Cultura | Salto Afternoon

Der Wunsch eines neuen Endes

In „Ende Neu“ von Veronika Riz, dem gestern Abend uraufgeführten Tanz- und Performancestück steht unsere alltägliche Beziehung zur Technik auf dem Prüfstand.
„Ende Neu“
Foto: Ivan Bortondello
Was sich in den vorab zu lesenden Programmtexten nach noch wie ein mögliches Kammerstück liest, ist auf der Bühne aber groß angelegt: Die Liste der beteiligten ist lang und während das letzte Stück „Trequanda“ noch ein räumlich klar und stark begrenztes Stück im großen Kontext (Stichworte: Klimawandel, Live-Orchester und Naturgewalten) war, scheint „Ende Neu“ ein großes Stück im kleinen häuslichen Kontext zu sein. Statt in einem Chalet bewegen wir uns im Setting einer Wohnung, die über Videos (Nuno Escuderio) auf großem Hintergrund evoziert wird.
Die Außenwelt, die nur beim Öffnen der Balkontüre oder Fenster eindringt ist durch grelles Licht und künstliche Drone-Sounds (Video Sound: Stefano Bernardi, Pierluca Ditano) ausgeklammert. Es ist eines von vielen Dissoziation-Symptomen, die der Rückzug in digitale Welten mit sich bringt: Alles ist laut und hell und überfordert einen für einen Moment lang bei Wiedereintritt ins echte Leben.
 
 
Die Bühne selbst ist leicht erhöht und stellenweise, aufgrund des flachen, weitläufigen Publikumsraums schlecht einzusehen. Besonders schmerzlich ist dies aufgrund des Umstandes, dass die Choreographie von Veronika Riz einige Bewegungen des Kollaps, der Wiederaufrichtung und in Bodennähe vorsieht. Da sieht man dann oft nur den Kopf oder die Schultern der Person vor einem. Die vier Tänzer teilen sich die große Bühnenfläche, die seitlich von der Decke schwebenden silbernen Sphären flankiert wird, die auch auf der Bühne liegen und in ihrer Deutung trotz Kontakt zu den Tänzern. Nach vorne hin begrenzt die Bühne ein Netzvorhang, der sich bei den Video-Intermezzi hebt, die integral Teil des Stückes sind. Die Tänzer sind im Netz, nella rete oder in the net, das Publikum sieht von außen zu. Sie brechen die tänzerischen Bewegungen auf und ermöglichen den Übergang von einem Gestik-Vokabular ins nächste.
Getragen wird alles von einem herausragenden Soundtrack, der wie der Titel des Stücks, auch an Einstürzende Neubauten denken lassen könnte. „Ende Neu“ hieß das 7. Studioalbums der Band von 1996 und dessen Titel-Track, die Musik von Matthew Herbert vor Ort live von einem Trio performt, bestehend aus Eren Solak (electronics), Jozef Dumoulin (keyboards/electronics) und Eric Thielemans (percussion/electronics) die einen Klang zwischen Industrial und Drone-Music erzeugen. Mal sorgt man für Tempo und Druck, der von den Tänzern in explosive Beschleunigung umgesetzt wird, mal nimmt man die Geschwindigkeit heraus und schafft eine zeitliche Dimension, die ein Einordnen der raschen Abläufe ermöglicht.
 
 
Die Untersuchung der Technologie, welche auf der Bühne einen gewisse anwesende Abwesenheit hat, wirkt, als wäre sie durch die Linse der Generation Y bis Z erfolgt, auch durch das Alter der Tänzer Adaya Berkovich, Seungmin Kang (vertritt aus gesundheitlichen Gründen Lena Kilchitskaya), Gabriel Lawton und Marcin Motyl, die in Statements aus dem Nicht-Ort der Wohnung sprechen. Die Aufmerksamkeit der Tänzer tanzt mit, mal durch das verschließen der Augen und blindes Ausmessen der Räume und mal durch die Richtung des Blickes, der sich versucht spiegelnden Flächen, die gleichzeitig Körper-Dysmorphien erzeugen, zu entziehen.
Am Ende ist „Ende Neu“ zu multimedial, dass man noch von Tanz sprechen könnte. Die multimediale Performance wirkt und wirkt gleichzeitig zu groß, das Netz vor der Bühne überhöht allegorisch das Geschehen, lässt mit existenziellem Zweifel und gerade Sprecheinlagen wenig Empathie zu: „I am looking for love. I am searching for love. Where is the love. I love myself“ ist ein Zeugnis symptomatischer Einsamkeit, klingt aber gleichzeitig in zur Legitimation gedachten vielfachen Wiederholung auch erschreckend nach dem Anspruch eines Incels.
Man wirft noch weitere Ideen an die Leinwand und auf die Bühne, so dass die Themen changieren. Gaming zur Überbrückung der Einsamkeit wird einen Moment lang als „total escapism“ behandelt und dabei (para-)soziale Komponenten ausgespart. Es geht wohl nur um Single-Player Spiele, Puzzle-Games im speziellen. Welche ist aufgrund des Versuchs, sämtliche Marken oder wiedererkennbaren Merkmale, welche das Stück über den Kontext einer Wohnung hinaus verorten würden, unklar.
Das Thema erhält aber das wohl poetischte Bild des Abends: Ein Bündel aus Schuhen, an den Bändern verzopft wird von einem Tänzer in Bewegung gebracht, die Drehung um die eigene Achse das Schwung holen eines Hammerwerfers, das Netz zum Publikum hin erhält eine neue Bedeutung. Ein Wechsel in der Musik lässt den Hammerwerfer ruhen und das Sportgerät achtlos liegen bleiben, bis eine der Tänzerinnen es aufhebt und in liebevoller Geste hält. Die Smartphones, Tabletts und Computer mit denen wir uns umgeben werden nicht als das absolut Böse dargestellt und auch nicht über das, was sie gegenwärtig sind, hinaus stilisiert. Es wird ein problematisches Verhältnis thematisiert und offen gelegt, es wird kein Universalrezept geboten und auch keine übergeordneter Spannungsbogen.
 
 
Ganz am Ende widmet sich das Stück explizit Avataren und der Bewegung im digitalen Raum, es klingt ein Bisschen nach den Träumen von Mark Zuckerberg für sein Metaverse. Dann macht man vor einer Neuaushandlung der Beziehung Mensch zu Technik halt und macht es sich eine Spur zu einfach: Man zieht den Stecker.