Politics | Interview

"Die Impfpflicht ist alternativlos"

Landesrat Philipp Achammer äußert sich zur unlängst genehmigten Impfpflicht im Bildungsbereich: "Pensionierte, Studierende und Lehrpersonen im Dienst werden einspringen".
Achammer
Foto: ASP/Fabio Brucculeri

In knappen drei Wochen wird die berufsbezogene Impfpflicht - nach Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen - nun auch für das Lehrpersonal eingeführt. Während im restlichen Staatsgebiet nur etwa 10 Prozent der Lehrpersonen nicht geimpft sind, sind in Südtirol zwischen 15 und 20 Prozent des Lehrpersonals betroffen; verweigern sie die Impfung weiterhin, werden sie ab dem 15. Dezember aus ihrem Dienst suspendiert. Salto.bz hat mit Bildungslandesrat Philipp Achammer über die Richtigkeit der getroffenen Maßnahme und den bestehenden und drohenden Personalnotstand im Bildungsbereich gesprochen.

 

Salto.bz: Herr Landesrat, in knappen drei Wochen greift die Impfpflicht für das Lehrpersonal. Der richtige Weg im Kampf gegen die Pandemie?

Philipp Achammer: Wir hätten es uns anders gewünscht. Die aktuelle Entwicklung führt aber auch bei uns zum Schluss, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen und die Impfpflicht somit alternativlos sein wird. Testungen sind auf lange Sicht keine Lösung. Als Landesrat, aber auch als Bürger befürworte ich die Impfpflicht also. Gleichzeitig weiß ich aber auch, welch große Schwierigkeiten sie für den Bildungsbereich mit sich bringen wird. Es ist alles andere als leicht, diese Maßnahme um- und durchzusetzen.

Das heißt, Sie sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus?

Ich hätte mir gewünscht, dass die Impfpflicht gleichzeitig für mehr Bereiche geregelt worden wäre, nicht nur für den Bildungsbereich. Auch deshalb, weil die 3G-Regel in keinem anderen Bereich so genau kontrolliert und eingehalten wird wie im Bildungsbereich, während es in privaten Betrieben doch einige schwarze Schafe gibt. Natürlich ist die Schule ein Ort, an dem viele Menschen aufeinandertreffen. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass nicht nur Schule - und Ordnungskräfte - von der Regelung betroffen sind.

 

Auf diese Weise wird der eine Bereich gegen den anderen ausgespielt.

 

Die Lehrpersonen werden vor die Wahl gestellt, sich entweder gegen ihren Willen oder trotz ihrer Ängste impfen zu lassen oder ihre Schülerinnen und Schüler aufzugeben. Warum übernimmt der Staat nicht die Verantwortung für eine allgemeine Impfpflicht?

Ich bin überzeugt, dass die Impfpflicht Schritt für Schritt kommen wird und immer mehr Bereiche davon betroffen sein werden. In Rom wird bereits über eine Impfpflicht für die öffentliche Verwaltung nachgedacht. Der Staat und das Land sind dafür verantwortlich, die Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger aufrechtzuerhalten. Und zwar nicht nur die Versorgung der Covid-Patienten, sondern auch alle anderen. Viele Bereiche sind bereits jetzt eingeschränkt! Um die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, scheint es im Moment keine Alternative zu einer Impfpflicht zu geben.

Man hält aber weiterhin am Prinzip einer “freiwilligen” Impfung fest, indem man sich auf Berufsbilder bezieht und nicht - wie etwa in Österreich - eine allgemeine Impfpflicht vorsieht. Die richtige Lösung?

Ich bin der Meinung, dass man von Anfang an hätte versuchen sollen, eine homogene Lösung zu finden, anstatt diese scheibchenweise Lösung voranzutreiben. Auf diese Weise wird der eine Bereich gegen den anderen ausgespielt. Bereits als die 3G Regel an den Schulen eingeführt wurde, haben sich Menschen in andere Bereiche versetzen lassen. Das führt zu Konflikten und schwierige Situationen für den jeweiligen Bereich. Es wäre besser gewesen, von Anfang an an eine homogene Lösung zu denken.

 

Man hätte von Anfang an versuchen müssen, eine homogene Lösung zu finden.

 

Vor allem Schülerinnen und Schüler sind von dieser kurzfristig umgesetzten Impfpflicht betroffen. Sie werden sich nach dem großteils im Homeschooling verbrachten Schuljahr nun auf Ausfälle und Supplenzen einstellen müssen.

