Italiens neue “Hauptstadt der Bürgerbeteiligung”
Es gibt Gemeinden, die jährlich einen Bürgerhaushalt betreiben, andere haben sich bessere Regelungen für Volksabstimmungen gegeben, andere haben ein gutes Wahlrecht. Vignola hat aus den Verfahren repräsentativer, deliberativer und direkter Demokratie eine nahezu optimale Kombination geschaffen und setzt neue Maßstäbe für die Bürgerbeteiligung. Vignola folgt damit im Wesentlichen den Empfehlungen von Paolo Michelotto und POLITiS in der Publikation „Die Gemeindepolitik mitgestalten“. Die neue Satzung (Satzung der Gemeinde Vignola pdf) ist am 21. Juni mit den Stimmen der Mehrheit aus Bürgerliste und M5S gegen die Stimmen der Opposition aus PD und Rechtsparteien verabschiedet worden. Ein großer Erfolg der Reformer mit BM Smeraldi an der Spitze in dieser schmucken Stadt.
Was im Einzelnen wird die Demokratie in Vignola so offen für die Mitbestimmung von unten machen? Hier nur das Wichtigste:
- Für elektronische Petitionen, die von allen Interessierten unterzeichnet werden können, wird auf der Internetseite der Gemeinde eine eigene Rubrik geschaffen. Der Bürgermeister muss binnen 60 Tagen antworten.
- Das „Wort den Bürgern“: eine neue Form von Bürgerversammlung, bei der über Bürgervorschläge diskutiert und abgestimmt wird (Hier eine kurze Erläuterung).
- Der Tag der Demokratie: Vignola widmet künftig mindestens einen Tag alle zwei Jahre der Bürgerbeteiligung mit einer Art Bürgerrat (vgl. Vorarlberg). Die Ergebnisse werden direkt dem Gemeinderat zur Beschlussfassung zugeleitet.
- Die „scelta partecipata“ wird eingeführt: eine Art Bürgergutachten in Form eines längeren Beteiligungsverfahrens an einem bestimmten Vorhaben der Gemeinde, eingeleitet durch ein Promotorenkomitee, begleitet durch die Gemeinde. Wenn die Gemeinde den Bürgervorschlag nicht annimmt, kann mit diesem Bürgervorschlag eine Volksinitiative eingeleitet werden (hier eine kurze Erläuterung).
- Der „Offene Gemeinderat“: Bürger können bei Sitzungen des Gemeinderats ihre Vorschläge einbringen und selbst das Wort ergreifen. Der Gemeinderat kann noch bei derselben Sitzung darüber entscheiden.
- Volksbegehren: zielt auf eine Entscheidung des Gemeinderats binnen drei Monaten.
- Volksinitiative: der Bürgervorschlag mit einer geringen Mindestzahl an Unterschriften wird vom Gemeinderat diskutiert. Wird er abgelehnt, kommt es automatisch zur Volksabstimmung ohne Quorum. Der Gemeinderat kann einen Gegenvorschlag zur Abstimmung bringen.
- Null-Quorum bei allen Volksabstimmungen.
- Die Volksabstimmungen haben bindende Wirkung. Die Gemeinde darf für die verbleibende Zeit der Amtsperiode diese Abstimmungsergebnisse nicht mehr verändern.
- Bestätigendes Referendum auf alle Beschlüsse des Gemeinderats. Wenn die Bürger 1000 Unterschriften sammeln, kann nach der Verabschiedung eines Beschlusses durch den Gemeinderat das Referendum ergriffen werden. Vignola ist die erste Gemeinde, die dieses Instrument für alle Verordnungen einführt (in Trentino-Südtirol gibt es das bestätigende Referendum seit 2015 für Satzungsänderungen).
