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„Verzichten ist Luxus“

Verdrängt die Pandemie den Klimaschutz? Ein Gespräch mit der Umweltaktivistin Magdalena Gschnitzer.
Magdalena Gschnitzer
Foto: Georg Hofer

Magdalena Gschnitzer ist eine vielseitig beschäftigte Frau: Sie ist Umweltaktivistin, Kochbuchautorin, Filmerin, Speakerin und vieles mehr. Ein Gespräch über Veganismus und Laborfleisch, über ihre Erlebnisse als Aktivistin und ob der Klimaschutz für die Wirtschaft geopfert wird.

salto.bz: Magdalena, wie wirkt sich die Pandemie auf die Umwelt aus?

Magdalena Gschnitzer: Jahrzehntelang hat unser Konsumverhalten und unser Hunger nach mehr die Natur stark beschädigt. Jetzt, innerhalb kurzer Zeit, hat sich die Luftqualität nachweislich verbessert, der Geräuschpegel in den Städten hat abgenommen, die Tiere hatten Zeit sich zu erholen, zu vermehren und sind zurückgekommen, aus dem Rückzug vor dem Menschen. Die Bilder vom klaren Meereswasser, beispielweise von Venedig, die viral gingen, sind jedoch trügerisch: Das Wasser ist klar, weil keine Gondolieri mehr fahren und der Schlamm sich am Boden abgesetzt hat. Aber es hat sich noch etwas verändert: Die Menschen nehmen die Natur bewusster wahr und beginnen sich neu zu verbinden. Ich bin überzeugt, sobald die Verbindung mit der Natur da ist, passiert der Umweltschutz von allein.

Die Phase 2 ist weitaus weniger umweltfreundlich als Phase 1: Masken, Plastikhandschuhe in den Supermärkten, viele Autos.

Es stimmt, die Pandemie hat das Protokoll verändert, aber da müssen wir jetzt durch. Dabei geht es bei Plastikvermeidung nicht nur um die Handschuhe und Masken! Überall wo wir können, sollten wir Plastik vermeiden, wenn möglich plastikfreie Produkte oder direkt beim Bauern kaufen. Denn jede Reduzierung von Plastik macht den Unterschied.

Klimaschutz bedeutet Schutz unseres Planeten, unserer Heimat und muss Priorität haben.

Wird der Klimaschutz für die Wirtschaft geopfert?

Ich hoffe nicht Ich habe den Eindruck, der Klima-Aspekt wird fast überall miteinbezogen. Es braucht Leute, die ihr Geld damit verdienen, etwas für eine gute Sache zu tun, für eine Zukunft, in der es sich lohnt, Kinder zu bekommen und alt zu werden. Es ist möglich, nachhaltig zu wirtschaften:iIm Gastgewerbe, in Geschäften, bei Kleidung – überall. Aber nutzen wir die Möglichkeiten? Klimaschutz bedeutet Schutz unseres Planeten, unserer Heimat und muss Priorität haben.

Welche Chancen und Gefahren ergeben sich durch die Pandemie?

Die Chancen für die Menschen sind groß, wenn wir beginnen mit weniger zufrieden zu sein und zu uns selbst zu finden. Die Chancen für die Umwelt sind ebenso groß wie die Gefahren. Es hängt davon ab, wie wir mit der Situation umgehen und ob wir es schaffen, unsere Gedanken und unser Handeln auf eine Ebene zu setzen. Wir müssen beginnen, unser Umdenken zu leben, unseren Konsum zu verändern, auf erneuerbare Energien umzusteigen und das „Weniger ist mehr“-Prinzip sinnvoll zu nutzen. 

Massentierhaltung ist mitunter auch Grund, warum solche Pandemien überhaupt entstehen können.

Welche Schritte kann jeder Einzelne konkret machen?

