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„Was alles in diesen Briefen steckt…“

Der Zweisprachigkeitskommissar Lorenzo Bonosi hat ein gutes Auge für literarische Briefkorrespondenzen. Und für Lyrik. Ein Gespräch über sein neues Buch und andere Dinge.
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Foto: Salto.bz

Salto.bz: „Die Liebe und nicht der Hass“ nennt sich Ihr Buch zum Briefwechsel der Dichterin Hilde Domin mit dem Dichter Erich Fried. Zwischen 1964  und 1988 haben die beiden sich regelmäßig, auch durchaus kontrovers ausgetauscht. Auch Südtirol kommt kurz vor… 

Lorenzo Bonosi: Ja, dieser vehemente Satz gegen Südtirol. 

Hilde Domin schreibt im Oktober 1982 in einem Zusatz zu einem Brief an Fried über Südtirol, „einem alten Nazigebiet, wie Sie wissen. Noch jetzt z. T. anfällig.“ Sie selbst weilte in Dorf Tirol. Was wissen Sie dazu?

Ich habe keine weiteren Informationen bezüglich dieser Aussage zu Südtirol in ihren Texten gefunden. Sie war aber auf jeden Fall eine Italienkennerin, hat sie ja knapp zehn Jahre in Italien gelebt, beherrschte die Sprache und wusste genau vom Attentat in der Via Rasella und bekam wohl auch mit, wie Nazis über Südtirol nach Rom und dann nach Südamerika entkamen. Da war sie Insiderin und hat das mit verfolgt. Domin war in der Lyrik – wie Peter Weiss im Theater – diejenige in der Literatur, die später, ab den 1960er Jahren, vehement darauf gepocht hat, dass Literatur wie Politik diese Vergangenheit, den Holocaust, das Nazitum, aufarbeiten. 
 

Lieber Erich, man erzählte mir in Dorf Tirol, Sie hätten, kurz nach dem Attentat in Rom, in Südtirol gelesen...


Hilde Domin kommentiert in dem Brief eine Lesung von Erich Fried in Lana, dass es in den 1980ern immer noch ein Nazi-Dorf war. Könnte dieser Zusatz auch ein Seitenhieb gegen Erich Fried sein, weshalb gerade er in Südtirol liest, in Lana?

Das kann gut sein. Es gibt immer wieder Hinweise von Domin an Fried. Sie beobachtete sehr genau, wo Erich Fried auftrat und sie teilte ihm auch immer wieder ihre Einschätzung zu seinem Tun mit.

Riecht auch irgendwie nach Eifersucht. Fried war wenige Jahre vor seiner Lana-Lesung 1982 mit seinen "Liebesgedichten" einer breiten Leser*innenschicht bekannt geworden. Eifersüchtelei?

Absolut spielte in der Beziehung zwischen den beiden auch Eifersucht eine Rolle. Vor allem war Domin eifersüchtig darauf, dass Fried im Literaturbetrieb angekommen und anerkannt war. Obwohl gerade er, mit seiner Haltung sehr hart in alle Richtungen hin kritisierte.

Ein interessanter Austausch zwischen den beiden lässt sich beispielsweise zur Figur der Irma Grese nachlesen...

Grese war eine Lageraufseherin, die verurteilt und gleich nach dem Krieg hingerichtet wurde. Erich Fried fragt sich, ob es richtig war, spricht von „Justizmord“, Hilde Domin verteidigt das Urteil, nennt sie eine Mörderin und beweist ihr Vertrauen in die Institutionen, in dem Fall das Kriegsgericht die Alliierten. Es ist eine ganz ganz heikle ethische Frage, die sich immer und immer wieder stellt: soll der Staat ebenso gewaltvoll vorgehen, wie der Verbrecher, den er tilgen will? 

 


Was macht diesen Briefwechsel so interessant?

Es sind die unterschiedlichen Biographie der beiden und ihre jeweilige Stellung zur BRD. Aber auch die gegensätzliche Auffassung von Lyrik – auch am prominenten Beispiel Paul Celan –, und Unterschiede in der jeweiligen Lyrik. Nicht zu vergessen die unterschiedliche politische Haltung bei Linksterrorismus, Nahostkrise, Antisemitismus vs. Antizionismus bei Fried, aber auch zu bestimmten Persönlichkeiten wie Rainer Werner Fassbinder und natürlich zum Literaturbetrieb, etwa zur Gruppe 47, in die sie sich nicht integrieren konnte.

