Christine Dissertori: „Ich war nie brav“
Christine Dissertori wird nächstes Jahr 70 Jahre alt. Ihre Lebensgeister sind ungebrochen: „Ich bin in Bozen aufgewachsen, war immer mit und zwischen den Kulturen, das hat mich ungemein bereichert. Andere Kulturen faszinieren mich.“ Unverheiratet blieb sie, was nicht immer positiv aufgenommen wurde: „Ja, ich hab mich immer politich eingemischt, war bei der Friedensbewegung. Es hat geheißen: 'Sie ist ja eine nette Gitsch - warum kümmert sie sich denn in ihrem Leben um die Politik?' Ich hätte heiraten sollen, brav sein.“
Fordern, nicht brav sein
Brav sein war nie ihres und so meldete sich die rüstige Rentnerin 2008 zum Freiwilligen Dienst an. Nützlich sein, helfen, anderen zur Seite stehen, das ist ihr Credo „das gibt mir unwahrscheinlich viel.“
Doch ihr Unternehmensgeist wurde zunächst gebrochen. „Mir wurde gesagt, ich wäre an 57. Stelle, weil sich so viele Freiwillige gemeldet hätten, und dann hab ich nichts mehr gehört.“ Eine Freundin sprach dann im Amt für sie vor, „wissen Sie“, sagt Frau Dissertori, „ich kann mich nicht so gut verkaufen, da hat mir die Katja geholfen. Dazu möchte ich noch sagen: Das Schlimmste für einen älteren Menschen ist, wenn er so weg geschmissen wird.“
Selbst- und Fremdheilung
Fünf Jahre später, im Jahr 2013, besann man sich dann doch auf das Gesuch der Freiwilligen Helferin, sie wurde gerufen. „Plötzlich, das war im Januar dieses Jahres, haben mich alle kontaktiert. Der Blindenverband hat angerufen und der Direktor Peintner vom Haus Arnika. Ich war gerade in Ägypten, im Urlaub.“ Der Einspruch der Freundin, Katia di Gennaro, schien Früchte zu tragen.
Seit 1. April ist Frau Dissertori im, von der Caritas betriebenen, Flüchtlingsheim „Haus Arnika“ tätig. 20 Stunden wöchentlich, jeder Vormittag gehört dem Haus und seinen BewohnerInnen, als einzige Freiwillige arbeitet sie dort. Ihre Freude über die Aufgabe groß. „Es ist etwas, was mir die Seele wieder aufgemacht hat, ich brauch den Kontakt zu den Menschen, sonst werd ich depressiv.“ Selbstheilung betreibt Frau Dissertori und dient damit nicht nur sich. „Momentan haben wir etwa 30 bis 40 Leute dort, viele Familien. Natürlich ist es nicht immer einfach wenn verschiedene Kulturen zusammen kommen, jeder hat seine Vorstellungen, zum Beispiel was die Hygiene betrifft – ja, das ist ein großes Thema.“
Einen Bericht aus dem Haus Arnika lesen Sie hier, im Meraner Stadtanzeiger.
Die Kinder
Behördengänge erledigt Frau Dissertori mit den BewohnerInnen des Hauses, pflegt die Kontakte unter den verschiedenen Kulturen und dann die Kinder, die sind der 69-Jährigen fest ans Herz gewachsen: „Einige, die strecken schon die Ärmchen aus, wenn sie mich kommen sehen, laufen mir entgegen. Das ist so schön für mich, ich hab ja keine eigenen Kinder“, sagt die freiwillige Helferin und plaudert aus dem Geschichtenkästchen: „Eine Siebenjährige im Haus, die kommt aus Sierra Leone, die hat mich neulich beim Computer gesehen. Das kann ich ja nicht so gut und dann hat sie gesagt „Ma non hai visto che devi cliccare qui. Ti insegno io.“ Der Austausch ist gegenseitig, das Voneinander-Lernen auch, 350 Euro monatlich erhält die Rentnerin für ihre Arbeit mit den Flüchtlingen. Und die ist oft alles andere als einfach. Ihre erste „Amtshandlung“ im Haus war eine Herausforderung: „Ich musste alle Schwarz-Afrikaner verschicken, hatte die Aufgabe ihnen zu sagen, dass sie nicht länger im Haus bleiben können. Und wissen Sie was? Sie haben sich bei mir bedankt, dass ich es ihnen gesagt habe.“
Syrische Flüchtlinge unterwegs, wir haben für Sie recherchiert.
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Respekt vor weißen Haaren
Leidensgeschichten gäbe es viele im Haus, doch das war für die ihn Meran wohnafte Frau nie ein Problem: „In einem gewissen Alter, glaube ich, hat man die Fähigkeit zwischen den Dingen eine gewisse Distanz rein zu bringen. Meine weißen Haare verschaffen mir zudem viel Respekt, ich war die einzige Frau, die beim Ramadam mit den muslimischen Männern getanzt hat.“
In das Leben hineinkatapuliert, so fühlt sich Christine Dissertori seit sie als Freiwillige Helferin arbeiten darf: „Auf dem Bankl sitzen und auf den Tod warten, das ist es nicht. Wenn man als älterer Mensch die Möglichkeit hat, sich zu engagieren, dann ist das etwas Wunderbares.“ Für alle Beteiligten.
Respekt
Dies ist eine sehr schöne Geschichte, wie man seine übrige Zeit sinnvoll ohne Gewinnabsichten einbringen kann, wünsche Frau Dissertori weiterhin gute Arbeit.