Cultura | Salto Afternoon

„…sieh du mich an, ich sehe dich an“

Gregor Krammer, Experte in Sachen Voguing und Posterperson der „Rocky Horror Show“ der VBB zeigt, was es bedeutet queer zu sein, auf und abseits der Bühne.
Rocky Horror Show, Gregor Krammer
Foto: Nikolaus Ostermann
An diesem Samstag wagt die VBB den doppelten Brückenschlag nach vorne und zurück. Für Rudolf Frey ist es so etwas wie ein Einstand, da der Musiktheater-Spezialist, der mit der kommenden Spielzeit die Intendanz des Hauses übernimmt, die Regie übernimmt. Gleichzeitig wird auch an ein Stück Geschichte erinnert, da 1995 schon einmal das Musical gespielt wurde, welches international, aber auch hier, auf regionaler Ebene, einen gewissen Kultstatus genießt. Mit dabei bei der „Rocky Horror Show“ ist Gregor „plenvm“ Krammer, der sich bei der Choreographie um die Vouging-Elemente kümmert und als eines der Phantoms auf der Bühne mittanzt. Wir haben ihn zwischen den Proben getroffen.
 
Herr Krammer, es wird „gevoguet“ auf der Bühne und als Choreograph sind Sie für diese Elemente zuständig. Was genau können sich darunter die Besucher:innen, die mit dem Begriff vielleicht nichts anfangen können, vorstellen?
 
Gregor Krammer: Ich bin einer der beiden Choreographen, der andere ist Marcel Leemann. Das Voguing ist mein Fachgebiet und ist Teil der größeren Ballroom-Kultur, in der es sehr wichtig ist, sich selbst zu bejahen und zu behaupten. Ballroom ist eine Kultur der Queeren-, Schwarzen- und Latino-Personen aus New York, die in der Mehrheitsgesellschaft keinen Anschluss fanden. Da hat Voguing, das glamouröse Posieren, wie in Magazinen oder auf Bühnen, auf welche sie nicht konnten, eine Möglichkeit geboten um zu sagen „…genau so wie ich bin, passe ich und wenn man mir die Möglichkeit gibt, kann ich auch ein Superstar sein!“.
Voguing hat auch eine Komponente, die sehr sehr roh und emotional ist, dadurch. Das geht ins Gesicht, ist nahbar und wir sitzen auf Augenkontakt mit dem Publikum. Wir stehen auf der Bühne und spielen zum Publikum hin. Es geht darum, in Kontakt zu treten und zu sagen „…sieh du mich an, ich sehe dich an“. Wir sehen uns gegenseitig.
 
Das Voguing kam in den 80ern auf, gleichzeitig handelt es sich um eine Rückkehr zu einer frühen Produktion der VBB, von 1995. Wie „modern“ ist die Aufführung, oder ist es mehr eine Rückbesinnung auf etwas, was damals zu wenig Sichtbarkeit hatte?
 
Was die Inszenierung anbelangt sind wir sehr weit entfernt von etwas, das man als „Highlight Reel“ bezeichnen könnte, was oft bei Musicals passiert, die wie die „Rocky Horror Show“ einen Kultstatus erhalten haben. Wir sind sehr, sehr brisant in der Interpretation. Vogue hat sich seitdem auch stark entwickelt und es gibt auch sehr viel neuere und aktuellere Formen. So gibt es zum Beispiel nicht nur das „Old Way“, sondern auch etwa das „Vogue Fem“, wo das Zelebrieren einer Hyper-Femininität im Vordergrund steht. Da geht es natürlich auch darum, dass - wenn man sich in Bozen umschaut - diese Queerness sehr unsichtbar ist. Ich bin doch schon zum vierten Mal hier und es hat sich in sieben Jahren nichts geändert. Es gibt keine Orte, es gibt keine Möglichkeiten. Wenn ich in meinem Proben-Gewand spazieren gehe und Kommentare bekomme - zum einen „Wow!“, aber auch sehr viele Seitenblicke - dann kann das hier, auf der Bühne, einmal Leben finden und inspiriert die Menschen hoffentlich auch dazu, im Alltag mehr zu sich zu stehen; in einem heutigen Alltag und nicht nur im Sinne von „…war das schön, damals“.
 
 
Was würde es seitens der Gesellschaft brauchen, dass diese Seitenblicke wegfallen und diese Kultur auch vom Mainstream angenommen und akzeptiert werden würde?
 
