Cultura | Salto Weekend

Emotionale Zugänge zum Emotionslosen

Sieben Künstler:innen sind der Einladung von Kuratorin Adina Guarnieri nach Kastelruth gefolgt, um die kleine Themenausstellung „ROCKY!“ im Ansitz Laechler zu gestalten.
ROCKY!
Foto: ROCKY!
Im oberen Stock ein Trachtenmuseum, angrenzend hinter einem Raumtrenner eine Nostalgie-Ecke mit alten Skiern und Nippes: Die (un)wahrscheinliche Nachbarschaft einer Kunstausstellung am Dorf. Dennoch sind die Räume im unteren Stock des ältesten Gebäudes in Kastelruth, für die eine Nutzung als Lager angedacht war, ein denkbar guter Ort für Kunst. Die Sieben, das sind Walter Blaas, Letizia Werth, Manuel Oberkalmsteiner, Nadia Rungger, Benjamin Obkircher, Paolo Profaizer und Simone Eissrich. Ihnen stellte sich die Herausforderung einen emotionalen Zugang zum metaphorisch und physisch Gefühllosen zu finden.
Blaas steuert Marmorarbeiten bei, eingangs in Bezug auf die Einstein Maxime zum Vierten Weltkrieg in Keulen-Form aus Laaser Marmor und auch in zwei weiteren Exponaten mit Widersprüchen spielend: „Segments“ sind zwei verstellbare, aus Marmorquerschnitten gearbeitete Ketten, welche den Stein auch für das Publikum formbar machen; „Trauerflower“ zwei mal zwölf florale Fotoarbeiten als Werkgruppen jede mit einer Nische für sich. Die abgebildeten Blumen sind keine echten, sondern Friedhofsblumen aus Plastik, gedruckt auf Marmor-Platten, die bei näherer Betrachtung durch das Motiv hindurch schimmern, von Weitem den Effekt verlieren. Ein Spiel mit Konnotationen von Material und mit Beständigkeit - die Plastikblumen stehen auch für eine Trauer, die nicht endet.
 
 
Auch eingangs zu sehen zwei der drei Gedicht-Arbeiten von Rungger: Zum einen eine Mise en Abyme, ein Blick ins bodenlose, da Stein sowohl Material, als auch Objekt bezeichnet „Stein im Stein im Stein im…“, zum anderen ein Gedicht auf deutsch und ladinisch Seite an Seite. In letzterem wird mit Redewendungen gespielt, ein Stein an verschiedenen Orten beschrieben und damit in Bewegung gebracht und endet als Stein - oder Sas - im Schuh. Das dritte Gedicht, in einem der beiden Seitenräume fällt durch seinen Rhythmus auf, der weder die strukturierte Wiederholung, noch die Anapher des zweisprachigen Textes hat, sondern mit seinen Zeilenumbrüchen holpert und poltert wie ein losgetretener Stein und somit beim lesen, von oben nach unten kinetisches Potential entfalten kann.
Obkircher, Hobbyfotograf, steuert desorientierende Fotoarbeiten bei. Der Stein füllt dabei das Bild aus, Bezugspunkte wie ein Horizont fehlen bei den Aufnahmen von Höhlen, Close-Ups, versteinertem Holz oder Imperfektionen und Flechten im Göflaner Marmor. Die Geometrie des Steins, Linien und Brüche ersetzen diese und so hat man das Gefühl, im Stein auf Landschaftssuche gehen zu können.
Werth nähert sich in ihren Bildern auch über den Aspekt Landschaft dem Thema Stein. Ihre Nass in Nass mit Chinatusche gestalteten Bilder nutzen dabei den Effekt, mit welchem die Tusche verläuft um Flusslandschaften zu zeichnen, Berge und Wälder, wie auch Felsen im Bachbett, das Weiß der Seite bildet den negativen Raum des Wassers, welches den Stein formt. Im Kleinen wirkt dieses kapillare Ausblühen der Tusche wie die oberste Ebene einer Mandelbrot-Menge, in einem großen Druck einer der Arbeiten gewinnt es, zu seinem Nachteil, an Schärfe.
Zwischen den Räumen steht „Über den Dingen“ von Eissrich, drei 120 Kilo Skulpturen, für welche die Künstlerin in einem nahegelegenen Steinbruch auf die Suche nach drei Findlingen ging. Das Übersehene und die „Einsamkeit“ der Steine, die alleine in der Landschaft liegen und oft in ihrer Materialität fremd vom umliegenden Gestein sind interessierte die Künstlerin. Für die drei auserwählten Steine ließ die Künstlerin Betonstelen gießen, welche die Objekte etwa auf Augenhöhe bringen und Sichtbarkeit verleihen. Da sie in den noch feuchten Beton gepresst werden, entsteht eine Kuhle und damit ein Platz für die deplatzierten Steine. Eine symbolisch liebevolle Geste für ein Objekt der Gleichgültigkeit.
Der zweite Raum wird neben Einzelstücken der anderen Künstler von Profaizer bestimmt: drei Steinportraits an den Wänden bestechen in erster Linie durch ihre Sorgfalt in der Farbgebung, die auch durch natürliche Pigmente zu Stande kommt und welche das Gestein in seinem Wesen treffen und bestimmen. Jemand der mehr von Steinen versteht als ich, könnte sicher auf den ersten Blick erkennen, um welches Material es sich handelt. Auch eine politisch-historische Arbeit findet sich: Auf einer Originalkiste aus der Zeit, findet sich das „Optantenpaket“, ein verschnürter, reisefertiger Schlern, ebenfalls aus Beton gegossen, waren die ersten ausreisenden Optanten doch gerade die, welche kaum Gepäck hatten und nichts als die Schwere last der Berge.
 
 
Eine Sound-Arbeit von Oberkalmsteiner denkt das Ende der Berge im selben Raum: Mit verschiedenen Geräusch-Samples von Sand, die über drei Boxen miteinander verschnitten werden, ist überall in der Ausstellung ein Fingerzeig auf das Ende zu hören, da lauter, dort leiser. Die Unmöglichkeit der Umkehr der Erosion ist, was einem mitgegeben wird.
Zur Erschließung eines neuen Raumes ist der Kuratorin, den Künstlern und dem 2019 neu gegründeten Kulturverein Kubatur eine atmosphärisch dichte Ausstellung um einen thematischen Kern gelungen. Hoffentlich ist damit etwas ins Rollen gekommen.