Cultura | Salto Afternoon

Schlüssel für ein besseres Verständnis

Der Produzent und Regiesseur Georg Tschurtschenthaler feiert in der Filmwelt einen Erfolg nach dem anderen. Mit Geschichte und guten Geschichten. Salto hat nachgefragt.
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Foto: Gunther Niedermair

salto.bz: Die unter Ihrer Regie entstandene Serie "Rohwedder - Einigkeit und Mord und Freiheit" wird als erste deutsche Netflix-Serie in die Geschichte eingehen. Wie ist das Feedback auf die vor wenigen Wochen angelaufene Serie?

Georg Tschurtschenthaler: Die Serie war tatsächlich für einige Zeit Gesprächsthema hier in Deutschland und hat durchaus auch kontroverse Reaktionen ausgelöst. Es ist ja auch ein politisches Thema und legt ja den Finger in die offene Wunde, also in die Entfremdung zwischen Ost- und Westdeutschen und ist damit eng mit der Zeitgeschichte verbunden. Besonders gefreut hat es uns, dass vor allem das jüngere Netflix-Publikum, also die 20-30 Jährigen, sehr positiv auf die Serie reagiert haben und die jüngere deutsche Geschichte, die sie selber gar nicht erlebt haben, neu kennen gelernt haben. 

Wie aufwendig war die Arbeit an diesem Vierteiler? Wie viele Menschen waren involviert? Wie viele Stunden haben Sie in dieses Projekt gesteckt?

Puh, das ist nicht in Stunden zu quantifizieren. Aber zwischen dem endgültigen Go von Netflix und der Fertigstellung der Serie lagen 14 Monate, das ist bei so einem komplexen Thema und der aufwändigen Umsetzung nicht viel. Deswegen hatten wir auch ein großes Team, wie das bei seriellen Produktionen nicht unüblich ist. Das kreative Kernteam umfasste etwa 10 Personen, bei den Dreharbeiten waren natürlich deutlich mehr Personen involviert.

 

Nachdem der Fall zu Detlev Karsten Rohwedder bis heute ungelöst ist, liefert die Serie nun wieder genügend Zündstoff für erneute Spekulationen und Diskussionen. Ist der Fall für Sie – in welcher Form auch immer – abgeschlossen?

Der Fall ist bis heute nicht gelöst und ich wäre überrascht, wenn sich hier noch etwas ändern würde. Zumal es eine extrem komplexe und vielschichtige Zeit war, mit vielen unterschließen Interessen, in einer sehr aufgeheizten Stimmung. Ich habe während der Arbeit viel über diese Zeit, aber auch viel über politische Verbrechen und Terrorismus gelernt und dass bestimmte Sachen eben tatsächlich nicht aufzuklären sind. 

Die RAF-KämpferInnen gegen das System Treuhand werden in der Serie nicht zu Helden hochstilisiert. Wie schwierig ist die Ausgewogenheit in der Darstellung?

Uns war es wichtig, die Beweggründe für die RAF-Terroristen nachvollziehbar zu machen, sowohl die ideologischen Gründe für ihre Anschläge, als auch die Gründe, warum junge Menschen alles hinter sich gelassen haben, in den Untergrund gegangen sind, bis hin zu Gewalt und Mord. Ich war überrascht, dass ich manche der Gründe durchaus nachvollziehen konnte. Auch diese Geschichte muss man von Anfang an betrachten und das ist - wie in Deutschland fast immer - die Stunde Null, d.h. das Ende des 2. Weltkrieges und die 68er-Revolte als Auflehnung gegen das Establishment und die unaufgeklärte Nazi-Vergangenheit.

In den letzten Jahren habe ich mich immer wieder mit der RAF auseinander gesetzt, ich habe auch einige ehemalige RAF-Mitglieder getroffen und mich lange mit ihnen unterhalten.

30 Jahre nach der Wiedervereinigung demaskiert die Serie relativ ungeschminkt, wie das kapitalistische System die ehemaligen Ländereien der DDR überrollt und sich einverleibt. Wo sehen Sie dazu heute noch die Wunden in der Gesellschaft?

Ja, das ist der inhaltliche Kern der Serie. Deutschland ist heute tatsächlich in Ost und West gespalten, es gibt durchaus Parallelen zu Italien und dem Nord-Süd-Konflikt. Trotz aller wirtschaftlichen Erfolge der letzten 30 Jahre gibt es hier tiefe Wunden, die nicht verheilt sind und die heute eitern. Das ist auch ein Grund für die Erfolge der AfD, eine Partei, die von Westdeutschen geführt wird, aber u.a. mit Anti-Westpropaganda im Osten eine politische Macht ist. Dabei gibt es durchaus konkrete Probleme, so sind Ostdeutsche in der deutschen Elite, vom Top-Management bis hin zu Hochschulen und Gerichten deutlich unterrepräsentiert. Zudem gehört ein großer Teil des Ostens Westdeutschen Unternehmen und auch viele Wohnungen, beispielsweise hier in Ostberlin wurden von Westdeutschen aufgekauft, während Ostdeutsche praktisch keine Möglichkeit hatten Vermögen aufzubauen und jetzt aus ihren Städten gedrängt werden. Das sorgt verständlicherweise für Frust, viele fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Wir wollten in der Reihe an den Ursprung dieser Entwicklung gehen, die Monate nach der Wiedervereinigung, in der Hoffnung, dass wir einen kleinen Beitrag leisten können, dass die Wunden doch zumindestens ein bisschen verheilen können. 

