Politik | Wahlanalyse

Wer hat Angst vor Griechenland?

Nach dem Wahlsieg von Alexis Tsipras bei den griechischen Parlamentswahlen ist in Brüssel und Berlin das große Zittern ausgebrochen. Wer hat was zu verlieren?

Ein Gespenst geht um in Europa:  es ist das kleine, schwer verschuldete Griechenland, das gestern die alte und korrupte politische Garde abgewählt hat. Aber weshalb die Panik in Brüssel? Eigentlich müsste die neue Regierung in Athen zittern, weil sie keine direkten Ansprechpartner mehr in den Machtpalästen in Brüssel hat. Doch es ist umgekehrt: die hohe EU-Bürokratie fürchtet, dass die linke Syriza-Bewegung in Europa Schule machen könnte und dass auch andere Krisenländer eine Umschuldung oder Schuldentilgung fordern.

Ursprung der Misere: die verhängnisvolle, neoliberale Sparpolitik, die bei den EU-Mächtigen in Brüssel wie ein Evangelium befolgt wird. Zwei Ökonomen, Reinhardt und Rogoff, sind die Gurus der Neoliberalen in Brüssel. In einem Buch kamen sie zum Schluss, dass sich Staaten sanieren könnten, wenn sie ihr Staatsdefizit auf 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes reduzieren. Für die Krisenländer der Eurozone bedeutete dies: nur fest sparen, auch um den Preis, dass das eigene Volk verhungert - dann saniere sich das Defizit von selbst. 

Schade nur, dass die beiden Gurus kürzlich eingestehen mussten, dass sie sich ganz einfach verrechnet hätten und dass ihre Theorie leider nicht stimme. Im Gegenteil: die Staaten müssten mehr Geld ausgeben und die Inflation anheizen, lautete die korrigierte Version. Diese Korrektur haben die zuständigen EU-Behörden noch immer nicht zur Kenntnis genommen. Denn das 3- Prozent-Haushaltsdefizits-Spardiktat bewirkt, dass sich die Euro-Krisenländer immer weiter verschulden, weshalb sie all ihr "Tafelsilber" veräußern müssen. Käufer sind die reichen Euroländer, die ihr überschüssiges Geld in die Privatisierung stecken.

Diesen Teufelskreis hat der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras nun durchbrochen, indem er die Austeritätspolitik infrage stellt und bessere Kreditbedingungen , sowie einen weiteren Schuldenschnitt fordert. Griechenland schuldet Europa 240 Milliarden Euro. Für die Eurogruppe eigentlich "Peanuts", verglichen mit den rund 2000 Milliarden Euro, die Europas Steuerzahler für die Sanierung maroder Banken bezahlt haben. 

Doch es geht ums Prinzip: wenn Griechenland ein Teil der Schulden erlassen wird, melden sich tags darauf sofort Italien, Frankreich, Spanien, Portugal usw.. Und weil Italiens Staatsdefizit tausende von Milliarden Euro beträgt, wäre eine Rettung durch die Eurogruppe oder EZB unmöglich. Der Euro würde zusammenbrechen. Deshalb die Härte in Brüssel und die Angst in Berlin, dass Steuergelder auf Nimmerwiedersehen verschleudert werden.

Indessen hat der Wahlsieg der Linken in Griechenland keine Katastrophe an den europäischen Börsen nach sich gezogen. Das heißt: die neue Regierung ist für die internationalen Finanzmärkte durchaus zu verkraften. Kein Wunder auch: hat der linke Alexis Tsipras doch ausgerechnet die rechtsnationalistische Partei der unabhängigen Griechen (ANEL) von Panos Kamenos ins Boot geholt, um eine Regierungskoalition zu bilden.

Alexis Tsipras ist ein Pragmatiker, der offensichtlich nicht viel von Ideologien und Vorurteilen hält. Und so hat er Panos Kamenos als Koalitionspartner auserwählt, weil sich dieser  2012 von Nea Demokratia abgespalten hat, um gegen die EU-hörige Politik von Regierungschef Antonis Samaras zu protestieren.  Kamenos soll in der Regierung die konservativen Wähler vertreten. Dass Tispras der ANEL-Partei die beiden Schlüsselministerien Verteidigung und Innere Sicherheit überlassen hat, ist ein weiterer Schachzug. So fühlen sich Heer und Polizei gut vertreten.

Doch die beste Nachricht aus Athen ist: Griechenland hat 22 Stunden nach Schließung der Wahlurnen bereits eine neue Regierung. Sie soll am Mittwoch zur ersten Kabinettssitzung zusammentreten.

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Alfonse Zanardi Mo., 26.01.2015 - 21:35

In dieser Krise darf in Griechenland eben jeder mal ran: nach Papandreou und Samaras jetzt eben Tsipras. Wird sich viel ändern? Eher nicht.
Und viel Regierungsprogramm kann mit dem Koalitionspartner vom anderen Ende des Spektrums innerhalb von 12 Stunden auch nicht vereinbart worden sein.
Auch wenn man die Neoliberalen nicht mag wird man nicht verleugnen können dass Staatswirtschaften wie jene Griechenlands reformiert werden müssen.

