Schreiben unter Palmen
salto.bz: Sie haben Ihrem Alltag im winterlichen Wien den Rücken gekehrt und sind seit 10. Jänner als Writer in Residence der One World Foundation auf Sri Lanka. Nun ist ein Palmenstrand ein eher ungewöhnlicher Ort für ein Schreibdomizil. Wie sind Sie auf die Stiftung gestoßen?
Tanja Raich: Auf die One World Foundation bin ich über AutorenkollegInnen aufmerksam geworden. Es mag ein ungewöhnlicher Schreibort sein, aber das macht Schreibaufenthalte so spannend, eine längere Zeit an einem besonderen Ort zu verbringen, die Ruhe zu finden, um zu lesen, zu denken, zu schreiben. Mein Schreibdomizil, die Landschaft in Sri Lanka sind außerdem genau das, was ich für meinen Roman gesucht habe. Manche Begebenheiten habe ich literarisch sogar genau so formuliert, wie ich sie jetzt wirklich hier erlebe. Zum Beispiel laufen und springen nachts die Languren über mein Dach. Eine Szene, die zu Beginn meines Romans vorkommt, an dem ich hier schreibe.
Das von Robert Menasse kuratierte Writer-in-Residence-Programm der One World Foundation vergibt Stipendien an Autor*innen (bisher u. a. an Maja Haderlap und Ilja Trojanow), die an transnationalen oder transkulturellen Projekten arbeiten bzw. „von einer Welt erzählen, die wir alle teilen, aber nicht unbedingt kennen“. Erzählen Sie uns mehr über das Projekt, mit dem Sie sich für das Stipendium beworben haben.
Ich schreibe hier an einem Roman, der auf einer tropischen Insel spielt. Eine Frau lebt allein im Süden der Insel. Man weiß nicht, woher sie gekommen ist, warum sie hier ist oder welche Absichten sie verfolgt. Meilenweit von ihr entfernt leben die anderen. Was als Paradies begonnen hat, entwickelt sich allmählich zum Alptraum. Die Blätter der Bäume färben sich schwarz und zerbröseln zwischen den Fingern. Am Ufer liegen tote Fische. Die Sterne fallen vom Himmel. Die Nahrung wird knapp. Alles deutet auf einen nahenden Untergang hin. Doch anstatt sich im Angesicht des Untergangs und der zunehmenden Ressourcenknappheit beizustehen, verhärten sich die Fronten zwischen Norden und Süden. Im Roman verarbeite ich Mythen, Glaubenssysteme, beschäftige ich mich mit Sicherheit und Angst, Macht und Ohnmacht, es ist ein Spiel mit der Wirklichkeit, mit der Erinnerung, mit der Zeit, ein Ausloten von Grenzen, die Suche nach dem Fremden, das nicht draußen zu suchen ist, sondern vielmehr festsitzt in uns und ausbricht, sobald die Angst überhandnimmt.
Nun ist der Ansitz, auf dem Sie auf Sri Lanka derzeit wohnen, nicht nur eine Schreibresidenz, sondern beherbergt gleichzeitig auch ein Programm für Künstler*innen, ein Ayurveda-Resort sowie eine teils durch Spenden finanzierte Schule, in der auch Volontär*innen unterrichten. Wie empfinden Sie die Atmosphäre vor Ort?
