Cultura | Vallo Alpino

Gebunkertes Wissen

Welche baulichen und gesellschaftlichen Spuren der "Vallo Alpino" in Südtirol hinterlassen hat, zeigt ein detailreiches Forschungsprojekt von Heimo Prünster.
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Foto: SALTO
  • Über das Bunker-Erbe in Südtirol hat SALTO in den vergangenen Jahren immer wieder berichtet. Mit dem Titel Zugang erlaubt auch vor wenigen Wochen, am 16. Dezember 2023, zu den Ergebnissen des Forschungsprojekt Vallo Alpino. Vor allem Architekt Heimo Prünster war es, der in den vergangenen Jahren den gesamten Bunkerbestand zu Südtirol aufgearbeitet hat und mit Spezialisten schlüssige Visualisierungen und eine Online-Karte entwickelte. Projekt und Onlinezugang wurde der Öffentlichkeit am vergangenen Donnerstag offiziell vorgestellt, in einem ebenfalls gigantisch-militärischen (und gescheiterten) Verteidigungsbau: der Festung Franzensfeste.

  • Bunkerwissen entbunkert: Heimo Prünster bei der Vorstellung des Forschungsprojektes in der Festung Franzensfeste. Foto: SALTO

    „In Südtirol sind die Bauten es Vallo Alpino aus vielen Gründen für lange Zeit am gesellschaftlichen Rand geblieben“, eröffnete Prünster – nach Grußworten von Museumsdirektor Emanuel Valentin und einer Einleitung der Landesdenkmalpflegerin Karin Dalla Torre – seinen Vortrag zum Forschungsprojekt Vallo Alpino. Gründe für die jahrzehntelange Nicht-Aufarbeitung seien unter anderem, „die dramatische Zwischenkriegszeit Kriegszeit in Südtirol und die Option“ gewesen, die zu „negativen Assoziationen zu den Bunkern gegenüber geführt“ hätten. Außerdem habe es eine „lange militärische Nachnutzung gegeben“, aber auch das „generell ruinöse Erscheinungsbild“ vieler Bunker, wäre einer gründlichen „Aufarbeitung im Wege gestanden.“ Prünster erinnerte in diesem Zusammenhang an die Pioniere, die die „ersten Schritte zur Aufarbeitung“ setzten: Alessandro Bernasconi und Giovanni Muran. Anfang der 1990er Jahre waren sie Herausgeber einer ersten umfassenden Publikation zum Vallo Alpino und zeigten wie dieses gigantische Verteidigungssystem der Faschisten, die italienische Alpengrenze vor Invasionen hätte schützen sollen. Es erstreckt(e) sich von Ventimiglia im Westen bis zum heutigen Rijeka im Osten. 

  • Zwischen Krieg und Frieden: Karin Dalla Torre erörterte den Sachverhalt aus dem fachlichen Blickwinkel der Denkmalpflege. Foto: SALTO

    Karin Dalla Torre hatte bereits in ihrer Einleitung inhaltliche Brücken vom gescheiterten militärischen Verteidigungsbau Vallo Alpino zur Franzensfeste gezogen, zu den mittelalterlichen Verteidigungsbauten in Form von Schlössern und Burgen und zu der jüngst lebhaft geführten Debatte rund um das Baudenkmalerbe Kasernenareal Schlanders. Eine wichtige Frage vereint alle aus unterschiedlichen Epochen stammenden Verteidigungsbauten: Wie kann für sie eine nachhaltige Zwischen- oder Neunutzung gelingen?
    Bei der Vorstellung des Forschungsprojekts Vallo Alpino war auch Matthias Schönweger im Publikum. Der Künstler und Besitzer mehrerer Dutzend Bunker im Land, freute sich über die umfassende Aufarbeitung. Er selbst stelle seine Bunker „für Kulturinitativen und Kunst zur Verfügung.“ Gemeinsam mit Heimo Prünster und Erwin Seppi hatte Schönweger bereits vor Jahren den Verein bunkerforum KASEMATTE gegründet, um „Auseinandersetzung und didaktische Aufbereitung aller mit dem italienischen Alpenwall in Verbindung zu bringenden Themenbereiche zu fördern.“ Mitunter oder vor allem mit Kultur und Kunst; ob der eigenen, ob als Förderer für "getarnte" künstlerische Performances-Projekte, oder für literarische Performance-Glanzleistungen des Einstürzende Neubauten-Frontmanns Blixa Bargeld, so geschehen beim Vortrag eines Dada-Textes von Walter Serner an Schönwegers Militärruine 2013. Derartige Aktionen hauchen leerstehenden Bunkern und nutzlosen Verteidigungsanlagen friedliches Leben ein, lassen neue Zugänge entstehen und bilden eine Basis für erweitertes Denken im Umgang mit bestehendem (wenn auch sperrigen) Baubestand.

  • Kasematten-Exkurs: Dada an der Grenze. Der Text "Letzte Lockerung" von Walter Serner am militärischen Verteidigungsbau am Brenner. Blixa Bargeld performte ihn, im Rahmen von "transart 2013".
    (c) IDM

  • Haarsträubende Archivarbeit, schwierige Reproduktionsbedingungen, mangelnde Inventarlisten, lückenhafte Aktenlage: Heimo Prünster untersuchte akribisch die lokale Bunkerlandschaft für den Zeitraum 1931 bis 1942, also „von den ersten Tagen des Vallo Alpino bis zum Zweiten Weltkrieg, wo die Bauarbeiten gestoppt wurden.“ Die Studie angelt sich über sieben Forschungsfragen zu durchaus aufschlussreichen Ergebnissen. Prünster referierte über die ruhige erste Bauphase, im Anschluss ausführlicher über den Wendepunkt im Jahr 1938, als Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen wurde, wodurch es in Italien zu einem „kompletten Umdenken“ kam, „wo alle offensiven Strategien verworfen“ wurden, da es nur mehr „um Verteidigung“ ging.

  • Daten und Fakten: Das gesammelte Material wurde anspruchsvoll aufbereitet und visualisiert. Foto: SALTO

    Was war geplant und was ist gebaut worden? Wie funktionierten die Baustellen? Woher kamen die Bauarbeiter? Der Architekt und Bauforscher führte für sein Projekt zahlreiche Zeitzeugengespräche, mitunter auch mit Nachfahren. Das Dokumentieren und Festhalten von generationsbedingten Überlagerungen öffnete ihm damit – neben der Bauforschung – wichtige Einsichten in neue wissenschaftliche Felder, die mit dem weit gefassten Begriff Konfliktarchäologie gekennzeichnet werden. 
    Auch mit einer feuchtfröhlichen Anekdote konnte Prünster aufwarten, wenn er von einer einstigen Baustelle erzählte, auf der es zu erhöhtem Alkoholkonsum gekommen war und „besoffene Bauarbeiter im Sumpf stecken blieben, als sie heimkommen wollten, weil sie den Weg nicht gekannt haben.“ Am Ende des Vortrags begaben sich die Interessierten zielsicher in die permanente Bunker-Ausstellung der Festung Franzensfeste (siehe Bildergalerie), wo am neu installierten Touchscreen sämtliche Informationen zu den Bunkern des Landes gebunkert und abrufbar sind. Natürlich auch weiterhin über den direkten Link des Forschungsprojekts Vallo Alpino

  • Seit 1. März ist die Festung Franzensfeste wieder für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Am Internationalen Frauentag (8. März) findet ein Diskussionsabend mit künstlerischen Interventionen, Kuratorinnenführungen und ein Literaturabend statt.