Vorweggeschickt: Wir haben versucht, einen Appell an alle Nicht-Geimpften zu richten, ihre Entscheidung mithilfe guter Informationen nochmals zu überdenken. Ich habe den Eindruck, dass Einzelne sich selbst in eine Ecke gedrängt haben und sich jetzt schwertun, hier wieder herauszufinden. Manche möchten sich schlichtweg nicht impfen lassen, aber ich erlebe ich immer wieder, dass es für andere einfach schwer ist, die gestellten Hürden zu überwinden. Wir müssen versuchen, für diejenigen, die eine Impfung in Erwägung ziehen oder sich doch impfen lassen möchten, eine Brücke zu bauen. Dieser Appell auch deswegen, weil ich befürchte, dass die Leidtragenden der ganzen Geschichte wieder Kinder und Jugendliche sein werden, die in dieser Pandemie viel ausgehalten und die Regeln ganz genau eingehalten haben. Ich möchte nicht, dass sie jetzt zusätzlich unter dem Ausfall von Unterricht oder Kindergarten leiden müssen. Das habe ich auch den Schulführungskräften versucht zu vermitteln.

Wie will die Landesregierung dem anstehenden Personalnotstand entgegenwirken? 

Wir versuchen einerseits, genaue Daten zu den fehlenden Lehrpersonen in den einzelnen Bereichen herauszufiltern. Wir wissen, dass über 80 Prozent der Lehrpersonen zumindest eine Erstimpfung erhalten haben. Wie sich diese Lehrpersonen auf die verschiedenen Bereiche im Land verteilen, wissen wir aber noch nicht; daran arbeiten wir im Moment. Unterm Strich müssen wir aber mit einem Ausfall rechnen und ich schätze, dass die Zahl der Suspendierungen höher ausfallen wird als bei der Einführung der 3G-Regel im September. Wir müssen jetzt alles daran setzen, einen Ersatz für den Rest des Schuljahrs zu finden. Dafür werden wir - in Absprache mit Rom - Sonderbestimmungen zur Berufung von Supplenzen einführen müssen; die Abschaffung des Anstellungsverbots für Pensionisten beispielsweise oder die Möglichkeit, Studierende und angehende Lehrpersonen an die Schulen zu berufen. Der Zeitraum ist extrem kurz und wir müssen entsprechend schnell handeln.

Warum sollten Pensionierte oder Studierende von heute auf morgen an die Schule wechseln?

Das ist lange nicht ausgeschlossen. Der überwiegende Teil der Lehrpersonen - pensioniert oder nicht - legt einen sehr, sehr großen Idealismus und Einsatz für die Kinder und Jugendlichen an den Tag. Bei mir haben sich allein seit gestern einige pensionierte Lehrkräfte gemeldet, die bereit wären, den Rest des Jahres einen Dienst zu leisten. Denkbar ist auch, dass Lehrpersonen, die bereits im Dienst sind, auf freiwilliger Basis Zusatzstunden übernehmen. Diese würden wir natürlich vergüten. Wir werden alles versuchen, um den Unterricht im vollen Umfang aufrecht zu halten.

 

Denkbar ist auch, dass Lehrpersonen, die bereits im Dienst sind, auf freiwilliger Basis Zusatzstunden übernehmen.

 

Wird man es bis zum 15. Dezember schaffen, die Löcher zu stopfen? 

Das weiß ich heute nicht. Ich traue mir hier noch kein Urteil zu. Es wird in einigen Bereichen sicherlich schwer werden, auch deshalb, weil wir nicht wissen, wie viele Leute effektiv ausfallen werden. Sie alle haben noch bis zum 15. Dezember die Möglichkeit, einen Impftermin zu vereinbaren oder eben nicht. Es kann also durchaus sein, dass vor Weihnachten einzelne Unterrichtsstunden ausfallen. Es kann auch sein, dass organisatorische Lösungen wie das Zusammenlegen von Klassen gefunden werden müssen. Im Moment ist alles offen, wir können noch gar nichts ausschließen. Aber wir werden alle alles tun, um unserer primären Verantwortung nachzukommen und den Unterricht so gut wie möglich aufrecht zu erhalten.

Wie haben die Schulführungskräfte die neue Regelung aufgenommen?

Unterschiedlich. Ein großer Teil befürwortet den Schritt an und für sich, erkennt aber auch die Schwierigkeiten. Andere bedauern es, die Lehrpersonen, die sich nicht impfen lassen wollen, zu verlieren. Jede pädagogische Fachkraft, die wir jetzt verlieren, ist eine zu viel. Es ist ja nicht so, dass ich jene, die sich nicht impfen lassen möchten, nicht als pädagogische Fachkraft schätze! Aber das sind jetzt nun mal die Regeln und die werden wir entsprechend umsetzen.