„Das schreckt viele gute Leute ab“

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SALTO: Herr von Wenzl, in Ihrer Gemeinde Innichen tritt nur ein Kandidat als Bürgermeister an und zwar für die Südtiroler Volkspartei (SVP)...
Matthias von Wenzl: Es tritt neben uns auch noch eine italienische Bürgerliste an, die zukünftigen Mehrheitsverhältnisse sind damit relativ klar. Die SVP wird die absolute Mehrheit im Gemeinderat wahrscheinlich behalten, auch weil die Bürgerliste nicht mehr antritt. Das haben Bürgerinnen und Bürger mir gegenüber kritisiert, weil mit nur einem Bürgermeisterkandidaten keine demokratische Wahl zustande komme. Sie bräuchten ihre Stimme deshalb gar nicht abgeben. Ich sehe das grundlegend anders.
„Demokratie ist kein Naturzustand wie die Schwerkraft!“
Das liegt nahe, Sie kandidieren für die SVP.
Ich finde das nicht nur aus diesem Grund besorgniserregend. Es schadet der Demokratie, wenn ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung nicht mehr die Stimme abgibt. Damit werden diese Menschen nicht mehr repräsentiert. Es ist so, als würden sie im politischen Prozess nicht existieren. Auch wenn ich nicht mit 100 Prozent der Aussagen einer Person einverstanden bin, kann ich vielleicht mit 70 Prozent etwas anfangen. Die politische Kompromissfindung fängt genau genommen schon hier an und nicht erst nach der Wahl im Gemeinderat. Es gibt in Innichen 33 Kandidatinnen und Kandidaten, die für 18 Plätze kandidieren. Trotz der Tatsache, dass ein Parteilogo angekreuzt werden muss, steht jeder Kandidat und jede Kandidatin für etwas anderes.
Für was stehen Sie denn?
Man kann es glauben oder nicht, aber die SVP behauptet, eine Sammelpartei zu sein und ich nehme das bis zu einem bestimmten Punkt auch so wahr. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich innerhalb der Partei links der Mitte stehe. Wir haben viele Menschen, die rechts der Mitte stehen.
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Zur Person
Matthias von Wenzl, 30 Jahre alt, lebt in Innichen und arbeitet als freiberuflicher KI-Experte. Er hat in Innsbruck Politikwissenschaft und Volkswirtschaft studiert. Der ehemalige Vorsitzende der Südtiroler HochschülerInnenschaft sh.asus ist nun Vorsitzender des Vereins Veritatem Quaerens und kandidiert zum zweiten Mal bei den Gemeinderatswahlen für die SVP.
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Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich in Ihrem Wahlkampf?
Viele politische Fragen können nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden, weil sie zu komplex sind. Soll die Ukraine von Europa unterstützt werden und wenn ja, wie? Braucht es eine Änderung der Migrationspolitik und wenn ja, welche? Zudem ist das politische System für viele Menschen heute nicht mehr verständlich.
„Politische Bildung heißt für mich nicht, dass junge Menschen nach ihrem Schulabschluss alle die SVP wählen.“
Was wollen Sie dagegen tun?
Ich habe schon als 17-jähriger Schülervertreter gesagt, dass wir mehr politische Bildung brauchen. Politische Bildung heißt für mich nicht, dass junge Menschen nach ihrem Schulabschluss alle die SVP wählen. Sie sollen wissen, wieso sie eine Partei wählen. Denn ich habe das Gefühl, dass sehr viele Leute nicht wissen, wieso sie eine Partei wählen. Sie glauben stattdessen einfachen Botschaften, etwa bei Migration, und das ist für mich das Gegenteil von politischer Bildung.
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In den Schulen wird in Fächen wie Rechts- und Wirtschaftskunde politische Bildung bereits vermittelt…
Das stimmt, aber für politische Bildung ist vor allem zu wenig Zeit im Stundenplan vorgesehen. Wenn es ab dem Alter von 18 Jahren ein Wahlrecht gibt, dann müsste ab dem 16. Lebensjahr darüber gesprochen werden, wie wir in einer Demokratie zusammenleben wollen. Demokratie ist kein Naturzustand wie die Schwerkraft! Ich sehe viele demokratiefeindliche Tendenzen. Zum Beispiel werden politische Kompromisse pauschal als negativ bewertet, obwohl sie der ureigenste Wesenskern der Demokratie sind. Damit geht auch die Bereitschaft zurück, sich für eine Partei ehrenamtlich zu engagieren.
Haben Sie auch schon mal überlegt, aufzuhören?
Dafür bin ich zu idealistisch. Ich bin seit fast 14 Jahren politisch aktiv und habe keinen Cent dafür bekommen, zudem habe ich noch nie eine Wahl gewonnen. Es hat mich Nerven, Zeit und Geld gekostet. Ohne Ehrenamtliche ist Parteiarbeit aber nicht möglich, sie organisieren Veranstaltungen und stellen den Kontakt zu der Bevölkerung her. Der Großteil der politisch Aktiven sind parteiübergreifend aus absolutem Idealismus dabei. Leider sind aber immer weniger Menschen bereit, sich für eine politische Partei zu engagieren, weil sie nicht ständig Kritik ausgesetzt sein wollen. Als ich für den Landtag kandidierte, wurden mir Entscheidungen der SVP vorgehalten, die gefällt wurden, als ich noch im Kindergarten war.
Was hat das für Folgen?
Das schreckt parteiübergreifend viele gute Leute ab, in die Politik zu gehen und könnte dazu führen, dass nur noch jene politisch aktiv sind, die das aus Eigeninteresse tun. Ich habe grundsätzlich ein gutes Menschenbild, aber es gibt immer Menschen, die ihre Interessen dem Allgemeinwohl vorziehen.
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Weltpolitische Gespräche mit Veritatem Quaerens
Bei den Aktionstagen politische Bildung organisiert Veritatem Quaerens im Oberpustertal Vorträge mit Eurac-Forscher Roland Benedikter. Es geht um die Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) in den Weltregionen Europa, Russland, China und den USA, um die Auswirkungen der technologischen Entwicklung auf Gesellschaft, Arbeitsplätze und Politik zu diskutieren. Der erste Vortrag zu Europa findet am 2. Mai in Innichen im Josef-Resch-Haus statt, Beginn 19:30 Uhr.
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