Società | Nachgerufen

„Alex, du fehlst mir so sehr“

Eine Erinnerung an Alexander Langer von Claudia Roth, Kulturstaatsministerin a. D., Abgeordnete des Deutschen Bundestags. Zum 30. Todestag.
Alexander Langer, Claudia Roth
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser
  • Der 3. Juli ist ein Tag der Trauer – auch dreißig Jahre nach Alexanders Tod. Es ist ein Tag der Erinnerung an einen wunderbaren Menschen, an einen Tag der Fassungslosigkeit und der Frage: „Warum?“ 
    Alex war Grüner der allerersten Stunde. Er hat wie kaum ein anderer die Werte unserer grünen Partei – der deutschen, der europäischen, der italienischen – entscheidend geprägt. Maßgeblich war für ihn schon vor 40 Jahren die Ökologie. Er mahnte – und müsste es heute wohl immer noch tun –, dass der Mensch weder den Menschen noch die Umwelt oder Natur ausbeuten darf. Er hat die Frage nach Gerechtigkeit stets mit der ökologischen Frage verbunden, denn ohne Gerechtigkeit ist alles nichts. Er stellte die Demokratie in den Mittelpunkt, denn sie ist die Basis, von der unser Handeln erst möglich wird. 
     

    Er hinterließ uns einen kleinen Zettel mit der Botschaft: „Macht weiter, was gut war.“ Doch für uns blieb die Frage: Wie denn – ohne ihn? 


    Alex hat sehr früh den Wert der Gewaltfreiheit hinterfragt und immer wieder die Frage gestellt: Was bedeutet Gewaltfreiheit? Was bedeutet Friedenspolitik für eine Partei, die der Gewaltfreiheit verpflichtet ist, in Zeiten von Krisen, Kriegen, Konflikten, in Zeiten von Gewalt? Er war ein Intellektueller mit großem Herz und riesengroßem Verstand. Ein Vordenker und Visionär, ganz im Sinne von Ernst Bloch, der Visionen als das „Noch-Nicht-Seiende“ verstand. Alex hat sein ganzes Leben für die Veränderung unserer Welt eingesetzt. 
    Er war ein leidenschaftlicher Europäer. Alles an ihm war europäisch und „insieme“ – das italienische Wort war eines seiner Lieblingsworte. Nicht die Nationalstaaten können die Zukunft meistern, sondern ein gemeinsames, verbundenes, vereintes, offenes Europa. Er war Brückenbauer gegen jene, die immer wieder Mauern errichten wollten. Für ihn war das Mittelmeer sehr viel mehr als ein Meer. Er litt unendlich unter dem Krieg und der Gewalt im ehemaligen Jugoslawien. Fast verzweifelt versuchte er, zivilgesellschaftliche Organisationen, Freundinnen und Freunde beim „Verona Forum for Peace and Reconciliation in the Former Yugoslavia“ zusammenzubringen. Was es für die Realität der Menschen bedeutet, wenn ein Staat zerbricht und alte Feindbilder zurückkehren, hat ihn umgetrieben. Das war für ihn ein zentrales europäisches Thema.
    Er war ein unglaublich fleißiger Politiker: korrekt, klar, pünktlich. Wenn andere noch schliefen, war Alex schon am Arbeiten; wenn andere abends beim Essen saßen, war Alex bis weit nach Mitternacht im Büro. Wahrscheinlich war er der fleißigste Politiker, den man sich vorstellen kann. Otto von Habsburg sagte einmal, Alexander Langer sei einer der besten, erfolgreichsten, charismatischsten Abgeordneten im Europäischen Parlament gewesen – und ja, das war er. Auch wenn er selbst vielleicht daran gezweifelt hat. Es war ihm nie genug. Er fragte sich immer: „Habe ich genug getan?“ 
     

    Trotz Unterstützung aus dem Europäischen Parlament verhinderten konservative Kräfte in Südtirol dies – für ihn eine bittere Erfahrung. 