Wann ist Ihnen, in ihrer persönlichen Geschichte, die Geschichte der RAF zum ersten Mal begegnet? Und welchen Eindruck hat die Bewegung auf Sie gemacht?

Den Geschichten der RAF bin ich erst später begegnet, als ich in Wien studiert habe. Mehr geprägt haben mich die Geschichten der Roten Brigaden. Ich kann mich noch erinnern, als ich als kleines Kind abends die Nachrichten gehört habe, es ging um Anschläge der Roten Brigaden und ich habe damals überhaupt nicht verstanden, warum Menschen anderen Menschen Gewalt antun. Ich glaube diese kindliche Frage ist bei mir hängen geblieben und sie interessiert mich bis heute. In den letzten Jahren habe ich mich immer wieder mit der RAF auseinander gesetzt, ich habe auch einige ehemalige RAF-Mitglieder getroffen und mich lange mit ihnen unterhalten.


Der Terror der RAF – insbesondere zur dritten Generation – wirft immer noch viele Fragen auf. Wie groß ist das Interesse – der Justiz, Politik und der Geschichtsschreibung – an klärenden Antworten?

Auch die RAF ist eine nicht verheilte Wunde in der Geschichte der BRD und dass es heute noch so viele offene Fragen gibt, verhindert auch, dass dieses Kapitel abgeschlossen werden kann. Ich sehe schon ein großes Problem im deutschen Sicherheitsapparat, das übrigens auch von vielen Vertretern der Geheimdienste in unserer Serie auch genau so benannt wird. Neben der Konkurrenz zwischen Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt führt das föderale System auch zu Konkurrenz mit den Landeskriminalämtern und den Verfassungsschützern in den einzelnen Bundesländern. Leider ist die jüngere deutsche Geschichte voll mit ziemlich desaströsen Ereignissen, von der NSU bis hin zum Fall Amri, dem islamischen Terroristen, der vor vier Jahren auf einem Weihnachtsmarkt hier in Berlin 11 Menschen tötete. Auch Amri war längst im Visier des Verfassungsschutzes, es gab konkrete Warnungen, der Anschlag hätte verhindert werden können. 

Mit „Lebt wohl, Genossen!“ haben Sie bereits vor einigen Jahren für eine große Serie gearbeitet, in welcher jüngste Zeitgeschichte abgehandelt wird. Historische Stoffe liegen Ihnen besonders?

Ja, ich finde, dass sich - gerade in aufgeheizten Zeiten wie wir sie gerade durchleben - der Blick in die Geschichte lohnt und besonders wichtig ist. Es passiert ja wenig tatsächlich zum ersten Mal und gerade bei großen geschichtlichen Umwälzungen gibt es immer wieder erstaunliche Parallelen. Ein Blick in die Geschichte kann der Schlüssel zu einem besseren Verständnis der Gegenwart sein. 

 

In Ihrer Herkunftsgegend Südtirol hat man seit einigen Jahren für den Begriff Terrorist den Begriff Freiheitskämpfer salonfähig gemacht. Wie achtsam gehen Sie mit Begrifflichkeiten bei dem Thema Terrorismus um?

Ich glaube, man muss die Sachen schon beim Namen nennen und sich möglichst unideologisch und unemotional dem Thema nähern, das ja immer komplex und vielschichtig ist. Interessanter als die Begrifflichkeiten finde ich die Frage, warum und aus welchen Motiven Menschen zu Terroristen werden und welche Ziele sie haben. In diesem Zusammenhang finde ich übrigens immer noch die Geschichte von Michael Nothdurfter gerade für uns Südtiroler besonders lehrreich. Der junge Jesuiten-Missionar aus Bozen hat sich in den 80er Jahren einer linken Guerilla-Oganisation in Bolivien angeschlossen hat und war an Terroranschlägen und Entführungen beteiligt. Andreas Pichler hat die Geschichte in seinem Dokumentarfilm „Der Pfad des Kriegers“ erzählt und der Film zeigt auf erschütternde Weise, wie Schmal der Grat sein kann. 

Sie arbeiten crossmedial. Ob Serie, Theater, Netflix, Kino oder TV: kein Medium scheint vor Ihnen sicher zu sein. Welches liegt Ihnen am nächsten? Welches stand am Anfang Ihrer Karriere?

Ich habe eine etwas schiefe Biografie, ich habe ja Wirtschaft und Kommunikationswissenschaften studiert, dann noch zwei Jahre als Unternehmensberater gearbeitet, bevor ich dann zum Film gekommen bin. Für mich ist das Medium tatsächlich zweitrangig, ich finde das dokumentarische Erzählen unendlich viel interessanter als das fiktionale und dann hängt es immer vom Thema ab und wie und in welchem Medium man das am Besten umsetzen kann.

Sie haben mehrmals den Grimme-Preis erhalten, jüngst auch für die Kino-Doku „The Cleaners“. An welchem Filmprojekt arbeiten Sie gerade?

Ich arbeite sowohl als Produzent als auch als Regisseur, deswegen habe ich auch immer mehrere Projekt gleichzeitig auf dem Tisch. Besonders Spaß macht gerade ein Dokumentarfilm mit zwei israelischen Regisseuren, in dem wir das extreme Jahr 2020 aus der Perspektive von 7 YouTubern erzählen. Und dann arbeite ich gerade noch an dem Nachfolgeprojekt von Rohwedder, also wieder eine Serie wo wir Crime und ein gesellschaftliches Thema parallel erzählen.