Einen Stempel aufgedrückt bekommen
Die Debatte über die Überprüfung der Deutschkenntnisse von Kindern mit Migrationshintergrund in deutschen Kindergärten Südtirols sowie der Vorschlag intensiven Deutschunterrichtes in gesonderten Gruppen (Salto Artikel „Auf dem Rücken der Kinder“ vom 24/01/2019) zeigt, dass es ein Informationsdefizit über die pädagogischen Prinzipien gibt, die dem deutschen Bildungssystem zu Grunde liegen.
Bildung ist strategisch ausgelegt und hat unter anderm auch das Ziel, die Entwicklung zu einer gesunden Gesellschaft zu fördern.
Im frühen Kindesalter nehmen Kinder alle Sprachen auf, die sie in ihrem Umfeld hören, und verständigen sich ganz auf natürliche Weise mit ihren Mitmenschen. Wenn Kinder unterschiedlicher Kulturen zusammen sind, tauschen sie sich untereinander aus. Sie lernen dabei nicht nur wie ihre Spielgefährten reden, sondern auch wie sie sich verhalten, wie sie angezogen sind und vieles andere mehr. Diese Eigenheiten werden als normal empfunden. Wenn die „Andersartigkeit“ als „Normalität“ verstanden wird, wage ich zu behaupten, wird sich das positiv auf den Integrationsprozess auswirken.
Wenn Kinder verschiedener Herkunft sich untereinander austauschen, erlernen sie die interkulturelle Kompetenz, die es in unserer globalisierten Welt braucht. Auf diese Weise stärken sie gleichzeitig ihre Sozialkompetenz. Dieser einleuchtende Sachverhalt ist so auch in den Rahmenrichtlinien des Landes für die deutschsprachigen Kindergärten (Beschluss der Landesregierung vom 8.11.2008, Nr. 3990) dargelegt.
Kinder reagieren sehr sensibel auf Ausgrenzung. Im Falle eines gesonderten Gruppenunterrichtes für Kinder, die die deutsche Sprache schlecht oder gar nicht kennen, kann der besagte Austausch in Kindergärten nicht reibungslos stattfinden. Außerdem steht eine Sonderbehandlung im Widerspruch zu den eben genannten gesetzlich verankerten Rahmenrichtlinien für den Kindergarten in Südtirol. Sie sind das grundlegende Arbeitsinstrument für pädagogische Fachkräfte in Südtirol.
So steht in der deutschen Schulbildung das Kind - so wie es ist - und seine Entwicklung im Mittelpunkt des Lernprozesses. Eine gesonderte Behandlung birgt die Gefahr, dass die betroffenen Kinder sehr früh einen Stempel aufgedrückt bekommen. Sie gewinnen den Eindruck, dass sie „anders“ sind und dass sie, so wie sie sind, nicht zur Gruppe dazugehören können. Das wirkt sich negativ auf die Psychologie des Kindes aus.
Jedes Kind will so akzeptiert sein wie es ist, mit oder ohne Migrationshintergrund. So wird es im Selbstvertrauen gestärkt, wird Teil der Gesellschaft, in der es sich auch aktiv einbringen will. Denn jeder Mensch - Kind wie Erwachsener - hat das Grundbedürfnis von der Gesellschaft akzeptiert zu werden und seine Kompetenzen zu zeigen.
Auf dem Bildungsweg ist die soziale Eingebundenheit eine der notwendigen Voraussetzung für das Wohlbefinden und eine positive Identitätsentwicklung des Kindes.
Die Entwicklung der Identität beginnt ab der Geburt, wenn nicht schon im Mutterleib. In den ersten Lebensjahren läuft die Entwicklung rasant ab, daher ist eine angemessene Begleitung des Kindes unumgänglich. Insofern tragen Pädagogen einen Teil der Verantwortung in diesem Prozess – wohlgemerkt nur einen Teil - davon. Weitere wesentliche Verantwortungsträger sind die Familienmitglieder des Kindes und nicht zuletzt die unmittelbare Gesellschaft. Auch dies steht alles in den Rahmenrichtlinien.
Zur Sprachentwicklung selbst ist zu sagen, dass normalerweise jene Sprache, welche im Umfeld des Kindes am stärksten vertreten ist, dann auch am besten beherrscht wird. Bevor das Kind mit Migrationshintergrund oder einer italienischen Familie in den Kindergarten kommt, ist es natürlich die Sprache der Eltern, die es am besten versteht und in der es sich ausdrückt. Das wird sich dann relativ bald zugunsten der Sprache ändern, welcher das Kind in Folge am meisten ausgesetzt ist.
Müssen wir Angst davor haben, dass Kinder aus deutschsprachigem Hause im Kindergarten Deutsch verlernen? Wohl nicht! Wenn schon das Umfeld außerhalb des Kindes hauptsächlich deutsch ist, sollte es im Gegenteil begrüßt werden, wenn das Kind im Kindergarten bereits mit der italienischen Sprache konfrontiert wird. Das wird ihm nur zu Gute kommen.
Wenn nun von der Gesellschaft selbst, d.h. aus der Dorfgemeinschaft des Kindes heraus, der Ruf nach gesondeter Behandlung von Kindern mit Migrationshintergrund laut wird, werden sie sich selbst verstärkt als „Ausländer“ wahrnehmen, anstatt als normale Mitglieder der Gemeinschaft. Eine solche Entwicklung kann der Integration nicht förderlich sein.