Plastik reduzieren. Beim Einkaufen zum Beispiel: Dafür braucht es aber unbedingt mehr plastikfreie Supermärkte oder wenigstens plastikfreie Ecken. Bei Kosmetik: In Kosmetikprodukten ist sehr viel Mikroplastik enthalten z.B. in der Zahnpasta. Cremen, Shampoos das kann man alles selbst machen. So viel ist umsetzbar, wenn man will und es einem wert ist.

Sicher auch biologisch, saisonal und regional einkaufen. Weniger tierische Produkte konsumieren und auf Massentierhaltung verzichten. Massentierhaltung setzt nicht nur die Tiere unglaublichem Leid aus, sondern ist mitunter auch Grund, warum solche Pandemien überhaupt entstehen können.

Wie bitte?

Viele Pandemien sind entstanden, weil lebendige und tote Tiere auf engem Raum gehalten werden und sich somit Bakterien und Viren leicht von einer Spezies auf die andere übertragen können. Wenn dann Menschen auf Orte treffen, wo solche Viren kursieren, ist es nicht verwunderlich, dass auch mal einer auf den Menschen überspringt. Die Menschen sind in dem Moment der neue Wirt der Viren. Auf natürlichem Wege würden Mensch und Virus in der Form nicht aufeinander treffen.

 

Du ernährst dich vegan. Warum?

Für mich war es die Verbindung zu den Tieren: Früher habe ich sie gleichzeitig gestreichelt und gegessen. Aber dann hatte ich eine prägende Begegnung: Nachdem ich beim Tauchen einen Zackenbarsch aus einem Geisternetz befreit habe, ist er neben mir her geschwommen und hat sich mit einem Blick in die Augen bedankt. Daraufhin habe ich begonnen, den Tieren in die Augen zu sehen und zu spüren, dass Tiere ebenso fühlen wie wir Menschen. Aus dem Grund bin ich vegetarisch geworden. Als ich erkannt habe, wie viel Schlechtes hinter der Milchproduktion steckt, habe ich begonnen mich vegan zu ernähren. Das ist über drei Jahre her, für mich gibt es kein Zurück.

Tiere fühlen ebenso wie wir Menschen. 

Kürzlich hast du ein veganes Kochbuch mit dem Titel „Lass die Sau raus“ herausgegeben.

Immer wieder haben Leute gesehen, was ich alles vegan koche, etwa Schlutzer, und haben mich nach Tipps gefragt. Dann habe ich mir gedacht, da kann ich doch gleich ein Kochbuch herausgeben. Ich bin keine Köchin, aber ich habe viel ausprobiert. Viele Leute haben Angst, dass sie durch die vegane Ernährung nicht genug Proteine oder so zu sich nehmen. Das stimmt nicht. Hinter dem Konsum von tierischen Produkten steckt auch viel Gewohnheit und Gewohnheiten abzulegen ist schwer. Ich habe das Buch geschrieben, um Leuten zu zeigen, dass vegane Küche köstlich sein kann und Glaubenssätze wie „wer gesund sein will muss Fleisch essen“ nicht immer der Wahrheit entsprechen.

Laborfleisch könnte eine Alternative sein. 

In Südtirol wird noch viel Viehwirtschaft betrieben. Wäre auch hier ein Umdenken gefragt?

Ja, ein Umdenken wäre wichtig! Natürlich, es ist ein immenser Unterschied, ob wir von der Massentierhaltung oder einem Südtiroler Viehbauern sprechen. Trotzdem finde ich es nicht gerechtfertigt, wenn Tiere sterben müssen, obwohl wir uns anders ernähren könnten. Ich würde es stark befürworten, wenn die Bauern in Südtirol mehr auf pflanzliche Produkte umstellen würden und zum Beispiel Hülsenfrüchte anbauen. Das wird die Zukunft sein. Denn Menschen beginnen über Laborfleisch nachzudenken. Viele werden sich jetzt denken: Eklig, total künstlich! Aber was heutzutage Tiere zu fressen bekommen ist auch künstlich und der Umweltaspekt hinter Laborfleisch ist durchaus positiv. Außerdem gibt es auf der Erde nicht genug Platz, um alle Menschen mit Fleisch zu versorgen. Wenn die Menschen nicht bereit sind auf Fleisch zu verzichten, könnte Laborfleisch eine Alternative sein. Fleisch aus dem Labor wird kommen oder ist schon auf dem Weg, umso wichtiger, dass sich die Bauern jetzt schon Gedanken über die Zukunft machen.