  • Macht weiter...: Gedenkfeier für Alexander Langer 1995. Reinhold Messner am Mikrofon. Claudia Roth sitzt links daneben. Foto: Seehauserfoto
  • Als Italiener Südtiroler Herkunft war Alex ein Symbol für ein Südtirol des friedlichen Zusammenlebens und der Kooperation – ein multikulturelles, multiethnisches Südtirol. Doch bei seiner Kandidatur in Bozen erlebte er, wie Widerstände und Blockaden ihn daran hinderten, dieses Symbol auch politisch sichtbar zu repräsentieren. Trotz Unterstützung aus dem Europäischen Parlament verhinderten konservative Kräfte in Südtirol dies – für ihn eine bittere Erfahrung. 
    Alex war ein Mensch: herzensklug, grenzenlos großzügig, liebenswürdig, neugierig, zugewandt, aufmerksam, ein Kümmerer für jede und jeden. Wahrscheinlich hat er sich selbst dabei vergessen. Er machte wunderschöne kleine Geschenke, bedachte andere mit großer Zuneigung. Er war bescheiden, mit fast eitler Uneitelkeit. Er litt unter Oberflächlichkeit, unter Dummheit, wenn auf schwierige Fragen einfache Antworten gegeben wurden. 
    Alex war mein Freund – ein enger Freund. Wir haben sechs Jahre lang als Nachbarn im Europäischen Parlament gearbeitet. Für mich ist es bis heute die schlimmste, schmerzlichste Frage: Warum habe ich nicht gespürt, dass er so verzweifelt war? Warum habe ich es nicht gemerkt? War ich nicht genug für ihn da? 
    Er hinterließ uns einen kleinen Zettel mit der Botschaft: „Macht weiter, was gut war.“ Doch für uns blieb die Frage: Wie denn – ohne ihn? 
     

    Was passiert, wenn man Politik ohne Moral macht – also unmoralische Politik –, erleben wir derzeit an vielen Orten dieser Welt. 


    Sein Vermächtnis: nie aufzuhören, den Aufbruch ins neue Denken zu wagen. Denn wohin uns alte Denkmuster führen, sehen wir heute. 
    „Macht weiter, was gut war – mutig, kompromisslos realistisch und realpolitisch.“ So war Alexander Langer. Und was es heißt, nicht den einfachen Weg zu gehen, das kennen wir Grünen bis heute. 
    Was passiert, wenn man Politik ohne Moral macht – also unmoralische Politik –, erleben wir derzeit an vielen Orten dieser Welt. Verantwortung heißt, Verantwortung zu übernehmen: gegenüber den Menschen, gegenüber der Natur. Nächstenliebe ist kein Altruismus – denn mir kann es nicht gut gehen, wenn es meinem Nächsten schlecht geht. 
    Auch wenn es mit Blick auf die Welt manchmal schwerfällt: Wir sollten den Optimismus nicht verlieren, dass Veränderung möglich ist. Ich hätte mir sehnlichst gewünscht, dass Alex diesen Optimismus damals gehabt hätte, in jenem Moment der tiefsten Einsamkeit. Denn er fehlt uns. Er fehlt uns in einer Welt, in der Grenzen in Europa wieder hochgezogen werden. Er fehlt uns angesichts der Klimakrise, die zur Überlebensfrage geworden ist. Er fehlt uns im Kampf für Menschenwürde, für Menschenrechte, gegen den Vormarsch autoritärer Regime. 
    Am Ende passt zu Alexander Langer, der ein tief gläubiger Mensch war und das Franziskanergymnasium in Bozen besucht hat, am besten der Sonnengesang von Franz von Assisi. 
    Das ist, was ich mit ihm verbinde: 

    Alex, du fehlst mir so sehr – und du bist doch so nah bei mir.

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Stefan S Gio, 07/03/2025 - 11:12

Politiker mit Format und Empathie welche nicht vom Lobbyismus zu faulen Kompromissen getrieben werden...wo sind die?
Sehr guter Nachruf, verstehen werden es leider die Wenigsten.

Gio, 07/03/2025 - 11:12 Collegamento permanente