Ich frage mich, ob eine Akzeptanz etwas ist, das man von außen anbringen kann, oder ob das etwas ist, was von innen kommen muss. Man muss sich einfach mal eingestehen, dass Menschen in ihrer Vielfalt existieren und dass das nichts mit einer Wertung zu tun hat, sondern ist, wie es ist. Es ist ein gewisser Luxus sich zu fragen, ob gewisse Menschen existieren sollten oder nicht. Dieser Luxus steht uns als queeren Menschen nicht zu, weil wir uns in der Diversität einfinden müssen. Ich habe mich von diesem Wunsch der Akzeptanz bereits entfernt, man kann mir das einfach nicht absprechen, dass ich genau wie jemand anderes in dieser Welt existiere. Deshalb zeige ich mich, wie ich bin.
Wir haben ja auch ein Fotoshooting auf den Talferwiesen, sind aber zuerst mal quer durch die Stadt spaziert. Ich denke dass es einfach darum geht, Identifikationsbilder im Alltag zu finden und zu merken, das sind Menschen, die genau wie alle anderen, Hoffnungen, Wünsche und Träume haben. Da wird die Ikone dann oft zu sehr romantisiert. Das brauchen wir auch in den Medien - und die Bühne ist ja auch ein Medium - aber wir sind nicht nur „Creatures of the Night“ oder Figuren, die auftreten und dann verschwinden. Wir existieren, wie alle Menschen, 24 Stunden am Tag.
 
Karl Jung ist auch schon länger her und seinen „Schatten“ kennen wir mittlerweile schon. Dass er existiert und einen Ausdruck finden muss, der kathartisch ist, ist in der queeren Community schon etwas mehr angekommen...
 
Zur Repräsentanz in den Medien: Es ist oft auch so, dass in der LGBTQ-Community eine Identifikation mit oder Sympathie für negativ oder ambivalent besetzte Figuren entsteht: angefangen etwa bei Cruella de Vil…
 
…oder Frank’n’Furter…
 
...wenn man das kritisch lesen will, was bedeutet es, ob queere Menschen in Geschichten nun die „Guten“ oder die „Bösen“ sind?
 
Ich denke, je mehr wir uns auf Diversität einlassen, umso mehr können wir auch aus diesem binären Denken auch herauskommen. Besonders ambivalente Charakter werden von der queeren Community deshalb so angenommen, weil sie irgendwo auch die Vielfalt des Seins spiegeln. Cruella de Vil etwa hat ja nicht abgrundtiefe Motive, die sie dazu verleiten dann abgrundtiefe Dinge zu tun. Genauso wie Frank ja auch nicht unbedingt der Bösewicht ist, sondern auf verschiedensten Abwegen da hin kommt, wo er hinkommt. Ich habe das Gefühl, dass sehr oft in der Medienwelt die Frage, was gut ist und was nicht, wiedergekäut wird. Da können wir uns als Gesellschaft einen Schritt weiterbewegen und uns eingestehen: Das ist alles in uns.
Karl Jung ist auch schon länger her und seinen „Schatten“ kennen wir mittlerweile schon. Dass er existiert und einen Ausdruck finden muss, der kathartisch ist, ist in der queeren Community schon etwas mehr angekommen, weil wir grundsätzlich, für unser Sein schon dämonisiert werden. Dem entsprechend ist eine Auseinandersetzung mit diesen Themen etwas leichter. Schwerer ist das, wenn ich mich auf Fantasien von Frau-Haus-Kind stürze und alles, was nicht in diesen Rahmen passt in mir selbst unterdrücke, was ich natürlich auch kenne. Ich habe Wurzeln in Bozen und kenne etwas von der queeren Geschichte hier, sowohl über Individuen, als auch dadurch, dass ich mich etwas eingelesen habe. Es passiert hier leider noch sehr oft: Es wird viel verdrängt, unterdrückt, unter den Teppich gekehrt und nach Oberbozen oder Wien verschoben.
 
Er meinte, wir können auch noch was, hätten Talent und Ausstrahlung und als er mich abgepasst hatte um hallo zu sagen, meinte er „…und freundlich sind sie auch noch!“
 
Woran denken Sie, wenn Sie sagen, es wird etwas nach Oberbozen verschoben?
 
Ich habe an den Film „Hochwald“ gedacht, in dem ein Junge in Oberbozen als Kellner arbeitet und seine queeren Gefühle erkennt, da sagt ihm ein Kollege: „Geh nach Wien, da sind eh alle schwul.“ Was hier akzeptiert wird und was nicht, das ist doch noch ein sehr enger Rahmen, was aber nicht heißt, dass Menschen hier nicht in all ihrer Vielfalt existieren. Dadurch stellt sich immer wieder die Frage, wo wir nicht hinsehen, was verdrängen wir, als Gesellschaft. Dazu eine Anekdote: Bei Schulvorstellungen wirke ich ja auch mit, ich habe dabei einen jungen Erwachsenen kennen gelernt, der meinte, wir wären auf der Bühne seine erste queeren Repräsentations-Figuren gewesen. Er meinte, wir können auch noch was, hätten Talent und Ausstrahlung und als er mich abgepasst hatte um hallo zu sagen, meinte er „…und freundlich sind sie auch noch!“ Da gibt es auch noch falsche Bilder davon, was eine queere Person ist. Das ist zunächst einfach mal eine Person. Ich denke, da sind wir auf bestem Wege durch unser Stück eine Nahbarkeit zu erzeugen.
 
