Cultura | Salto Weekend

Freie künstlerische Auswüchse

In Elisabeth Freis neuster Ausstellung begegnen sich scheinbar widersprüchliche Elemente in einem Übermalungs-Portrait Klausens und des Eisacktals. Von Bäumen und Pylonen
Da ist der Wurm drin - gatta ci cova (Ausschnitt)
Foto: Peter Enrich/Elisabeth Frei
Die Autobahn ist als Hintergrundrauschen, welches für die Bewohner Klausens vielleicht aus dem bewussten Hörbereich verschwindet überall im schmalen Städtchen zu hören. Im Kreuzgang des als Stadtmuseum fungierenden Kapuzinerklosters wird dieser vom leisen Plätschern eines Brunnens ersetzt. Hier fanden sich ausgesprochen zahlreich die Besucher der Vernissage von Freis „Wachstum und Gewachsenes“ ein. Lediglich ein seltsames Dröhnen und Wummern, ganz anders als jenes der Autobahn, drang gestern Abend auf einer Seite des Kreuzganges, während Leo Andergassens Laudatio auf die Künstlerin aus zwei Kellerfenstern (lesen Sie am Montag, was es damit auf sich hatte). Der Innenhof mit seiner Hortensienpracht war ein Ort der Ruhe.
In Freis Ausstellung ist der Ruhepol gleichzeitig Spannungspunkt: Bäume, maßgebliches Element in allen bis auf einem von über 30 ausgestellten Kunstwerken sind gleichzeitig eine Hälfte der brüchigen Dichotomie Natur - Kultur. Die Künstlerin bricht dieses ein Stück weit auf, wobei ganz klar die Natur am Anfang steht: Das erste und älteste Werk der Ausstellung (von 2018) zeigt ohne Titel, mit Grafit und Erde für die Färbung skizzenhaft ein knorriges Baumdetail, aus welchem die weiteren Bilder der Ausstellung gewachsen sind.
 
Weiss der Kuckuck
Weiss der Kuckuck: Die linke von zwei Tafeln, in der rechten sitzt eine Figur mit Kutte (der Haspinger) in vertrauter Pose im Nest. | Bild: Peter Enrich/Elisabeth Frei
 
Diese verbinden, wie gesagt, Natur mit Kultur, streuen Fingerzeige und Lokalkolorit mit ein, was durch einen gewissen Wimmelbildcharme fein versteckter, augenzwinkernder Details auch den sozialen Charakter der Vernissage steigert. Immer wieder ist neben einem ein „hosch des schun gsegn?“, oder eine Entsprechung davon zu hören. Von Enten, Stadtansichten, dem Haspinger vor der Tür und zweimal Stadt- und Künstlerpatron Albrecht Dürer (dessen besonderen Bezug zur Stadt- und Landschaftsmalerei Andergassen eingangs unterstrich) abgesehen, bildet neben den großformatigen Bildern die zur nähesten Betrachtung einladen das Gros der Ausstellungsstücke die 26-teilige Kleinformatreihe „Zeichen der Zeit“, in der die Übermalungs-Grundlagen der Künstlerin im Zentrum stehen: Wie durch eine Linse betrachtet werden sie von einem Baumquerschnitt mit Jahresringen überlagert.
Damit spielt die Künstlerin ein weiteres zentrales Element für die Ausstellung aus: Die Zeit. Die Ausstellung blickt mehrheitlich auf ein gegenwärtiges und vergangenes Klausen und Umgebung, die ausfliegenden Gänse (Stichwort: Tinne-Museum) und ein wie ein Seitenast sprießendes Windrad zeigen allerdings auch in Richtung - möglicher - Zukunft.
 
Unrasiert und fern der Heimat - non rasato, lontano da casa
Unrasiert und fern der Heimat - non rasato, lontano da casa: ​​​​​​​Liebe zum Detail - in den Sonnenbrillen Dürers spiegelt sich der LKW-Verkehr auf der Brenner Autobahn. | Bild: Peter Enrich/Elisabeth Frei
 
Statt allerdings zu moralisieren oder ihr Ideal einer möglichen Welt zu malen ist die Künstlerin an spielerischer Durchlässigkeit verschiedener Bildebenen interessiert. Es sind die vielleicht interessantesten Stellen ihrer Bilder wo Stadt-Struktur oder Speckmarmorierung in Baumrinde verschwinden, die Spuren eines Holzwurms in gotische Verzierungen übergehen oder die Kurven einer - wir meinen - roten Hibiskus mit den Kurven von Autobahnbrücken verschmelzen. Diese Bilder lesen sich nach einem Fluss und wenn man diesem folgt, stößt man unweigerlich wieder auf ein neues in die Übermalung eingefügtes Puzzlestück. In besonderer Weise ist dies beim schmalen, langerstreckten Panoramabild „Da ist der Wurm drin“ (ein Ausschnitt ist im Titelbild zu sehen), das uns von links nach rechts durchs Eisacktal in Richtung Brenner führt.
Umso beeindruckender ist dabei, dass die Künstlerin betont, nicht nur Bauwerke (die Autobahn mit eingeschlossen, der eine oder andere Besucher versuchte sich in der Bestimmung von Streckenabschnitten) oder Personen nach realem Vorbild gearbeitet zu haben, sondern eben auch die für die Ausstellung so wichtigen Bäume, mehrheitlich winterlich, keinesfalls aber Totholz. Es haben die Bäume viel zu erzählen, Frei horcht zu und übersetzt, lädt zur näheren - noch näheren - Betrachtung ein, bis man buchstäblich fast mit der Nase auf ein Detail stößt.