- Das abschaffende (abrogative) Referendum ohne Quorum
Wie die treibenden Kräfte dieser Reform, Stadträtin Monica Maisani und Bürgermeister Smeraldi, versichern, sollen die Durchführungsordnungen zur neuen Satzung der Gemeinde Vignola bis zum Jahresende stehen und weitere Innovationen bringen. Vorbildlich ist nicht nur das Resultat, vorbildlich war auch der ganze partizipative Prozess, der zu dieser Reform geführt hat (www.partecipattiva.it). In Südtirol werden in Sachen Bürgerbeteiligung immer wieder Mals und Kurtatsch zitiert. Vignola geht weit darüber hinaus und macht klar, wie wenig insgesamt die Südtiroler Gemeinden den von der Gemeindeautonomie gebotenen Spielraum an Bürgerbeteiligung nutzen (vgl. auch das POLITiS-Dossier Nr.5/2015). Es wird auch klar, dass ein wohlmeinender Bürgermeister allein nicht ausreicht, wenn er von Parteien abhängt, die bei der Bürgerbeteiligung auf der Bremse stehen, wie in Meran 2015 geschehen. Vignola zeigt auf, wie es anders geht. Bürgerinitiativen für mehr direkte Beteiligung haben jetzt einen klaren Bezugspunkt in Italien: eine Satzung wie Vignola.
Stellen sie sich das bei uns
Stellen sie sich das bei uns vor. Gemeinde entscheidet ueber eine Volksabstimmung ueber Fluechtlingsaufnahme. Freiheitliche und SF haben hohe Stimmenanteile bei den Gemeindewahlen.
Mehreheitlich wird Aufnahme von Fluechtlinge abgelehnt.
Realistisches Sezenario oder ?
Alltagsfaschismus breitet sich in Suedtirol immer weiter aus.
Nein. Danke
Alltagsfaschismus breitet sich in Suedtirol immer ww
In reply to Stellen sie sich das bei uns by carlo sperzna
Herr Sperzna,
Herr Sperzna,
Sie haben recht, das könnte fallweise passieren. Aber dann wäre es eben der demokratische Wille. Sind die Politiker so idealistisch, dass sie uns immer vor dem Egoismus der Bürger schützen? Wer wirklich an Demokratie glaubt,
sollte nicht verlangen, dass Bürger von den Politikern "zu ihrem Glück gezwungen" werden. *)
Es dürfte der bessere Weg sein, dass wir lernen, z.B. Flüchtlinge besser zu verstehen - da gibt es noch sehr viel zu tun, und es wird auch viel getan.
Es ist ein Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen - denn der Egoismus - und auch der Faschismus! - kommt auch vom mangelnden Vertrauen in das politische System, von der Politikmüdigkeit. Und dagegen ist Bürgerbeteiligung die beste Medizin.
Ohne Bürgerbeteiligung haben wir in Summe meiner Meinung nach weitaus mehr Nachteile, nur - an die haben wir uns schon gewöhnt.
(Siehe dazu auch meine Antwort an F.T. weiter unten)
*) Natürlich gibt es für Extremfälle Ausnahmen, aber davor muss eine gute Regelung schützen. Z. B. wäre es verfassungswidrig, über die Todesstrafe abzustimmen.
In reply to Herr Sperzna, by Wilfried Meraner
Was bin ich froh dass Sie
Was bin ich froh dass Sie gnädigst wenigstens meinen Kopf vor dem Volkswillen schützen wollen.
Wer zahlt eigentlich diesen
Wer zahlt eigentlich diesen Zirkus ?
In reply to Wer zahlt eigentlich diesen by F. T.
Wie immer - die Bürger. Wie
Wie immer - die Bürger. Wie auch bei allen anderen "Zirkussen", bei denen der Bürger aber meistens nur zahlen darf, nicht mitbestimmen.
Liebe Leute, Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie haben Schwächen und Nachteile. Wie alles, oder?
Und hat die repräsentative Demokratie eigentlich keine großen Nachteile?
Aber geht es ohne effiziente Bürgerbeteiligung? Sind Sie der Meinung, dass die Politiker die Sache schon richten werden - oder wird es immer schlimmer und gerät immer mehr aus den Fugen?
Geht das wirklich so einfach, dass wir Bürger uns nur zurücklehnen brauchen, und die von uns beauftragten Politiker
richten alles für uns - nur alle 5 Jahre dürfen wir uns wieder andere suchen. Haben uns das die letzten Jahrzehnte gelehrt?
Oder muss vielleicht jede/r lernen, die Verantwortung selbst zu tragen? (Natürlich über eine gute Regelung, und die ist möglich).