Wir haben Chancen ohne Ende, anders zu leben.

Bist du mit deinem ökologischen Fußabdruck zufrieden?

Diese Frage stelle ich mir auch oft und bin noch lange nicht da, wo ich eigentlich sein will. In den vergangenen sieben Jahren bin ich vegetarisch und vegean geworden. Vegan heißt aber nicht gleich nachhaltig. Deshalb achte ich auch auf eine ökologisch nachhaltige Ernährung.

Schon lange bin ich nicht mehr zum Spaß – also in den Urlaub – geflogen. Wenn ich geflogen bin, dann nur für Projekte, mit denen ich mich bereits lange auseinandergesetzt habe. Ich habe mir vorgenommen nur mehr zu fliegen, wenn ich einen großen Mehrwert dahinter sehe. Es passieren auch in der Nähe viele interessante Dinge, ich muss nicht um die Welt fliegen, um Projekte zu machen.

Ich verzichte auf vieles, ich kaufe nichts mehr, was ich nicht unbedingt brauche. Wie bei Kleidung. Irgendwann fehlten mir die finanziellen Mittel und ich war gezwungen, weniger zu konsumieren. Heute bin ich froh darüber. Denn Verzicht ist eine Chance: Verzicht bedeutet, Nein sagen zu können. Viele müssen alles nehmen, um zu überleben. Ich habe aber die Möglichkeit zu entscheiden. Auf etwas zu verzichten, ist Luxus.

Bedeutet das, dass Menschen westlicher Länder eine besondere Verantwortung haben mit dem Umweltschutz zu beginnen, weil sie die Wahl haben?

An vielen Orten der Welt wie in einigen Ländern Afrikas ist der ökologische Fußabdruck zig mal kleiner als bei uns. Das liegt daran, dass in der westlichen Zivilisation alles verfügbar ist. In einigen Ländern sind Menschen zur Überfischung oder zur Hai-Jagd gezwungen um zu überleben. Einige Menschen müssen gewisse Sachen machen, weil sie keine anderen Möglichkeiten haben. Wir haben Chancen ohne Ende, anders zu leben. Deswegen haben wir eine große Verantwortung – weil wir die Wahl haben. Uns selbst gegenüber, nicht anderen, die eh schon einen viel geringeren Fußabdruck hinterlassen.

 

Du arbeitest an dem Dokumentarfilm „Hope“. Was steckt dahinter?

Wie der Name verrät, geht es im Film um Hoffnung. Ich hatte in vielen Situationen große Zweifel am Guten im Menschen. Aber ich habe stets Menschen um mich gehabt, deren Herz genauso für eine bessere Zukunft gebrannt hat wie meines. Es gibt viel zu wenig Filme, die Gutes zeigen. Das bedeutet nicht, dass die schlechten Sachen verdrängt werden sollen, aber wir sollen auch Positives sehen und uns dort Inspiration holen. Es gibt so viele Organisationen und Menschen, die Großartiges bewirken! Diese Kraft und Energie möchte ich in Form eines Films weitergeben. Denn alles und jeder kann einen Unterschied machen, wir können uns jeden Tag aufs Neue dafür entscheiden. Die Macht der Entscheidung liegt bei uns.

Wie bist du zur Aktivistin geworden?

Als ich das Erlebnis mit dem Zackenbarsch hatte, ist mir bewusst geworden, warum ich auf der Welt bin. 28 Jahre lang habe ich danach gesucht, wer ich bin und was ich machen möchte und plötzlich wusste ich es. Ich bin da, um etwas zu verändern, um mir selbst und anderen zu zeigen was auf der Welt passiert. Ich bin dann zum Meeresschutz gekommen und beim Aktivismus hängengeblieben. Viele Kampagnen haben sich zufällig ergeben. Heute weiß ich, das war kein Zufall, das hätte immer schon mein Weg sein sollen.

