Ein ganz normaler Zirkus?
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Es hat etwas von Dantes Contrappasso-Prinzip, dass wir uns in einem Zirkus befinden, in welchem Otello (Rodrigo Scaggiante) dazu verdammt ist, seine persönliche Tragödie wieder und wieder zu durchlaufen und wieder und wieder zum Täter gemacht zu werden. Das verkündet ein Zirkusschreier zu Beginn und dass das Ende des Stückes alles noch einmal auf Anfang zurücksetzt, verdeutlicht es noch einmal zusätzlich. Allein, die Tragik des Stücks ergibt sich auch aus dieser Verdammung zur Wiederholung und aus dem Gefühl, dass Otello sich seine Tragödie im Grunde nicht verdient hätte.
Es ist, wie bei Shakespeare und Verdi (von beiden Versionen leiht sich Textautor und Regisseur Antonio Viganò das Beste) aber die vergiftete Sprache des Jago, welche dazu führt, dass sich die Hände Otellos um die Kehle der Desdemona schließen. Der Stoff ist alt, die Inszenierung und der Blick auf Rassismus und Andersartigkeit ist es keineswegs, da wir in Jago einen Antagonisten haben, bei welchem die Fäden zusammenlaufen.
Rein räumlich ist der Blick bereits ein etwas anderer als auf die meisten Inszenierungen. Wir finden uns auf der Bühne des Teatro Cristallo auf eine kreisförmige Tribüne gesetzt, das Orchester (aus Menschen mit und ohne Beeinträchtigung) spielt leicht außerhalb, die Schauspieler und die drei Sänger, Paolo Cauteruccio (Tenor), Raffaele Facciola (Bariton) und Francesca Pacileo (Sopran) bewegen sich frei an den Rändern und in den Raum hinein. Die Inszenierung und das Charisma der Darsteller:innen erlauben es ,eine Tragödie mit weniger Schwere zu spielen, welche Momente, die uns schockieren - wie etwa Jagos historisch belassener Rassismus - durch Situationskomik, Slapstick oder Akrobatik, sowie die klare Kennzeichnung von Jagos Worten als etwas Gespieltes.
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Alles nur gespielt?
Dass die Schauspieler:innen in ihrem Spiel dabei auf gewisse Weise immer aufrichtig sind, kontrastiert mit dem von Paolo Grossi gespielten Jago, der als Lügenbaron einzig und alleine ein „klassischeres“ Schauspiel zeigt. Den einzigen neurotypischen Schauspieler des Abends in einer Negativrolle zu besetzen ist mutig, er hat dabei Freude am Spiel und harmoniert gut mit seinen Kolleg:innen, denen er nie die Show stehlen kann.
Immer wieder ist der Zirkus auch einfach nur, was man sich von einem Zirkus erhofft: Pures Spektakel. Da laufen Schauspieler:innen durcheinander während eine Opernarie mit Orchester erklingt und Dialoge und Austausch am Rande stattfinden. Vielleicht macht Rocco Ventura als Zirkusschreier auch noch mit seiner Stimme einen Trommelwirbel, was jedes mal wieder Lächeln lässt. Dass dies alles gleichzeitig wahrgenommen und aufgenommen werden kann zeigt, dass man den eigenen Rahmen beim Stück nicht zu groß gesetzt hat, auch wenn die rund 75 Minuten Vorstellung bis zum Bersten voll sind mit Leben, Eigenheit und auch poetischen Bildern.
Das Publikum wird unter anderem auch durch körperliche Reaktionen auf einen beinahe Zusammenstoßes auf den Sitzkanten gehalten: Der große, zentrale Kronleuchter wird im Kreis geschleudert und streift die vorderen Sitzreihen als Luftzug, die Rangelei zweier Schauspieler kommt direkt vor dem Publikum zu stehen und eine Drahtseil-Nummer der Desdemona sorgt auch auf einem Stück Klebestreifen am Boden für angehaltenen Atem.
All das und mehr passiert, während die Musik keinen Moment auslässt, in dem sie die emotionale Einbindung des Publikums in das Stück noch steigern könnte. Dabei wird zwischen Arie und Minas „Parole Parole“ kein Unterschied gemacht. Alles ist in der Manege erlaubt und willkommen, das ein „Uh“ ein „Ah“, ein Lächeln oder eine Träne hervorruft, man hat das Gefühl, dass die Stückentwicklung bei „Otello Circus“ ein sehr demokratischer Prozess war. Auch das eine oder andere plumpe Schimpfwort führt beim Publikum zu Erheiterung, weil man merkt, welche Freude die Schauspieler:innen haben, wenn sie einmal laut und herzhaft „merda“ sagen dürfen und im Anschluss fast selbst lachen. Man fühlt mit und unterscheidet nicht mehr, wessen Aus- oder Körpersprache etwas von der Norm abweicht. Man fühlt sich als Teil der Show.
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Niemand ist "normal"
Die Illusion von Normalität lehnen Stück und Darsteller:innen entschieden ab. Jeder ist auf seine Art anders als das, was man gemeinhin als normal - oder langweilig - wahrnimmt. Der „Otello Circus“ ist ein Stück Theater, das man getrost wieder und wieder sehen könnte und die nächste Gelegenheit dazu kommt bestimmt. Mich würde es nicht wundern wenn dann am Ende der Vorstellung wieder anhaltender, begeisterter Applaus von einer ausverkauften Tribüne auf die Schauspieler einprasselt.
Alle am Stück Beteiligten genossen ihr Bad in der Menge sichtlich und hatten es sich mehr als verdient. Auch wenn nicht klar sichtbar oder verständlich ist, welcher Kleber ein besonderes aus derart verschiedensten Teilen bestehendes Gesamtkunstwerk zusammenhält, ob das nun Poesie, Humor oder auch einfach die Leidenschaft der Schauspieler:innen und Musiker:innen ist, welche sich unmittelbar auf den oder die Zuseherin überträgt, so ist man sich sicher: Hier hat zusammen gefunden, was zusammen gehört.
Zum Spielplan des Teatro La Ribalta - Kunst der Vielfalt gelangen Sie hier. Der nächste Termin in Bozen ist mit dem Stück "Ali" am 17. und 18. Oktober im Grieser Stadttheater gesetzt.