 
Es gibt schon lange - seit 1919 mit „Anders als die Anderen“ - homosexuelle bzw. queere Filme, es dauerte aber mehrere Jahrzehnte, bis man vom Tragischen wegkam. Wie wichtig ist, dass man Geschichten mit Happy End hat?
 
Ich denke, das ist sehr wichtig, denn wir können immer nur die Geschichten wiedererzählen, die wir auch schon von irgendwo kennen. Es ist doch so, dass viele der Dinge, die wir im Alltag reproduzieren damit zu tun haben, was für Glaubenssysteme wir haben und diese bauen sich ja auch durch Geschichten auf. Ich denke, der nächste Schritt den wir zu machen haben ist, unsere eigenen und neuen Geschichten auch zu erzählen. Ich sehe das auch im Theater, dass wir uns in diese Richtung bewegen und wir sagen, dass einige dieser Geschichten nur mehr historisch relevant, aber nicht mehr zeitgemäß sind. Egal wieviel man da mit Regie und Inszenierung probiert, es sind Themen die sich dahin entwickelt haben, dass eine neue Geschichte erzählt werden muss.
Bei „Rocky“ sind wir etwas auf der Brücke, dazwischen. Da sind natürlich auch Dinge, etwa verwendet man das Wort „Transvestit“ nicht mehr und „Sweet Transvestite“, das ist einer der größten Hits in dem Stück. Wir bewegen uns da zwischen diesen Welten - auf der einen Seite die Frage, woher kommt es, auf der anderen Seite eine neue Generation, die sagen möchte, das ginge alles nicht mehr. Ich glaube, es ist wichtig das Stück historisch aufzubauen, damit wir wissen, woher kommt es und wohin geht es, auf Grund dessen, dass wir wissen, was schon passiert ist.
 
Es findet ja auch eine gewisse Aneignung durch die Communities statt, wo Außenstehende, die sich akademisch damit befassen sagen, dieser oder jener Stoff sei problematisch, während die Community selbst etwas gut findet und feiert. Wie kommt das?
 
Ich sehe genau das, was Sie da gerade gesagt haben. Ich operiere unter dem Glaubenssatz, dass wenn jemand an der Seitenlinie steht, er nicht zu sagen hat, was am Feld passiert. Es gibt dann vielfach eine Intellektualisierung von Themen, die in der Lebenswirklichkeit anders aussehen. Da gibt es, wieder beim Voguing, ein wunderbares Beispiel. Bei Wettbewerben gibt es die Kategorie der „Realness“, in der sich Menschen so darstellen, wie sie nicht sind: Transmenschen stellen sich so dar, dass sie nicht als trans wahrgenommen werden, Leute die einen gewissen Job nicht haben, stellen sich so dar und kleiden sich so, als hätten sie ihn und homosexuelle Frauen oder Männer stellen sich so dar, als wären sie heterosexuell. Da gibt es dann auch oft von außen die Unkenrufe, ob das noch zeitgemäß sei und ob es das noch brauchen würde. Die Lebensrealität eines queeren Menschen zeigt, ja, das braucht es. Die Möglichkeit diesen Codeswitch zu betreiben ist oft ein Überlebensmechanismus. Das heißt nicht, dass man das in seinem gesamten Leben macht und man misst dem auch keine Wertung bei, dass es besser oder schlechter wäre als etwas anderes. Das heißt einfach nur, dass es eines von vielen Werkzeugen ist, die man als queerer Mensch nutzt. Ich denke mir schon, dass da vielfach im Elfenbeinturm von Dingen gesprochen wird, die auf der Straße ganz anders aussehen.
 
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Sigrid Pernthaler Dom, 05/07/2023 - 16:28

Gestern hat mich eine Freundin zur Premiere eingeladen. Ich mag queere Menschen, ich mag Tanz und Musik. Aber wir haben es bis zur Pause fast nicht ausgehalten, trotz brillanter Kostüme kam es uns banal und langweilig vor und wir sind bei Halbzeit entfleucht. Vor 25 Jahren hat mir das Stück (damals im inzwischen verschwundenen Uni-Park) gefallen. Liegt es an mir?

Dom, 05/07/2023 - 16:28 Collegamento permanente