Was ist das für eine Welt, wo Leben retten illegal ist?

Welche Erlebnisse waren für dich als Aktivistin am prägendsten?

Sicherlich meine Verhaftung auf den Färöer-Inseln im Jahr 2014. Ich wurde verhaftet, weil ich mich friedlich zwischen Wal und Walfänger gestellt habe und schuldig gesprochen, wegen Störung des öffentlichen Friedens. Es hieß: Wale zu fangen ist legal, Wale zu schützen illegal. Was ist das für eine Welt, wo Leben retten illegal ist? Ein Walfänger hat auch mit der Waffe auf uns gezielt. Ich habe gesehen, wie weit Menschen für Geld oder Traditionen gehen.

Und natürlich in Japan, bei den Delfinen.

Was ist in Japan passiert?

In Taiji habe ich sechs Wochen lang gefilmt wie Delfine gefangen und geschlachtet werden. Die schönsten Delfine werden ausgesucht, für Delfinarien trainiert und für viel Geld verkauft. All jene, die nicht schön genug sind, werden geschlachtet. Die gefangenen Tiere müssen oft ansehen, wie ihre Familie geschlachtet wird und im Blut ihrer eigenen Familie schwimmen. Wie grausam ist das? Danach werden die Delfine eingesperrt. Tiere, die im Meer an einem Tag sehr weite Strecken zurücklegen, müssen fortan im Kreis schwimmen. Kein Wunder, dass die Tiere durchdrehen und manchmal Unfälle passieren. Noch nie hat ein Delfin in der freien Natur einen Menschen gebissen!

Mein Herz brennt so stark, dass der Mut automatisch da ist.

An welchen Projekten arbeitest du momentan?

Ich arbeite an einem Flaschenprojekt mit der Südtiroler Firma „SanusLife“. Im Zuge des Projekts werden nachhaltig hergestellte Glasflaschen verkauft. Drei Euro pro Flasche werden für Projekte, die der Umwelt zugute kommen, gespendet. Ergänzend gibt es eine App, die alle Wasser-Auffüllstationen in der Nähe anzeigt. Somit können langfristig Plastikflaschen vermieden werden.

Daneben schreibe ich an meinem zweiten Buch, das wie der Film „Hoffnung“ heißt.

Außerdem möchte ich einen Online-Kurs anbieten. Thema ist „Der Mut du selbst zu sein“. Ich möchte Menschen motivieren, auch mal aufzustehen und zu sagen: „Da bin ich nicht dafür. Ich möchte etwas ändern“. Ziel ist, dass mehr sich Menschen  für Gutes einsetzen anstatt Sachen zu unterstützen, die die Welt kaputt machen.

Woher nimmst du diesen Mut?

Mein Herz brennt so stark, dass der Mut automatisch da ist. Ich kenne mein Warum, weiß, wieso ich da bin und was für mich wichtig ist. Und ich habe Menschen gefunden, die ähnlich denken, mutig sind und sich einsetzen. Sich mit Gleichgesinnten zu verbinden, ist sehr wichtig.

Wie finanzierst du dich?

Die Mitarbeit an den Kampagnen, unter anderem Sea Shepard, war immer freiwillig. Wenn ich zu Hause war, habe ich im Gastgewerbe gearbeitet, gespart und mir damit die Projekte finanziert. Mittlerweile bin ich selbstständig und verdiene meinen Unterhalt als Filmerin und Speakerin.

Von welcher Zukunft träumst du?

Ich träume von einer Zukunft, in der ich nicht mehr Aktivistin sein muss. Ich träume von einer Zukunft, wo wir von dem leben, was uns die Natur vor Ort gibt. Ich träume von einer Zukunft, in der viele Menschen aufwachen, zu sich selbst finden und sich mit der Natur verbinden.