Cultura | Editorial

Das KünstlerInnenkollektiv

Kritik von und Gegenentwurf zu Beständigem.

Wenn mehrere KünstlerInnen beschließen, sich zusammenzutun, um gemeinsam unter einem selbst gewählten, noch nie dagewesenen Namen zu produzieren, dann ist das die Geburtsstunde eines KünstlerInnenkollektivs. Dem Kollektiv in Theorie und Praxis wollen wir in der Februarrausgabe von Salto Arts begegnen: welche aktuellen Formen und Strategien von Komplizentum gibt es, welche historischen haben heute nicht an Bedeutung verloren? Wovon sind Kollektive inspiriert und welche Kunstformen bringen sie hervor? Welche Auswirkungen auf die soziale Ordnung fordern sie heraus?

Warum gehen manche KünstlerInnen diesen Weg, andere nicht? Nicoló Degiorgis vom Südtiroler DesignerInnenkollektiv Institute of Friends gab letztens eine der möglichen Erklärungen: Wir wollen zusammen Spaß haben! Spaß hat man tatsächlich eher selten alleine, das ist richtig. Der Spaß kommt aber auch dann rein, wenn in allem Ernst alternative Lebensentwürfe ausgetestet werden, wenn versucht wird, "gesellschaftlich andere, von Gleichheit, Freiheit und Selbstverantwortung bestimmte Produktionsverhältnisse zu etablieren, die nicht von Konkurrenz und Arbeitsteilung geprägt sind." (1)
Was utopisch klingt und seltsamerweise fast anachronistisch, ist aber durchaus möglich: es gibt nicht nur historische, sondern aktuell äußerst produktive KünstlerInnengruppen, die über Jahre hinweg relevante Projekte realisieren. Um nur ein paar zu nennen: die russischen Gruppen Voina und Chto DelatGod's Entertainment (AT), Rimini Protokoll (DE), Alterazioni Video (IT), Motus (IT), Gelitin (AT), die Liste kann beliebig verlängert werden.

Vor allem im Performance- und Theaterbereich bietet sich diese Art der Zusammenarbeit an. Es gibt jedoch eine sichtbare Trennlinie zwischen dem, was ein Kollektiv ausmacht, und dem, was zwar kollektiv produziert wurde (ein Theaterstück, ein architektonisches Werk, eine Oper, ein Gesamtkunstwerk), das aber immer noch vom Einzelgenie firmiert wird. Kollektive Arbeit kann abgesehen davon von formalen Gruppen, Bewegungen, Gemeinschaften, Szenen, Kommunen, Künstlerpaaren oder Individuen, die eine Gruppenidentität annehmen, kreiiert werden. Der Bereich der Neuen Medien war in den 90ern noch ein Ort, wo die Utopie eines kollektiven schöpferischen Prozesses durch gleichzeitige Interaktion und Kommunikation einen Platz fand - ob sich dieser eingelöst hat oder schon wieder aufgelöst hat in Überwachungsszenarien und Nutzerbeschränkungen, kann ich nicht beurteilen.

Nichtsdestotrotz, und vor allem, wenn ich mich hier in Südtirol umsehe: es ist nicht die Zeit der Kollektive. Die bekanntesten VertreterInnen der Kunstwelt sind Individuen, die alles in Gold verwandeln zu haben, was sie berühren. Vielleicht liegt das daran, dass wir in keiner Zeit der Systemgegnerschaft leben, dass es tatsächlich fast unmöglich geworden ist, eine Gegenposition einzunehmen. Wenn Kollektive diese unangenehme, ja uncoole Aufgabe übernehmen, wollen nicht alle davon wissen. Denn Kollektive "schließen sich meist in einem kritischen Anliegen gegenüber herrschenden Strukturen oder dominanten Cliquen zusammen. Gruppen sind gezeichnet vom Bewusstsein der Minorität, aber auch vom Anspruch, es anders und auf der Höhe der Zeit zu machen. Gruppen haben meist ein avantgardistisches Selbstverständnis, weswegen zur Produktion von Werken auch die von Manifesten gehört [...]."(2) Am Umfang der vor uns liegenden Arbeit, am Bedarf an Kritik und Verbesserung etc. kann es jedenfalls nicht liegen, dass Kollektive derzeit nicht wirklich Konjunktur haben.

Nachdem die Zeit der "ismen" in Europa für tot erklärt wurde und politische Großprojekte im letzten Jahrhundert gescheitert sind (Sozialismus etc.), sind nur mehr wenig utopische Ideen übrig geblieben. Man schließt sich hier weit eher zusammen, um die Ich-AG zu einer Wir-AG zu pimpen - was sich ja auch schon die KünstlerInnen des Blauen Reiters (Nadia Marconi wird davon berichten) dachten. Gemeinsam ist man schließlich stärker. Nur werden damit heute eher Nischenbereiche der Wirtschaft gefüttert anstatt das geistige Wachstum von Gesellschaften.
In Südtirol (und international agierend) sind mir nur einige wenige Gruppierungen bekannt: wupwup, die Meraner Gruppe, das Studententheaterkollektiv VonPiderZuHeiss (bitte gleich unten ergänzen!). Duos würde ich hier nicht zu den Kollektiven zählen, da fehlt schlicht die erschwerende Komponente, nämlich der/die Dritte.

Schließlich noch eine Frage mit einer sogleich folgenden Antwort: warum braucht die Welt KünstlerInnengruppen?
KünstlerInnengruppen schaffen gewissermaßen Räume der Sicherheit - nicht jener Sicherheit, die PolitikerInnen heute propagieren, Räume der Überwachung und Kontrolle. Sondern Zufluchtsräume für offenen und kritischen Austausch. Sie leben vor, was anderorts eher Angst hervorruft: Präsenz einer/s jeder/n ohne fixe Rollenzuschreibungen, was Herkunft, Geschlecht, Familien- und sozialer Status betrifft. Gleichberechtigte Kommunikation und kreative Produktion. Ein Platz für nicht zweckgerichtetes Arbeiten. Sie schaffen auratische Kunst ohne Identitätskerker, schließlich ist das Kunstwerk einer Gruppe oft in wechselnden Konstellationen von Gruppenmitgliedern und einer manchmal nur kurzfristigen Kooperation hervorgebracht worden. Aus persönlicher Erfahrung in und mit KünstlerInnengruppen sind mir wenig Orte auf der Welt bekannt, wo gegenseitiges zu Wort kommen lassen, Unterstützung und Freundschaft wichtiger genommen werden, wo aber genauso Auseinandersetzungen, Missverständnisse und Brüche stattfinden - die letztlich der/dem Einzelnen meistens nur zugute kommen.

(1) Rötzer, Florian in Zusammenarbeit mit Sara Rogenhofer: Künstlergruppen: Von der Utopie einer kollektiven Kunst. In: Kunstforum. Bd. 116, November/Dezember 1991
(2) Ebda.