The Beatles: Get Back
Paul, John, George und Ringo befinden sich im letzten Akt ihrer gemeinsamen Reise, bloß wissen sie das nicht, denn im Moment scheint alles normal. Es gilt, eine TV-Show zu produzieren, ein Konzert vor Publikum wie in alten Tagen, nur die vier mit ihren Instrumenten. Keine Overdubs, Tontechnik-Tricks oder sonstigen Schnickschnack, die Zeit von Sgt. Pepper und der Magical Mystery Tour solle in Frieden ruhen. Die Beatles wollen zurück zu ihren Wurzeln, sich wieder als klassische Beat-Band verstehen, eben vier Freunde sein, die gemeinsam Spaß haben. Doch der Aspekt der Freundschaft ist ein komplizierter, besonders wenn man sich in einem Arbeitsverhältnis befindet, und wenn die Egos der einzelnen Individuen Kompromisse zunehmend erschweren. Das Songwriter-Duo Lennon/McCartney gibt es praktisch gesehen nur noch auf dem Papier, die Zeiten, in denen man gemeinschaftlich Lieder schrieb, sind vorbei.
Vierzehn neue Lieder sollen es werden, eine ganze Menge also, und die Zeit ist knapp, nur etwa drei Wochen bleiben den Beatles dafür. Sie finden sich in einem Fernsehstudio wieder, umgeben von weißen Wänden, nur selten in farbiges Licht getaucht sitzen sie wie auf dem Präsentierteller, umgeben von einer Kameracrew und Tonleuten, die, angeführt von Regisseur Michael Lindsay-Hogg, das TV - Special vorbereiten. Die Band jammt, probiert neue Melodien und Textzeilen aus, und hier und da hört man bereits das Gerüst eines späteren Klassikers. Das Stück Get Back entsteht in seiner Grundform in wenigen Minuten, aus der Not heraus, neues Material zu finden. Die Gemüter werden zunehmend erhitzt, der Druck sitzt den Vier im Nacken, und nach einigen Konflikten folgt schließlich der Umzug in die eigenen Apple-Studios, sozusagen der Rückzug in die Intimität.
All das, und noch vieles mehr zeigt der neuseeländische Filmemacher Peter Jackson, den meisten vermutlich bekannt als Regisseur der Herr der Ringe-Trilogie in drei Folgen seiner neuen Serie, die exklusiv auf Disney+ läuft. Jede der Folgen ist mindestens zweieinhalb Stunden lang, und somit kommt Get Back auf eine recht stolze Lauflänge. Jackson begab sich für die Dokumentation in die Archive der Apple-Studios (nicht zu verwechseln mit dem Technologie-Konzern), sichtete rund 56 Stunden Filmaufnahmen und 140 Stunden Audiomaterial aus dem Jahr 1969, alle unter Lindsay-Hogg entstanden, um die Entstehung der Show, als auch des neuen Albums zu dokumentieren. 1970 kam ein Bruchteil dieses Materials als Let It Be ins Kino, zerstückelt, fragmentarisch, wenig wahrheitsgetreu. Denn natürlich umgeben die Let-It-Be-Ära die üblichen Fragen nach dem Grund der Trennung, generell wird und wurde seit jeher viel über das Verhältnis der Fab Four zueinander in ihrer Endphase spekuliert. Peter Jackson Aufarbeitung der Ereignisse zeigt nun deutlich: Es gab Reibereien, heftige Diskussionen, einen zwischenzeitlichen Abgang von George Harrison, doch es gab auch, und dies ging bisher immer unter, wunderbar freundschaftliche Momente. Vor allem als Billy Preston als Gastmusiker zur Band stößt, steigt die Stimmung, man lacht, reißt Witze und verliert sich in der Prokrastination. Organisiert oder strukturiert waren die Beatles zumindest zu dieser Zeit nicht mehr, nur zu oft weichen sie vom Plan ab, spielen statt ihrer eigenen Stücke Coverversionen anderer Künstler*innen, Berry, Dylan und Co. tauchen immer wieder auf. Der Grund für die Trennung wird auch in dieser Dokumentation nicht ganz ersichtlich, die oft gescholtene Yoko One, stets an der Seite ihres Johns sitzend, ist es sicherlich nicht. Vielleicht wurden die Beatles erwachsen, und wollten, nein, sie mussten sich voneinander emanzipieren. Das zeichnet sich in den sechs Stunden von Get Back bereits ab.
Die Dokumentation ist hochinteressant, vor allem wenn man sich für die Beatles begeistern kann. Tut man das nicht, kann vieles repetitiv wirken. Es gibt keine wirkliche Erzählung, keine Stimme, die die Ereignisse erklärt, keine Interviews, keine Hintergrundinfos, nur das reine Jetzt. Die drei Folgen sind wie ein Tagebuch der wohl besten Band aller Zeiten, zutiefst menschlich, zögernd, zaudernd. Deswegen, aber auch dank der hervorragenden Restaurierung des zugrundeliegenden Filmmaterials mit seinen schillernden Farben und der Überarbeitung der Audioaufnahmen wirkt all das hochaktuell, nahezu modern und wenig nostalgisch. Get Back ist gegenwärtige Vergangenheit, die Geschichte von Let It Be aus der heutigen Sicht gesehen. Möglicherweise ändert sich die Geschichte noch einmal, in zwanzig Jahren oder mehr, mit neuen Erkenntnissen, neuen Geheimnissen, die gelüftet werden, der Mythos der Beatles ist eine long and winding road.
Am Ende steht das legendäre Rooftop-Konzert auf dem Dach der Apple-Studios, der letzte öffentliche Auftritt der Beatles. Es ist ein Abgesang auf ihren eigenen Status, ihre Bedeutung für die Musikgeschichte, virtuos hinaus gebrüllt über die Dächer Londons, hinaus gebrüllt in die ganze Welt.