Ein Gespenst geht um in Europa: es ist das kleine, schwer verschuldete Griechenland, das gestern die alte und korrupte politische Garde abgewählt hat. Aber weshalb die Panik in Brüssel? Eigentlich müsste die neue Regierung in Athen zittern, weil sie keine direkten Ansprechpartner mehr in den Machtpalästen in Brüssel hat. Doch es ist umgekehrt: die hohe EU-Bürokratie fürchtet, dass die linke Syriza-Bewegung in Europa Schule machen könnte und dass auch andere Krisenländer eine Umschuldung oder Schuldentilgung fordern.
Ursprung der Misere: die verhängnisvolle, neoliberale Sparpolitik, die bei den EU-Mächtigen in Brüssel wie ein Evangelium befolgt wird. Zwei Ökonomen, Reinhardt und Rogoff, sind die Gurus der Neoliberalen in Brüssel. In einem Buch kamen sie zum Schluss, dass sich Staaten sanieren könnten, wenn sie ihr Staatsdefizit auf 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes reduzieren. Für die Krisenländer der Eurozone bedeutete dies: nur fest sparen, auch um den Preis, dass das eigene Volk verhungert - dann saniere sich das Defizit von selbst.
Schade nur, dass die beiden Gurus kürzlich eingestehen mussten, dass sie sich ganz einfach verrechnet hätten und dass ihre Theorie leider nicht stimme. Im Gegenteil: die Staaten müssten mehr Geld ausgeben und die Inflation anheizen, lautete die korrigierte Version. Diese Korrektur haben die zuständigen EU-Behörden noch immer nicht zur Kenntnis genommen. Denn das 3- Prozent-Haushaltsdefizits-Spardiktat bewirkt, dass sich die Euro-Krisenländer immer weiter verschulden, weshalb sie all ihr "Tafelsilber" veräußern müssen. Käufer sind die reichen Euroländer, die ihr überschüssiges Geld in die Privatisierung stecken.
Diesen Teufelskreis hat der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras nun durchbrochen, indem er die Austeritätspolitik infrage stellt und bessere Kreditbedingungen , sowie einen weiteren Schuldenschnitt fordert. Griechenland schuldet Europa 240 Milliarden Euro. Für die Eurogruppe eigentlich "Peanuts", verglichen mit den rund 2000 Milliarden Euro, die Europas Steuerzahler für die Sanierung maroder Banken bezahlt haben.
Doch es geht ums Prinzip: wenn Griechenland ein Teil der Schulden erlassen wird, melden sich tags darauf sofort Italien, Frankreich, Spanien, Portugal usw.. Und weil Italiens Staatsdefizit tausende von Milliarden Euro beträgt, wäre eine Rettung durch die Eurogruppe oder EZB unmöglich. Der Euro würde zusammenbrechen. Deshalb die Härte in Brüssel und die Angst in Berlin, dass Steuergelder auf Nimmerwiedersehen verschleudert werden.
Indessen hat der Wahlsieg der Linken in Griechenland keine Katastrophe an den europäischen Börsen nach sich gezogen. Das heißt: die neue Regierung ist für die internationalen Finanzmärkte durchaus zu verkraften. Kein Wunder auch: hat der linke Alexis Tsipras doch ausgerechnet die rechtsnationalistische Partei der unabhängigen Griechen (ANEL) von Panos Kamenos ins Boot geholt, um eine Regierungskoalition zu bilden.
Alexis Tsipras ist ein Pragmatiker, der offensichtlich nicht viel von Ideologien und Vorurteilen hält. Und so hat er Panos Kamenos als Koalitionspartner auserwählt, weil sich dieser 2012 von Nea Demokratia abgespalten hat, um gegen die EU-hörige Politik von Regierungschef Antonis Samaras zu protestieren. Kamenos soll in der Regierung die konservativen Wähler vertreten. Dass Tispras der ANEL-Partei die beiden Schlüsselministerien Verteidigung und Innere Sicherheit überlassen hat, ist ein weiterer Schachzug. So fühlen sich Heer und Polizei gut vertreten.
Doch die beste Nachricht aus Athen ist: Griechenland hat 22 Stunden nach Schließung der Wahlurnen bereits eine neue Regierung. Sie soll am Mittwoch zur ersten Kabinettssitzung zusammentreten.