an die imaginären, die in der Kunstgeschichte zur Abgrenzung der Stile und Epochen eingeführt wurden. Anders verhält es sich mit geografischen und damit auch politischen Begriffen und Vorstellungen von Grenzen. Hierbei sind allerlei Grenzen ein fester Bestandteil der Kommunikation und damit auch der Abgrenzung. Im Verlauf der Geschichte bildeten sich verschiedene Reiche und Staaten, und man zog vielerorts Landesgrenzen mehr oder weniger willkürlich entlang von Flüssen und Bergketten oder einfach mit dem Lineal auf einer Karte. Alle diese Grenzen erwiesen sich im Lauf der Zeit nicht als Konstante, sondern vielfach nur als (Orientierungs-) Linien im Kopf, die einmal da und einmal dort verliefen. „Wer an der [einer solchen, Anm. d. A.] Grenze lebt, hat ein vitales Interesse daran, dass sie offen oder immerhin durchlässig bleibe, für Menschen, Güter, Ideen", schreibt Karl-Markus Gauß in einer seiner Abhandlungen zu diesem Thema. Der ungestörte Transfer und Austausch von Gütern und Ideen waren immer schon ein existentielles Anliegen der Menschen in Grenzregionen. Und sie wussten aus eigener Erfahrung um den temporären Charakter der Grenzverläufe. 
    Im Falle unserer Region, der drei Länder bzw. zwei Staaten übergreifenden Europaregion Tirol, Südtirol, Trentino, verhielt und verhält es sich nicht anders. Die geografischen und politischen Grenzen verliefen hier unterschiedlich, sie verschoben sich von Zeit zu Zeit. Die Menschen blieben meistens da, gingen auch weg, dann kamen sie wieder, andere, neue kamen dazu und vermischten sich miteinander. Waren und vor allem Ideen zirkulierten und bewegten sich über die Grenzen hin und her. Geschichtlich und politisch bedingt einmal schwerer, einmal leichter. […] 

  • Schiffe in Chioggia: Artur Nikodem, 1929, Öl auf Leinwand Foto: Im Netz der Moderne

    Für diese Kommunikation erwiesen sich zwei Künstlerpersönlichkeiten als ideale Beispiele. Während sich der eine, Artur Nikodem, im Verlauf seines Lebens vom Süden (Trient) nach Norden (Innsbruck) bewegte, ging der andere, Hans Weber-Tyrol, von seiner Heimatstadt Schwaz zuerst nach München und ließ sich danach, nach jahrelangem Pendeln zwischen München und Südtirol und nach zahlreichen Italienreisen, für immer in Südtirol nieder. Die Wechselbeziehungen (bewusste und unbewusste) zwischen ihnen selbst und den anderen innerhalb und außerhalb dieses geografischen Gebietes, die künstlerische Verarbeitung des Erlebten sowie die physischen und geistigen Begegnungen zur Zeit der Moderne sind Beispiele eines kulturellen, grenzüberschreitenden Transfers.

  • Nikodem. Begegnungen als künstlerische Erweiterungen

    Bereits zu Artur Nikodems Lebzeiten bemerkte man: „Der Reiz des Nikodem'schen Werkes liegt in der künstlerischen Synthese an sich gegensätzlicher Elemente. Wie so oft, wirkt auch hier der Zusammenklang so gerne als einander wesensfremd proklamierter Lebens- und Ausdrucksformen nicht nur bestrickend, sondern als reife Schönheit. Die Mischung nördlicher und südlicher Einflüsse, bedingt durch die Lage des Landes im Schnittpunkte zweier Kulturkreise, die sich gerade in Tirols Kunstleben so oft und berückend offenbart, wirkte sich in keinem Maler typischer und vitaler aus als in Nikodem. Was das Leben zuteilte, mußte die Kunst spiegeln ..."  
     