Hilde Domin ist in Italien nicht sonderlich bekannt. Obwohl sie selbst mit Italien sehr verbunden war…

Sie ging in den frühen 1930er Jahren nach Italien und lernte in Rom Italienisch. Mit den Leggi razziali fasciste musste sie 1938 Italien verlassen, ging zunächst nach London und dann in die Dominikanische Republik. Von dort stammt auch ihr Künstlername Domin. Sie hieß ja eigentlich Löwenstein.

In Deutschland bekannt, in Österreich kaum, in Italien so gut wie gar nicht...

In Deutschland ist sie schon sehr bekannt. Auch deshalb, weil sie mit vielen prominenteren Namen des Literaturbetriebs Briefe austauschte, auch mit italienischen Autoren, wie beispielsweise Giorgio Bassani. Sie hat bis ins hohe Alter das politische Geschehen in Italien verfolgt, schrieb auch zu Berlusconi und machte sich diesbezüglich große Sorgen über Italien. Eine Kollegin – Paola Del Zoppo – hat eine Lyrikanthologie herausgegeben und eine Biografie über Domin gemacht. 

Hilde Domin war auch Übersetzerin? 

Ja, sie hat beispielsweise – wie auch Paul Celan und Ingeborg Bachmann – Ungaretti übersetzt. Und angeblich besser, wie sie meinte.

Welche Lyrik finden Sie anspruchsvoller? Domin oder Fried?

Ich finde Hilde Domin als Lyrikerin sehr gut. Sie ist besser als Erich Fried. Was bei ihr auch bemerkenswert ist, ist ihre Lyriktheorie. Domin hat sich ganz konsequent an diese Lyriktheorie gehalten und danach geschrieben. Ich kenne auch wenige Dichter oder Dichterinnen, die so intensiv und schön über Lyrik nachgedacht haben. Das ist bei ihr ganz klar zu spüren, auch in der Auseinandersetzung mit Erich Fried, der beim Schreiben sicher viel spontaner war. Fried schuf seine Gedichte gerne im Affekt, die Gedichte sind häufig zeit- und anlassbezogen. Beide haben ähnliche Themen bearbeitet, aber eben anders geschrieben. Die Lyrik von Domin ist meiner Meinung nach länger lesbar, zeitloser. Man kann ihre Lyrik auf die Kriege, ohne weiteres auch auf die Krieg von heute, beziehen. 
 


Sie sind Zweisprachigkeitskommissar in Bozen. Ist die Beschäftigung mit Lyrik ein guter Ausgleich?

Das ist eine schöne Frage. Es stimmt. Das ist ein guter Ausgleich für mich als freier Germanist, der vorher Naturwissenschaftler war. Die Beschäftigung mit Literatur ist ein guter geistiger und künstlerischer Ausgleich. Bei der Zweisprachigkeitsprüfung, da ist es auch nicht so spannend, auch wenn es vom Menschlichen her durchaus interessant ist.

Es geht in beiden Fällen um die Genauigkeit der Worte..

Sicher. Außerdem schreibe ich auch selbst Lyrik, habe auch einen kleinen Lyrikband gemacht, auf Deutsch und Italienisch. Inhaltlich geht es um Schweden, wo ich viele Jahre gewohnt habe.

In welcher Sprache träumen Sie?

Wenn ich im Traum mit deutschsprachigen Menschen aus dem Verwandtenkreis zu tun habe, dann auf Deutsch, wenn ich in Italien bin, dann Italienisch. Das kommt immer drauf an, je nach Person, die im Traum vorkommt, da passe ich mich an. Auch mal Dialekt, in Florenz mitunter auch mit florentinischem Akzent. Mein Vater kommt nämlich aus Florenz. Ich bin aber eigentlich deutscher Muttersprache, bin am Ritten zur Schule gegangen und hab erst später Italienisch gelernt. Ich bin eigentlich der absolute Mischling, mit einer Oma, einer Halbjüdin aus Frankfurt, die am Ritten einst um ein Haar nicht denunziert wurde.