Politics | Wahlsystem

Südtirol 3.0

Das Global Forum Südtirol stellt ein Konzept vor, mit dem Südtirols politisches System vollkommen umgebaut werden soll. Die Politik glänzt demonstrativ durch Abwesenheit.
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Foto: GFS
In allen Gesellschaftsbereichen, so auch in der Politik, benötigen wir endlich Mut zu Veränderung und Vielfalt“, sagt Christian Girardi gleich zu Beginn, um dann zum Kern der Sache zu kommen: „Die Reform des Regierungs- und Wahlsystems sind unabdingbar, um alle gesellschaftlichen Gruppierungen und Parteien in der Regierung abzubilden und gemeinsam Verantwortung für die Zukunft Südtirols zu übernehmen.“
Christian Giradi ist der Kopf und Macher des Global Forum Südtirol (GFS), ein Art lokaler Think Tank, der seit Jahren verschiedenste Visionen für und um das Land erarbeitet.
Vor zwei Jahren stand das Forum unter dem Titel „Kanton Südtirol - Utopie oder Modell?". Am Donnerstag stellte Girardi zusammen mit Reiner Eichenberger, Professor für Theorie der Wirtschaftspolitik an der Universität Fribourg ein „White Paper“ als Weiterführung der damaligen Diskussion vor.
Herausgekommen ist eine ambitionierte und durchaus mutige politische Vision für Südtirol. Girardi und Eichenberger präsentieren an diesem Vormittag im Bozner Hotel Laurin einen Plan, der Südtirols politisches System auf den Kopf stellt. Es ist ein Umbauplan, der mehr als nur eine Diskussionsgrundlage sein könnte.
Dass die etablierte Politik diese Vision kaum goutieren wird, wurde bereits bei der Vorstellung deutlich. Girardi hatte alle Parteichefs eingeladen. Gekommen waren nur der neue, junge PD-Chef Alessandro Huber und Paul Köllensperger.
Alle anderen Politiker zogen es vor im Landtag ihre Sitze zu wärmen. Besonders auffallend: Kein einziger SVP-Exponent (mit Ausnahme des pensionierten Arbeitnehmer-Exponenten Georg Pardeller) verirrte sich ins Hotel Laurin.
Dabei würde es der Südtiroler Politik durchaus gut tun, eine Grundsatzdiskussion auf diesem Niveau zu führen.
 

Das Ungleichgewicht

 
Christian Girardi und Reiner Eichenberger gehen in dem Positionspapier mit dem Titel „Südtirol und sein politisches System -Vorschläge für eine zukunftsweisende Evolution“ davon aus, dass Südtirols Politik derzeit an zwei zentralen Ungleichgewichten leidet. Zum einen vertrete das aktuelles Regierungssystem, eine Koalitions-Regierung nicht mehr die Gesellschaft (ethnisch und politisch) und führe zu einer zunehmenden Polarisierung. Zum anderen benachteiligt das aktuelles Wahlsystem politische und ethnische Vielfalt.
Um diese Situation zu verändern, setzten die Promotoren auf vier grundlegende Schritte. Sie nennen sinnigerweise „Die 4 Hebel der Evolution“. Es sind
die Einführung von Wahlkreisen, die Einführung eines neuen Wahlsystems, die Einführung eines neuen Regierungssystems und Einführung von Politikunternehmern.
 

Die Wahlkreise

 
Vorgeschlagen wird Südtirol in zehn plus ein Wahlkreise einzuteilen. „Damit hat jeder Landtagskandidat ein Bindung an seinen Bezirk und seiner Wählerschaft“, sagt Reiner Eichenberger. Auf Bezirksebene verwurzelte Persönlichkeiten erhalten dadurch erhöhte Chance auf Einzug in den Landtag: Durch die demographische Aufteilung können zudem auch die Sprachgruppen optimal berücksichtigt werden. „Dieses Wahlsystem ermöglicht eine Öffnung für neue Leute und Ideen und fördert die Chancengleichheit“, ist der Schweizer Professor überzeugt.
 
Für je 20.000 Einwohner soll ein Landtagssitz verteilt werden. Dabei ist vorab genau festgelegt wieviele Mandatare jeder Bezirk wählen kann. Insgesamt werden so 27 Landtagsmandate vergeben. Dazu kommt ein elfter landesweiter Wahlkreis. Hier werden die restlichen acht Landtagsmandate vergeben. „Es ist der Wahlkreis für Kandidaten, welche vor allem gesamt-Südtiroler Interessen und Inhalte vertreten“, heißt es im Positionspapier. Und weiter: "Dieser Wahlkreis könnte für Landesrat-Kandidaten angestrebt werden.“ 
 

Panaschieren & Kumulieren

 
Jeder Wähler kann in den Wahlkreisen so viele Vorzugsstimmen abgeben, wie Mandate verteilt werden. Das heißt im Landeswahlkreis zum Beispiel acht Stimmen. Wobei man die Stimmen auch „kumulieren“ kann. Das heißt man gibt mehrere oder alle Vorzugsstimmen einem Kandidaten oder einer Kandidatin.
Gleichzeitig ist in diesem System aber auch eine listenübergreifende Abgabe von Vorzugsstimmen möglich. Das sogenannte Panaschieren. Das heißt man kann seine Vorzugsstimmen auf mehrere Kandidaten und Parteien verteilen.
Damit gibt es ein Anreiz für die Politiker und Kandidaten nicht nur an Ihre Parteiwähler zu denken, sondern auch auch an jene anderer Parteien“, erklärt Reiner Eichenberger. Das verändere die politische Diskussion nachhaltig. Zusammen mit der Bezirksverbundenheit sei gerade dieses Wahlsystem eines der besten Gegenmittel gegen den überbordenden Populismus.
 

Die Regierung

 
Hier setzt man auf eine in der Schweiz erprobte und erfolgreiche „Freiwillige kollegiale Regierungsführung“. Der Ausgangspunkt in Südtirol: Aktuell sind 52,4 % des Wählerwillens in der Regierung vertreten und die Zivilgesellschaft kann sich mit den Entscheidungsprozessen und der Entwicklung der Autonomie immer weniger identifizieren. Deshalb sollen in Zukunft mindestens Zwei-Drittel des des Wählerwillens in der Regierung abgebildet werden. Gleichzeitig soll die Logik „Regierung gegen Opposition“ aufgebrochen werden. 
Alle Sprachgruppen und relevantesten Parteien sind je nach Stärke in Regierung vertreten. Zudem soll die Berufung externer Kandidaten in die Regierung beibehalten werden.
Gleichzeitig aber setzt man auf eine besondere Veränderung an der Spitze. Es soll eine Rotation des Landeshauptmannes eingeführt werden. Jährlich oder in kürzen Abständen sollen die Mitglieder der Landesregierung abwechselnd dieses Amt übernehmen.
Dadurch wird die Rolle der Landesräte deutlich gestärkt, es tritt die Kompetenz in den Vordergrund, der Diskurs wird konstruktiver und machtfreier Fehlentscheidungen werden unwahrscheinlicher“, heißt es im GFS-Paper.
Man darf gespannt sein, wie und ob Südtirols Parteien auf diesen Vorschlag reagieren. Vor allem die Südtiroler Volkspartei. Denn dieses System würde die Pläne in der Brennerstraße gehörig durcheinanderbringen.
 
 

Das GFS-Papier