    In seinem Tun, in seinem Bestreben ist Nikodem durch und durch ein Mensch, ein Künstler des sich ausbreitenden Neuen.


    Diese Tendenz im Werk von Nikodem ist aber noch aus einem anderen Grund interessant und wichtig. Die Gabe, aus Gegensätzen eine gute Mischung zu machen, implantierte er in etwas Neues, das zukunftsorientiert und damit zeitgemäß, modern, ja zeitlos ist. „Trient, die Geburtsstadt, ist allein schon ein malerisches Programm, dessen Hauptpunkte Berge und Sonne, strenge Form und heißes Leben sind", schreibt der Autor über ihn weiter. Ergänzt man das durch den folgenden Gedanken: „Der große Stil der Form verlangt auch einen großen Stil der Farbe", so definiert man vielleicht am besten, was die Malerei, die Kunst von Nikodem damals ausmachte.
    Der zuletzt zitierte Satz stammt nicht von Artur Nikodem, sondern er wurde 1906 von Paula Modersohn-Becker niedergeschrieben. Ein Gedanke, der kaum kürzer sein könnte, und – so treffend – das Verhältnis zwischen der Ausdrucksform und dem Ausdrucksmittel Farbe zum Beginn des 20. Jahrhunderts skizziert, in der Zeit, in der sich die bereits begonnenen geistigen und formalen neuen Ansätze in der Einstellung zur Kunst und ihren Möglichkeiten in immer mehr europäischen Regionen, auch abseits der Kunstzentren, auszubreiten begannen. Die in puncto Farbe frische und in der Form vielfältigere, dem Geistigen zugewandte Kunstauffassung der beginnenden Moderne drang in den fortschrittlicheren Kreisen der lokalen Künstler immer stärker vor und beanspruchte durch deren Engagement ihren Platz im lokalen Kunstbetrieb und damit auch ihre Anerkennung beim Publikum.

  • Birken: Öl auf Leinwand. Von Artur Nikodem, 1935 Foto: Im Netz der Moderne

    In seinem Tun, in seinem Bestreben ist Nikodem durch und durch ein Mensch, ein Künstler des sich ausbreitenden Neuen. Seine Gedanken kreisen stets um dieselbe Problematik des Bildes - etwas ihn Bewegendes abseits jeglicher purer Nachahmung darzustellen bzw. auszudrücken und dies zum Betrachter zu transferieren, jedoch ohne es malerisch zu banalisieren: „Ich will nur: schöne Sachen, die ich gesehen habe, festhalten – nicht Bilder machen. Ich habe Sachen zu sagen, die nur durch Formen und Farben ausgesprochen werden können, und deswegen muss ich malen." Geboren wurde er 1870 in einem Viertel von Trient namens Contrada tedesca, an einer Adresse, die auf den Namen Casa Tabachi Nr. 39 lautete.  Als er zum ersten Mal nach Innsbruck kam, um hier seine schulische Ausbildung (1883-1888) zu absolvieren, ahnte er wahrscheinlich gar nicht, dass sein Lebensweg ihn Jahrzehnte später (ab dem Herbst 1908) wieder genau in diese Stadt führen würde, wo er seine künstlerische Berufung erst richtig verwirklichen und leben konnte. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Hans Weber-Tyrol, der nach seinen Aufenthalten in Schwaz und München seine Sehnsucht nach dem Süden mit der Übersiedlung nach Südtirol befriedigte, bewegte sich Artur Nikodem im Laufe seines Lebens allmählich vom Süden nach Norden, von Trient über Südtirol und Meran nach Innsbruck. 