Apropos Nachteile: die meisten kommen daher, dass wir auch Bürgerbeteiligung erst lernen müssen. Fangen wir endlich an - es geht nicht ohne. Das haben wohl die meisten verstanden. Sträuben tun sich haupsächlich die Politiker, aber interessanterweise auch bei denen fast ausschließlich jene, die gerade regieren.
In reply to Wie immer - die Bürger. Wie by Wilfried Meraner
Wir haben Stadtviertelräte,
Wir haben Stadtviertelräte, Gemeinderat, Landtag, Regionalrat, 2 Parlamente. Und jetzt brauchen wir dringend eine siebten politischen Zirkus, die Bürgerbeteiligung. Die bekanntlich die Spielwiese der Populisten und Lügner ist , wie die
Flughafenbefragung, die Benko Geschichte, und noch mehr der irre Brexit zur Genüge bewiesen haben. Und dies werden Sie mit keinen Regeln ändern. Die Politiker (denn um nichts anderes handelt es sich auch hier) die die Bürgerbeteiligung forcieren, sind Leute die in der Repräsentativen zu kurz gekommen sind, und sich damit wohl eine glorreiche Zukunft als
Tribun des dummen Volkes versprechen, das, wie man gesehen hat, nicht einmal in der Lage ist zu verstehen über was es
abstimmt.
Sehr niedlich.
Sehr niedlich.
Herr Benedikter, sie sollten aber bitte auch über das schreiben, was Bürgerbeteiligung bis letzte Woche bekanntlich angerichtet hat: Hass, Lügen, Mord, Xenophobie, Nationalismus und schliesslich sinnloser Austritt eines wichtigen Mitglieds der EU.
"sich damit wohl eine
"sich damit wohl eine glorreiche Zukunft als Tribun des dummen Volkes versprechen, das, wie man gesehen hat, nicht einmal in der Lage ist zu verstehen über was es abstimmt. " schreibt F.T. u.a. zur großartigen Reform der Bürgerbeteiligung in Vignola, die ich auf SALTO kurz vorgestellt habe. Ich kann Sie zunächst beruhigen: ich habe keine Ambitionen auf Volkstribun, sondern arbeite einfach als normaler Bürger für mehr Bürgerrechte in der Politik. Im Unterschied zu Ihnen halte ich meine Mitbürger grundsätzlich nicht für dumm, im Gegenteil: je mehr Bürger sich um Politik kümmer und je mehr Chancen auf echte Beteiligung sie haben, desto informierter, klüger und politisch bewusster werden sie. Das beweist die 140 Jahre alte Erfahrung mit der direkten Demokratie in der Schweiz. Wer den Bürgern solche Rechte vorenthalten will, wie eben Sie, entmündigt sie und verhindert gerade diese Weiterentwicklung der Demokratie.
"...über das schreiben, was Bürgerbeteiligung bis letzte Woche bekanntlich angerichtet hat: Hass, Lügen, Mord, Xenophobie, Nationalismus und schliesslich sinnloser Austritt eines wichtigen Mitglieds der EU" schreibt Alfons Zanardi, ein trauriger Fall der leider nicht seltenen Spezies, die den Spiegel mit dem Bild verwechseln, der Ursachen von politischen Phänomenen und den freien Ausdruck des Bürgerweillens nicht unterscheiden kann. Sie meinen doch, dass die Volksabstimmung vom 23.6. den englischen Nationalismus verursacht hat? Oder Sie meinen, dass die BREXIT-Abstimmung Schuld am Mord an der Abg. Jo Cox hat? Sie meinen schließlich, dass Großbritannien - weil Sie persönlich das für furchtbar wichtig finden - gegen den Willen von fast 52% seiner Bürger in der EU bleiben sollte? Übrigens, was in dieser Diskussion selten erwähnt wird: x-Mal hat das Wahlvolk europäischer Staaten über den Beitritt zur EU abgestimmt: haben Sie auch damals gegen diesen "Unsinn" gewehrt oder protestieren Sie nur, wenn ein Mitgliedsland mit einem demokratischen Verfahren einen Club freiwillig wieder verlässt?
