Society | 27. Jänner 1945

Laute Erinnerung

75 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz ist der Auftrag mehr denn je, das Gedenken am Leben zu erhalten.
Auschwitz
Foto: Pixabay

Würde man eine Schweigeminute für jedes der über 6 Millionen jüdischen Opfer des Holocaust halten, wäre es 11 Jahre lang still. Jedes Jahr um den 27. Jänner ruft dieser Satz die Verbrechen des Hitler-Regimes ins Gedächtnis. Seit 1996 ist dieser Tag ein deutschlandweiter, seit 2005 ein internationaler Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Am 27. Jänner 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Laut Schätzungen wurden dort zwischen 1940 und 1945 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen ermordet.

“Wir sind es den Opfern des nationalistischen Wahns schuldig, wachsam zu bleiben und niemals gleichgültig zu sein.” Mit diesen Worten warnt Landeshauptmann Arno Kompatscher 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz-Birkenau vor Nationalismus, Rassismus und Verachtung der Menschlichkeit. “Jahr um Jahr werden die Zeitzeugen weniger und bald wird niemand mehr da sein, den wir fragen können, wie das damals war. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung am Leben zu halten, indem wir uns gemeinsam und gegenseitig ins Gedächtnis rufen, was geschehen ist, damit das was geschehen ist, nie wieder geschieht.”

 

Es könne nicht hingenommen werden, so Kompatscher, dass diese historischen Ereignisse verleugnet oder relativiert werden. Der Landeshauptmann spricht auch den wachsenden Antisemitismus an: “Es ist eine Tatsache, dass Vorurteile heute ebenso vorhanden sind wie früher, nicht nur gegenüber der jüdischen Gemeinschaft, sondern auch in vielen anderen Fällen. In Südtirol hat man sich immer gern als Land der Opfer dargestellt. Es gab aber auch in unserem Land Opfer, Mitläufer und Täter. Gerade auch deshalb muss man sich den Leitsatz ‘Nie wieder Nationalismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Verfolgung!’ zu Herzen nehmen und mit aller Entschlossenheit beachten und verteidigen.”

Einer, der das dieser Tage tut, ist der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala. Nachdem die Haustür der Nachfahren einer ehemaligen KZ-Inhaftierten und Holocaust-Überlebenden in Mondovì (Provinz Cuneo, Piemont) vergangene Woche mit dem Schriftzug “Juden hier” beschmiert worden war, schrieb Sala auf seine eigene Haustür “Antifa hier” und verbreitete das Foto auf Instagram.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Qui vivo io.

Un post condiviso da Beppe Sala (@beppesala) in data:

Auch der Partisanenverband ANPI Südtirol mahnt am 27. Jänner, nicht zu vergessen. “2019 wurden 969 Straftaten registriert, die auf Rassismus, die Geschlechtsidentität oder eine Behinderung zurückgehen: eine alle 9 Stunden”, zeigt ANPI auf und bezeichnet die Erinnerung als “Antikörper der Gesellschaft, um Demokratie, das Zusammenleben und die Verfassung zu verteidigen und um neue Rassismen, Faschismen und Nationalismen zu bekämpfen”.

Stille, Schweigen, um zu gedenken. Aber nicht, wenn es darum geht, sich gegen Gewalt und Hass zu stellen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuzeigen, wie sie auch ein Dreivierteljahrhundert nach der Befreiung von Auschwitz-Birkenau stattfinden. Das ist die Botschaft am heutigen Tag, die auch von der offiziellen Gedenkstätte im polnischen Auschwitz ausgeht. Am Morgen des 27. Jänner haben dort ehemalige Insassen das Tor mit der Aufschrift “Arbeit macht frei” durchschritten.

Die Gedenkfeiern werden heute Nachmittag über Twitter, Facebook und Youtube live in die ganze Welt übertragen.