  • Torbole: Hans Josef Weber, Öl auf Leinwand Foto: Im Netz der Moderne

    Während sich der eine, Weber-Tyrol, mit dem Süden aus der Sehnsucht nach der Sonne, Wärme und den weiten Horizonten heraus beschäftigte  und das oft in seinem Werk thematisierte und malerisch verarbeitete, befasste sich der andere damit mehr aus mal-spezifischen Gründen, aus Interesse für die Stärke und die Farbe des Lichtes, für seine Einflüsse auf die Erscheinungsform der Gegenstände, für die Wechselwirkungen zwischen Ornament und Raum. „[...] - ich bin immer der gleiche – nur gehe ich durch immer neue Probleme. Ich forsche mich durch Farben und Formen hindurch und erlebe" , konstatierte Nikodem über sich selbst.
    Die Briefe aus dem Nachlass von Nikodem, die von einer künstlerischen Freundschaft zwischen diesen beiden Malern zeugen, sprechen von einem Erfahrungsaustausch, von der Auseinandersetzung der beiden mit den konkreten Problemen der Malerei, insbesondere der Farbe. Die Briefe, von denen nur drei erhalten geblieben sind, datieren in die Zeit der beiden Romaufenthalte von Hans Weber-Tyrol (zwischen 1908/09 und 1913). Aus der Zeit also, als dieser vielleicht seine besten, fortschrittlichsten Werke zu schaffen begann. Sie vermitteln den Eindruck eines Austausches, bei dem Weber-Tyrol seine eigenen Erfahrungen seinem im Unterschied zu ihm nicht akademisch ausgebildeten Kollegen in manchen Fragen des malerischen Ausdrucks, der Maltechnik, der Zusammensetzung der Farben und ihrer Wirkung im Bild vermittelt, sein Wissen und seine Erfahrung an ihn weitergibt. Unter dem Einfluss der aktuellen Münchner Kunstszene, in der er auch selbst verkehrte, malte Weber-Tyrol noch bis um 1908 auf eine mehr oder weniger secessionistische und dem Jugendstil noch verhaftete Weise. 
     

    Als Einzelgänger beschreitet er dann manchmal auch Gebiete und Regionen des Künstlerischen, die aus dem Kreis des (für das Land) Üblichen herausfallen.


    Allmählich, in den Jahren danach, in der Zeit zwischen seinen beiden Romaufenthalten, änderte er seine Ausdrucksweise hin zu einem vollkommen expressiven, emotionsgeladenen, die Form reduzierenden Malstil, wobei das Hauptausdrucksmittel alleine die Farbe wurde. Gleichzeitig findet man auch im Werk von Nikodem ähnliche Tendenzen, wobei der fern von Akademien ausgebildete Nikodem Malstile und Malkonzepte, Flächen und räumliche Perspektive, Gegenstand und Ornament viel unbekümmerter mischte, miteinander kombinierte und die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Wirkung ausprobierte. Vergleicht man manche Werke beider Künstler aus der Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges und kurz danach, wird man tatsächlich viele Berührungspunkte, ja Ähnlichkeiten bemerken, die dann auch später immer wieder im Werk der beiden nachschimmern. Dies bezieht sich vor allem auf stilistische, formale und farbige Merkmale dieser Bilder, die in der oben angesprochenen Phase um 1910 und danach für Tiroler Verhältnisse erstaunlich frühe Züge einer gefühlsgeladenen, farbenreichen Expressivität und damit der Aktualität zeigen. Konsequenter und geradliniger erscheint der künstlerische Weg von Hans Weber-Tyrol in dieser Zeit und nach 1910/11, während sich Nikodem als ständig Suchender erweist, so dass sich Elemente verschiedener Stilrichtungen dieser Zeit auch viel später in seinem Werk finden. Als Einzelgänger beschreitet er dann manchmal auch Gebiete und Regionen des Künstlerischen, die aus dem Kreis des (für das Land) Üblichen herausfallen.