In reply to "sich damit wohl eine by Thomas Benedikter
Lassen wir die "grossartige"
Lassen wir die "grossartige" Reform des Kirschendorfes in der Emilia einmal beiseite, man wird sehen wie lange die Euphorie anhält. Wenn Sie sich als Bürger um Politik kümmern, dann gehören sie eben genau zu denen die ich definiert habe. Ob sie dann das Zeug zum Tribun haben, wird man sehen. Un die alte Leier mit der Schweiz, dem ach so demokratischen Geldschmugglerparadies, muss natürlich immer dabei sein. Der Rest der grossen weiten Welt zählt ja nicht. Sie sind wohl auch allein auf weiter Flur wenn Sie tatsächlich behaupten wollen, das intelligente Volk in GB hätte verstanden um was es geht. Nicht einmal die dortigen Volkstribunen hatten es kapiert. Aber in der englischen Verfassung gibt es ja keine bindenden Volksbefragungen. Die sind eben weitsichtiger. Wenn die Engländer in Konkurs gehen wollen ist mir das an sich gleichgültig, aber man sollte aus so einer Blamage und Katastrophe die Lehren ziehen, und diesen, bei uns siebten, Politzirkus einfach abschaffen. Dann brauchen wir nicht fürchten dass die Abhaltung eines solchen Zirkus noch Morde oder einen Bürgerkrieg provoziert.
In reply to "sich damit wohl eine by Thomas Benedikter
Wenn wie in England geschehen
Wenn wie in England geschehen ein Referendum nicht mit Argumenten sondern mit Ängsten und allg. Emotionen geführt wird, wird klar dass das Werkzeug gerade in diesen populistischen Zeiten zu gefährlich ist. In England hat die Ablehnung von Migration (auch europäischer) den Ausschlag gegeben. Der abscheuliche Mord an der Politikerin Cox steht absolut im Kontext des Referendums und wurde auch so "begründet". Aber sie können mir gerne irgendeinen positiven Aspekt des britischen Referendums nennen wenn sie einen finden.
Ja und die Schweiz: da stimmt dann das Volk für ein verfassungswidriges Minarettverbot oder die Abschottung gegen europäische Mitbürger, ebenfalls gegen geltendes Recht, und das finden sie toll.
Man kann gerne in kleinerem Rahmen Entscheidungen direkt fällen, aber komplexe Themen sind nicht geeignet.
Indirekte Demokratie mit verantwortungsvollen und - ja gern - positiv elitären Vertretern ist aus meiner Sicht der bessere Weg.
Herr Speranza, haben Sie
Herr Speranza, haben Sie schon mal die Satzung einer einzigen Südtiroler Gemeinde angeschaut? Ich zitiere hier nur den Art. 59 der Satzung der Gemeinde Bozen mit dem Katalog der von Volksabstimmungen ausgeschlossenen Sachfragen:
".... Davon ausgeschlossen sind:
a. Angelegenheiten, die nicht in die Zuständigkeit der örtlichen Verwaltung fallen;
b. Angelegenheiten, die mit den Zielen und Zwecken der vorliegenden Satzung (Art. 6), mit den Bestimmungen der Satzung selbst oder mit der Geschäftsordnung des Gemeinderates in Widerspruch stehen;
c. Fragen, welche die Sprachgruppen gemäß den im Autonomiestatut vorgesehenen Bestimmungen betreffen;
d. religiöse Angelegenheiten;
e. Angelegenheiten, die die Wahlen oder das Gemeindepersonal betreffen;
f. Angelegenheiten, die in den letzten fünf Jahren bereits Gegenstand von Volksabstimmungen waren;
g. Fragen, die das Rechnungs- und Steuerwesen der Gemeinde betreffen;
h. Fragen, die Personen, soziale Randgruppen und Volksgruppen betreffen;
i. Fragen, die Projekte betreffen, die vor Einreichen des Antrags auf Durchführung einer Volksabstimmung ausgeschrieben wurden;
j. reine Durchführungsakten und -maßnahmen von Gesetzen sowie notwendige dringende Maßnahmen des Bürgermeisters/der Bürgermeisterin;
k. Gegenstände, zu denen sich der Gemeinderat gezwungenermaßen innerhalb gesetzlich festgelegter Fristen äußern muss. "
Flüchtlinge und andere Minderheiten fallen unter Punkt h). Das ist in allen übrigen Gemeinden genauso geregelt, und damit ist die Frage beantwortet.