Das Resort an sich ist ein sehr familiärer Ort, an dem hauptsächlich Gäste aus Österreich, Deutschland und der Schweiz zu Besuch kommen und eine Ayurvedakur machen. Die Einnahmen fließen in die Finanzierung der Schule. Durch den Tsunami 2004 wurde fast alles zerstört, das Resort und die Schule mussten neu aufgebaut werden. Heute gehen aber mehr als 1000 Kinder hier zur Schule, es gibt sogar eine Fotografieklasse, Computerklasse und Schneidereiklasse. Das Niveau ist höher als in staatlichen Schulen, die AbsolventInnen erhalten dadurch oft bessere oder führende Positionen in Unternehmen, manche werden selbst LehrerInnen der Schule der OWF oder arbeiten im Resort. Es kommen oft Menschen hierher, die Projekte in der Schule initiieren, unterrichten oder anderweitig unterstützend zur Seite stehen. Drei Mal täglich gibt es eine lange Tafel, an der die Gäste des Resorts zusammensitzen und sich austauschen. Es soll ein Ort der Begegnung sein. Das Herz davon bildet die Gründerin der Stiftung Kathrin Messner, die nicht nur einen wundervollen Arbeitsplatz und Ort der Bildung geschaffen hat, sondern selbst eine positive Energie ausstrahlt, die inspirierend ist und zu neuen Projekten und Ideen anregt.
Gleichzeitig ist der Ort ein Ruhepol. Die von Carl Pruscha und Varuna de Silva entworfenen Bungalows sind wie Oasen, umgeben von wundervollen Gärten mit Palmen und Bananenbäumen, Orchideen, Hibiskus und Frangipani. Ein Ort, der entschleunigt und auch ohne Ayurvedakur wohltuend ist, neue Räume für Kreativität aufmacht. In meinem Freiluftschreibzimmer wächst eine Bougainvillea, auf der jeden Tag neue Vogelarten landen, Streifenhörnchen über die Bäume klettern, Affen in den Bäumen sitzen. Ein Ort, der die Natur wieder näher rückt.
Sie arbeiten noch bis Ende Februar in diesem kleinen Paradies am neuen Manuskript, danach kommen Sie gerade rechtzeitig zum Erscheinen Ihres Debütromans „Jesolo“ zurück nach Wien. Wie fühlen Sie sich im Hinblick auf diesen wichtigen Moment?
Ich bin schon sehr gespannt, was mich alles erwarten wird, wie das Buch angenommen wird, es ist eine Mischung aus Aufregung, Freude und Ungeduld. In Südtirol werde ich „Jesolo“ übrigens am 23. April in meinem Heimatort Lana und am 24. April im Rahmen der „Tage des Buches“ in Brixen präsentieren. Darauf freue ich mich besonders.
Sie haben bereits mehrere Stipendien und Literaturpreise bekommen und in verschiedenen Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Wie groß war da der Schritt zum ersten Roman?
Schreiben bedeutet viel Geduld. Man schreibt viele Jahre an Kurzgeschichten, kürzeren Texten, publiziert da und dort. Man ist jahrelang hauptsächlich mit Absagen und Niederlagen konfrontiert, aber all das gehört dazu, jeder Text ist ein kleiner Schritt, mit dem sich Themen und Sprache formen, man Dinge ausprobieren kann. Beim Roman muss man sich dann festlegen, auf eine Perspektive, auf einen Ton, muss man ein Thema finden, an dem man auch nach jahrelanger Arbeit noch dranbleiben will.
Im „Brotberuf“ sind Sie Programmleiterin im Bereich Literatur beim Wiener Verlag Kremayr & Scheriau. Ist das Pragmatismus oder doch ein Wunschberuf?
Mein absoluter Wunschberuf, den ich um nichts in der Welt wieder aufgeben würde. Es macht mir irrsinnig viel Spaß, neue AutorInnen zu entdecken, Projekte zu begleiten, zu konzipieren und mir auch gestalterisch immer wieder was Neues zu überlegen. Ich habe allerdings seit einiger Zeit meine Arbeitsstunden reduziert, ansonsten wär es mir unmöglich, ein größeres Projekt zu Ende zu bringen, auf Lesereise zu gehen oder sonstige Projekte anzunehmen.
Wie schwer fällt es Ihnen, die Sie normalerweise selbst den Rotstift ansetzen, Ihr eigenes Manuskript aus der Hand zu geben und von jemand anderem lektorieren zu lassen?