Mo., 26.01.2015 - 21:35 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Di., 27.01.2015 - 10:45

Vielleicht wäre es wirklich an der Zeit, dass einer es hart auf hart ankommen lässt. Die Illusion wir könnten, nicht nur in Europa sondern auf der ganzen Welt, immer weiter und mehr auf Schulden leben die keiner je bezahlen können wird, wird früher oder Später wie eine Luftblase platzen. Ich habe mal mit einen Wirtschaftsstudenten darüber gesprochen und er meinte es sei in der Geschichte praktisch physiologisch, dass in zyklischen Rhythmus es immer wieder zu einer Krise kommt wo alles in sich hinein fällt und man von neuen anfängt. Keine tolle Perspektive! Aber vielleicht werden wir Menschen ja irgendwann schlauer... vielleicht.

Di., 27.01.2015 - 10:45 Permalink
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Martin Daniel Di., 27.01.2015 - 18:28

Es bleibt für mich unverständlich, warum die Griechen (inkl. Tspiras) partout beim Euro bleiben wollen, der für sie zum einen zu stark und zum anderen mit gewissen Auflagen verbunden ist. Aber der Euro ist vielleicht gar nicht Kern des Problems: Syriza wies neulich darauf hin, dass man die Kriterien des Euro (gemeint waren die Konvergenz-Kriterien von Maastricht) einhalte (was derzeit stimmt), und ansonsten keine Befehle aus Brüssel annehme. Die Vorgaben der Troika existieren nicht wegen des Euro, sondern aufgrund der wiederholten Insolvenzbedrohung, die Grund für ein insgesamt 240 Mrd. schweres Rettungspaket waren. Griechenland wäre längst Pleite, wohl nicht nur weil es eine Währung hat, mit der es nicht wettbewerbsfähig ist. Mir scheint aber die Frage interessant: War das Land vorher virtuoser und besser aufgestellt? Oder konnte der Wohlstand (GR ist/war bekannt für hohes Preisniveau) unter Zutun aller nur auf Pump erkauft werden? Vielleicht ist nicht die EU die Ursache der Probleme, sondern hat vielmehr hat Land dazu geführt, sich zu fragen, was in den letzten 40 Jahren schief gelaufen ist. Tsipras will anscheinend den Oligarchen an den Kragen, die Verwebung des Dreiecks Politik-Wirtschaft-Medien angehen, die Steuerflucht bekämpfen (in der CH sollen bis zu 150 Mrd. Euro griechischer Bürger liegen) und die alten Seilschaften kappen. Ich hoffe, diese Bestrebungen haben Erfolg, sie sind eine überfällige Emanzipation des Volkes gegenüber ihren korrupten Eliten. Bei diesem Prozess sollen wir das Land unterstützen, auch mit einem gesamteuropäischen Wachstumspakt und der von Renzi eingefordeten und von Juncker offenbar zugestandenen Flexibilität bei den volkswirtschaftlichen Parametern. Auch eine Einführung einer Parallelwährung, die die Konjunktur ankurbelt und eine teilweise Abwertung bewirken würde, ist eine überlegenswerte Idee (so Th. Mayer, W. Münchau). Was ich nicht teile, ist die exklusive Schuldzuschreibung nach außen, vornehmlich an Dtl., mit gekoppelter Forderung eines Schuldenschnitts. Dabei wird oft vergessen, dass auch das selbst nicht krisenfeste Italien 40 Mrd. ausständig hat. Der famose Renzi-Bonus kostet 3 Mrd. im Jahr, um einen Vergleichsmaßstab zu haben. Und wenn die Bankenrettung das Zehnfache gekostet hat (für ganz Europa, nicht für ein Land mit einem Fünfzigstel der Wirtschaftsleistung), dann dürfen diese Vergleiche nicht ausblenden, was bei ein Zusammenbruch des Bankensystems bewirken hätte können. Ich glaube heute noch nicht, dass man nur den Bankern den Hintern retten wollte...

Di., 27.01.2015 - 18:28 Permalink
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Martin Daniel Mi., 28.01.2015 - 09:31

Anscheinend hat die EZB allein zwischen 2011 und 2013 gut 3 Mrd. durch die Rettungskäufe von südeuropäischen Staatsanleihen verdient und an die nationalen Notenbanken ausgeschüttet. Es müsste also doch ein Entgegenkommen in Form einer Umstrukturierung der Schulden möglich sein, wenn die Regierungen ihren Wählern auch solche Meldungen kommunizieren würde. Eine weitere Verlängerung der Laufzeiten und eine leichte Senkung der Zinslast sollten tragbar sein, v.a. wenn man bedenkt, dass eine Erholung Griechenlands wiederum Gelder in die Euro-Kassen spülen wird.

Mi., 28.01.2015 - 09:31 Permalink