     

  • Landschaft bei München: Hans Josef Weber-Tyrol, 1905, Öl auf Leinwand Foto: Im Netz der Moderne

    Eine solche Expressivität zeigt auch der in Schwaz ansässige Bildhauer Ludwig Penz, der in der Korrespondenz der beiden Maler ebenfalls erwähnt wird. Von ihm besaß Nikodem eine kleine aus Holz geschnitzte Figurengruppe (Abb. 3), die jetzt im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum aufbewahrt wird, sowie ein in Email gearbeitetes Relief einer Madonna mit Kind (im Familienbesitz). Die Art, wie Penz seine Holzskulpturen gestaltet, verrät einen begabten, für die neue Auffassung von Figur und Formgebung der Zeit offenen Künstler. Auch Penz geht es um eine Reduzierung und das Ausschalten des unnötigen Details in der Gestaltung, jedoch unter der Beibehaltung eines subjektiv beladenen Gefühlsausdrucks. In seinen Figuren merkt man eine minimalisierende, auf die Umrisse reduzierende Darstellungsweise, die man ebenso im Figurenstil vor allem des Egger-Lienz und in der Folge auch Nikodems oder Weber-Tyrols findet.
     

    Die geografische Distanz war und ist oft auch der Grund für unterbrochene Verbindungen.


    Wenn Weber-Tyrol in einem Brief von seiner zweiten Romreise (1913) an Nikodem schreibt, dass er „von Ludwig Penz nichts höre", dann hat das vor allem mit der geografischen Distanz zu tun: „Die paar Gefährten, die ihn verstanden, die zumindest erahnten, worum es ihm ging, sah er nur selten: Das waren seine Malerfreunde Weber-Tyrol, Nikodem und Egger-Lienz. Die wohnten weitab, in Wien, in München, in Weimar, in Sankt Justina bei Bozen oder Innsbruck."
    Die geografische Distanz war und ist oft auch der Grund für unterbrochene Verbindungen. Dazu kommen noch gesellschaftliche Turbulenzen und Veränderungen wie die Kriege. Freundschaften lösen sich oder hören auf zu existieren. Es entstehen aber neue Kontakte und Beziehungen. Nachdem sich Nikodem in Innsbruck, wo er seit 1908 lebte, künstlerisch und beruflich etabliert hatte, wurde er nicht nur mit vielen hier lebenden Kunstschaffenden bekannt, sondern übte durch seine öffentlichen Auftritte Einfluss auch auf andere Künstler aus. Es gelang ihm, seine Werke in der Stadt prominent zu platzieren, sodass auch bereits erste Veröffentlichungen in Lokalzeitschriften folgten. Darunter war ein Artikel von Max von Esterle, den dieser unter dem Pseudonym Benedikt in der damals neu gegründeten Kulturzeitschrift „Brenner" publizierte. Die Begegnung, wenn auch nur in Bezug auf das distanzierte Verhältnis Künstler (Maler) - Betrachter (Kunstkritiker), erfolgte möglicherweise bereits 1909, als Max von Esterle für die Zeitschrift „Der Föhn" arbeitete, wo die Werke Nikodems ebenfalls veröffentlicht und besprochen wurden. Die kritische Auseinandersetzung Esterles im Brenner-Artikel mit der Nikodem'schen Bildauffassung offenbart nicht nur seine eingehende Beschäftigung damit, sondern auch sein unmittelbares Interesse an Nikodems neuartiger Bewältigung des großen malerischen Problems der Verbindung der dekorativ wirkenden Flächigkeit und der räumlichen Darstellung. Sein Artikel fällt nicht unbedingt zugunsten des kritisierten Künstlers aus, weil der Kritiker das künstlerische Bestreben als Übertreibung bezeichnet, jedoch eine fundierte Betrachtungsweise auf das Nikodem'sche Werk aus unserer heutigen zeitlichen Distanz und unter dem Aspekt des veränderten ästhetischen Geschmacks gibt dem Künstler recht.

  • Zum Autor

    Elio Krivdić geb. 1968 in Jugoslawien. Seit 1992 in Österreich, Studium der Kunstgeschichte in Innsbruck. Arbeitet als freischaffender Kunsthistoriker und Kurator.