Ich bin vor allem gespannt, wie eine andere Lektorin arbeitet und froh, dass jemand von außen einen Blick darauf wirft. Man wird ja tatsächlich blind für den eigenen Text, wenn man so lange daran arbeitet. Es fällt mir schwerer bei anderen Dingen, die ich normalerweise in der Hand habe: das Layout, der Umschlag, die Organisation. Ich übe mich noch darin, mich zurückzulehnen und den Verlag arbeiten zu lassen.
Sie haben gesagt, Sie haben Ihre Arbeitsstunden im Verlag etwas zurückgefahren, um Platz fürs Schreiben zu haben. Eine anderthalbmonatige Auszeit zum Schreiben ist aber doch nochmal etwas anderes, das Verlagsprogramm kann ja nicht so einfach pausiert werden. Wie gelingt Ihnen das? Erhalten Sie von Ihren Kolleg*innen den entsprechenden Rückhalt?
Zum einen ist es eine Frage des Zeitmanagements, zum anderen übernehmen meine KollegInnen. Manche Projekte vergebe ich extern. Wir sind ein großartiges Team und haben, dank unseres Verlegers, der uns bei eigenen Projekten unterstützt und ermutigt, relativ flexible Arbeitsweisen und Arbeitsbereiche. Es sind ja nicht nur Schreibaufenthalte, sondern auch längere Auslandsaufenthalte, Fortbildungen, Elternkarenz und Bildungskarenz, bei dem KollegInnen für längere Zeit ausfallen.
Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass man gerade in den Zeiträumen, die man sich fürs Schreiben freischaufelt, auch pünktlich von der Muse geküsst wird. Wie gehen Sie damit um? Hilft da Disziplin? Oder ein Spaziergang um den Block?
Schreibaufenthalte sind dahingehend meine Lebensrettung. An anderen Orten habe ich eine ganz andere Ruhe, einen freien Kopf, um zu denken, mich der Recherche zu widmen oder neue Texte zu beginnen. Im Alltag finde ich das oft schwierig, auch wenn ich mir Schreibzeit geschaffen habe. Die Schreibzeit geht nämlich dann oft für Organisatorisches drauf, das man auch nicht unterschätzen darf. Gerade wenn ein Buch erscheint, fällt vieles an, das vom Schreiben abhält. Terminkoordination, Korrekturen, Interviews und viel anderes. Ich versuche mir eine Art Schreibraum zu schaffen, den Ort zu wechseln, den Schreibtisch freizuräumen oder mit dem Notizbuch hinauszugehen, irgendwo in die Natur, wo es ruhig ist. Schreiben erfordert sehr viel Selbstdisziplin und ist selten mit Freude verbunden. Man kämpft sich ja eigentlich von Satz zu Satz und ist nie zufrieden mit dem, was man geschrieben hat. Verbindliche Deadlines helfen mir meist, um Texte abzuschließen.
Knapp ein Monat Sri Lanka liegt noch vor Ihnen. Hand aufs Herz: Sitzen Sie jeden Morgen brav am Schreibtisch oder geben Sie manchmal der Verlockung nach, einfach am Strand zu liegen oder ein wenig die Insel zu erkunden?
Natürlich gehe ich auch an den Strand und reise durch Sri Lanka. Schreibaufenthalte sind dazu da, das Land kennenzulernen, zur Ruhe zu kommen. Ich nutze meist den Vormittag und die Nacht zum Arbeiten und dazwischen mache ich Ausflüge. Schreiben kann man nur mit Einflüssen von außen, neuen Begegnungen und Erfahrungen. Meine besten Ideen habe ich meistens am Strand, mit dem Notizbuch in der Hand und Blick auf das Meer. Das Schöne an einem Schreibaufenthalt ist, dass man gedanklich immer beim Schreiben ist und Ideen weiterspinnt, auch wenn man grad unter der Dusche steht oder im Tuk-Tuk über die Insel rast.