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Was gestern makaber war

Ein Stück von 1934 „Die Ballade vom grossen Makabren“ kommt nach Neumarkt, als Roland Selvas Regiearbeit für den Sommer. Bleibt mit dem Weltuntergang alles beim Alten?
Die Ballade vom grossen Makabren
Foto: Roland Pernter
Beim Blick auf das Programmheft, das am Eingang aufliegt, fällt meine Aufmerksamkeit auf’s Doppel-S mit dem im Titel das Wort „grossen“ geschrieben wird und ich kann mich nicht erinnern, dass das Wort zu meinen Lebzeiten so aussah. Man ist nicht konsequent in dieser Schreibweise, aber ich will es bleiben. Man hat auch im Kostümfundus (Kostüm und Bühne: Nora Veneri) nicht gerade nach den aktuellsten Kostümen gegraben, sondern nach dem, was in die Zeit passt, die auch zu Zeiten von Stückautor Michel de Ghelderode eine vorzeitig-fiktive war und so stellt man sich auf eine Aufführung nah am Text ein, die sich einige kleinere Freiheiten erlauben will.
Wer mit diesen Erwartungen ins Unterland fährt, wird nicht enttäuscht: Figuren mit blumigen Namen und blumiger Sprache bevölkern die Bühne und das Fürstentum Breughelland, das für Wein und Gesang bekannt ist und wo mit Schlag Mitternacht ein „rotes Licht aus dem Norden“, als Komet Tod und Verderben bringen soll. Als erstes treffen dabei Properanz der Trunkenbold (Horst Herrmann, der überzeugendste Schauspieler im Rausch) und Nekrozotar der große Makabre (David Thaler, etwas viel Pathos und die betagteste Sprache des Stücks schaffen Distanz zum Publikum) und Mann mit Sense und Horn für den jüngsten Tag aufeinander. Respekt kommandiert er dabei relativ wenig, da die Figuren mit denen er sich umgibt zwar nicht lebensmüde, doch schnell darin sind sich dem Schicksal zu fügen.
Überhaupt ist es erfrischend, dass die Sündhaftigkeit und das Laster nicht zum Grund der nahenden Apokalypse erklärt werden: Naheliegend genug wäre es, wenn sich Videbolle (Nik Neureiter, der bessere Schluckspecht-Mime, wenn es darum geht aus der leeren Flasche zu trinken), Philosoph und Astronom von seiner Frau Salivaine (Valentina Emeri, einschüchternder mit dem Besen als der Tod mit der Sense) mit der Gerte den Hintern versohlt. Salivaine hat allerdings ein kurzes Leben, bevor sich auch ihr Mann, der das Unglück als einziger kommen sah dem Tross von Nekrozotar und Properanz anschließt.
 
 
Man geht trinkend und reuelos in Richtung Mitternacht und kann den Fürsten Goulave (Alexa Brunner, gibt den Fürst als unerfahrenen Jüngling) auch davon überzeugen, dass er sorgloser leben wird, wenn er sich nicht mehr um seine Untertanen kümmern braucht. Schließlich wärmt auch der Welten-Vernichter seine kalten Knochen an einem Schlückchen Wein, worunter seine Trefferquote dann leidet, wenns wirklich darum geht, die Welt untergehen zu lassen. Fast alles, was auf der Bühne geschieht, geschieht planlos und ohne moralische Folgen für die Handlungen der Figuren. Der Österreicher würde dazu wohl „b’soffene G’schicht“ sagen. Eskapismus vor der Welt in den Wein ist aber gerade in Anbetracht der Zeit nur zu gut verständlich. Damals wie heute war der Krieg in den Köpfen der Menschen präsent.
Mann muss dabei so ehrlich sein, dass bei einem bald 90 Jahre alten Stück das historisiert der Humor nicht mehr das ist, was er einmal war. Slapp-Stick-Momente und Modernisiertes, wie auch ins Absurde Übersteigertes funktionieren gut, doch dazwischen ist viel alter Text, der lückenhaft im Publikum zu Lachern führt. Wenn Depeschen mit einem Samsung-Pfeifen - man kennt den Ton - am Handy eintreffen, dann ist das ein Schmunzeln wert und wenn drei Soldatinnen in Dialektrolle auftreten, ist das ein erstaunlicher Mix aus gestriger Tradition und moderner Neuzuschreibung im Geschlecht und dem Umgang damit. Die Lichtgestaltung (Alfredo Piras) setzt für die nahende Katastrophe die Stimmung ohne aufdringlich zu werden, jedoch nicht annähernd so gut, wie ein eifriges Wetterleuchten am Horizont es kann.
 
 
„Die Ballade vom grossen Makabren“ lässt einen ein Antimärchen mit vergebenem Potential in der Modernisierung und bei kleineren Textunsicherheiten sehen, welches den Weltuntergang und den Tod selbst nicht ernst nehmen will und Laiendarsteller vor eine der größten Herausforderungen des Schauspiels stellt: Überzeugend betrunken zu spielen. Eine „b’soffene“, allzu menschliche „G’schicht“.