Fridays For Future Bozen 2019
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Politics | Kommentar

Lieber Herr Palermo!

Ein Hilfeschrei an einen linken Intellektuellen. Mit besten Grüßen aus dem Inferno.
  • Lieber Francesco Palermo, es ist nicht Pragmatismus, sondern Eigennutz. Es tut mir leid, das in dieser Deutlichkeit sagen zu müssen, aber die Politik ist heute von dem Durchsetzen der eigenen Interessen geprägt – gerade auch in Südtirol ist das als junger Mensch am eigenen Leib zu spüren. Während sich junge Menschen auf Straßen kleben, in der Hitze nach Antworten suchen und langsam die Hoffnung verlieren, sitzen ältere Menschen im Regionalrat von Trient und diskutieren über die eigene Rente. 

    Es reicht nicht, im Klimabürger*innenrat sechs Jugendliche mitreden zu lassen.

    Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, Herr Palermo, aber ich finde das ungerecht. Sie sprechen im ff-Interview mit Alexandra Aschbacher über eine komplexe Welt und dieses Urteil wird heute von vielen Intellektuellen geteilt. Dass die Welt heute anders ist als noch vor 50 Jahren, will ich nicht leugnen, aber dass sie aufgrund ihrer Komplexität bei vielen Überforderung auslöst, scheint mir möglicherweise ein Irrtum zu sein. Denn komplex war die Welt immer schon, nur vielleicht gerechter.

  • Jan Böhmermann: „Gemeinsam gegen Menschen von gestern! So könnte es klappen!“ Foto: Facebook/Jan Böhmermann

    Vielleicht sind Satiriker*innen wie Jan Böhmermann in Deutschland heute näher an der Wahrheit als jene, die von sich behaupten, keinen Unfug zu erzählen. In einem Gastbeitrag auf ZEIT ONLINE beschreibt er die „Menschen von gestern“, die sich von unserer „schrecklich kompliziert gewordenen Welt“ zu unrecht herausgefordert fühlen. 

    Sein Credo: „Wir müssen alle Gräben im Land zuschütten. Und dafür einen neuen aufreißen: zwischen den Menschen von heute und morgen – und denen von gestern.“  Lieber Herr Palermo, ich muss zugeben, dass auch ich mich manchmal wie „von gestern“ fühle. Das mag wohl daran liegen, dass wir Menschen wie Herr Böhmermann schreibt, „unverbesserlich und ein bisschen doof“ sind. 

    Aber diese Erkenntnis muss uns nicht zwangsläufig in den Pessimismus treiben. Es wäre Zeit, dass wir anderen Menschen ein Sprachrohr geben und lernen auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Ich unterstütze Ihre Forderung, dass Institutionen diverser werden müssen, aber um es einfach zu halten: Sie müssen vor allem jünger werden! 

    Wieso dürfen wir nicht mitentscheiden, wie sich Südtirol in Zukunft aufstellen wird?

    Menschen unter 40 Jahren werden von der Klimakrise noch stärker betroffen sein als die Generationen vor ihnen, wieso dürfen sie aber nicht mitentscheiden, ob in Meran oder Bozen schon wieder eine neue Parkgarage für Autos gebaut wird? Wieso dürfen wir nicht mitentscheiden, wie sich Südtirol in Zukunft aufstellen wird? 

    Es reicht nicht, im Klimabürger*innenrat sechs Jugendliche mitreden zu lassen. Wir sind wütend und wir werden hoffentlich noch lauter. Liebe alte Menschen, hört uns doch mal endlich zu! Wir haben eine Meinung und wir können diese sogar begründen. Ihr braucht uns eigentlich nur zu fragen. 

  • Der Anlass

    In der aktuellen Ausgabe des Südtiroler Wochenmagazins ff sprechen Journalistin Alexandra Aschbacher und Verfassungsrechtler Francesco Palermo über die aktuelle Südtiroler Politik. Auf die Frage, warum die Politik nicht imstande sei, richtungsweisende Entscheidungen zu fällen, antwortet Palermo: „Weil die Menschen viele Jahre lang mit dieser Pragmatismus-Ideologie gefüttert wurden. Alles, was nach Ideologie klingt, ist schlecht. Im Vorfeld der EU-Wahlen beispielsweise wurde heftig über die Green-Ideologie geschimpft. Warum bitte? Wollen wir in eine Richtung gehen oder nicht? Das wäre eine Entscheidung, die der Politik zusteht. Wie bitte kann man ein Thema wie den Klimawandel pragmatisch angehen? Die Welt bricht zusammen, und die Antwort darauf lautet: Ein bisschen Klimaschutz ist okay, aber bitte nicht zu viel, denn dann wird es ideologisch.“ 

    Foto: SALTO